Kolumne zu „Klitschko – Sein härtester Kampf“ - TV-Doku zeigt den Mega-Kämpfer Klitschko und offenbart seinen Feind im eigenen Lager

Was geschieht, wenn ein Oscar-Preisträger einen Box-Weltmeister in seinen politischen Schlagabtausch begleitet? Die Sky-Dokumentation „Klitschko – Sein härtester Kampf“ gibt die Antwort. Warnhinweis: Dieser Film könnte Sie emotional berühren und Ihnen eine neue Sicht auf die Abwehrschlacht der Ukraine vermitteln.

Er ist 2,01 Meter groß. Sein Kampfgewicht liegt bei 112 Kilogramm. Die Reichweite wird mit 203 Zentimetern angegeben. Die K.o.-Quote mit 91 Prozent. Jetzt bringt es Vitali Klitschko, 48, auch noch auf 98 Minuten Film. Der Einzelkämpfer mit der Faust hat den Sprung zum Mannschaftssportler in der Politik gewagt.

Seit 2014 ist „Dr. Ironfist“ Bürgermeister von Kiew, seit dem 24. Februar 2022 und dem russischen Überfall auf die Ukraine ein Bürgermeister im Krieg. Über viele Monate hat ihn Oscar-Preisträger Kevin Macdonald („Ein Tag im September)“ für den Sky-Dokumentarfilm „Klitschko – Der härteste Kampf“ mit der Kamera begleitet. Vom 13. September an ist die Koproduktion von Docsville Studios, Broadview Pictures und Sky Studios exklusiv auf Sky und dem Streamingdienst WOW zu sehen. Es lohnt sich: Optisch und emotional bringt er den Zuschauer in unmittelbare Nähe zu einem Helden, der hier auf XXXL-Größe wächst – ob glücklich oder tragisch: Das lässt der Film offen.

„Er kämpft nur noch mit dem Herzen!“

Wer den Boxer Vitali Klitschko im Ring erlebt hat, der weiß: Muskeln und Kraft, Größe und Reichweite sind Vorteile; entscheidend sind Hirn und Herz. Wie dieses Herz im Boxer Klitschko arbeitet, legt sein Kampf gegen Lennox Lewis offen.

Es ist der 21. Juni 2003. Vitali Klitschko tritt als Außenseiter in den Ring des Staples Centers in Los Angeles. Es beginnt, was als „Kampf der Titanen“ in die Boxgeschichte eingehen wird. Klitschko startet offensiv, er trifft gut und schwer. Lennox Lewis wankt, und das mehr als einmal. In Runde drei reißt ein Faustschlag die Augenbraue Klitschkos auf. Cut über dem Auge, Blut im Gesicht, Blut im Gesichtsfeld. „Er sieht nichts mehr, er kämpft nur noch mit dem Herzen“, jubelt der Kommentator, „Klitschko ist der wahrscheinliche Sieger dieses Kampfes!“

Danach bricht der Ringrichter ab. Das Publikum feiert den Verlierer Klitschko. Zehn Jahre später wird er seine Karriere beenden, ohne ein einziges Mal wirklich k.o. gegangen zu sein. Seine beiden Söhne bestätigen es dem Zuschauer: „Sein Lebensmotto lautet – Scheitern ist keine Option!“

Bilder, denen sich kein Zuschauer entziehen kann

Wir sehen diese anderen Cuts, diejenigen, die noch viel mehr Blut kosten. Da ist eine Wunde in der Stadt Kiew, elftes Stockwerk, die Seite eines Hochhauses aufgerissen. Es ist still, als der Bürgermeister Vitali Klitschko, immer einen Kopf größer, durch die Trauernden geht. Wieder Kiew, 2023. Menschen auf der Flucht, Explosionslärm scheucht sie durch die Straßen der Stadt und hinab in die U-Bahnen. Wir sehen Trümmerfelder, Verletzte, Tote. Klitschko beugt sich tief, um Weinende und Kinder zu trösten. „Alles wird gut“, sagt er.

Er sagt es oft. Es sind diese Begegnungen, die zu Tränen rühren können, weil sie fühlbar machen, was dieser Krieg und das tägliche Morden für die Menschen in der Ukraine bedeuten. Eine Trauerfeier für gefallene Soldaten: Der Bürgermeister überreicht Stahlkreuze als Orden an die Hinterbliebenen. Immer wieder umarmt er, immer wieder beugt er sich hinab zu Kindern. „Dein Vater war ein echter Held“, sagt er, „ein echter Held.“ Danach fährt die Kamera zu Einzelgräbern dieser Helden. Dann schwenkt sie über Friedhöfe. Dann über ganze Gräberfelder: Helden und immer mehr Helden: Da schafft der Oscar-Preisträger Kevin Macdonald Bilder, denen sich der Zuschauer nicht entziehen kann.

Der Kampf gegen den Gegner aus den eigenen Reihen

Es gibt einen weiteren Kampf, den Vitali Klitschko zu führen hat. Die erste Runde beginnt schon zu einer Zeit, als Wolodymyr Selenskyj noch Komiker ist. Da macht er sich in seiner Fernsehshow immer wieder lustig über Klitschko, den Ungeschickten, der von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen tapst. Als Kiews Bürgermeister vor der Kamera nach seinem Verhältnis zum heutigen Präsidenten der Ukraine gefragt wird, antwortet er nur knapp: „Wir haben keine Beziehung.“ Dabei macht er ein Gesicht, als würde er gleich zum Leberhaken ansetzen.

Der Präsident der Ukraine gegen den Bürgermeister von Kiew: Das ist ein Kampf ohne Fairness und ohne Regeln. Gerade ist ein neunjähriges Mädchen im Raketenangriff Russlands gestorben, weil eine Bunkertür verschlossen war. Vor Fernsehkameras macht Selenskyj den Bürgermeister für den versperrten Schutzraum und damit direkt für den Tod der Neunjährigen verantwortlich. „Dies ist die konkrete Aufgabe des Bürgermeisteramtes“, sagt er.

Den Namen Klitschko will er nicht nennen. Er macht es infamer. Er spielt auf den Boxer an. Er spricht von einem „K.o.“. Auch Vitali Klitschko vermeidet es, den Namen seines Gegners in den Mund zu nehmen. Deutlich wird er in abstrakteren Sätzen: „Die Politik in diesem Land – nun, sie ist ein trübes Gewässer.“ Das aktuelle Regierungsbeben mit den Rücktrittsgesuchen von gleich neun Ministern gibt diesem Satz gerade besondere Aktualität.

„Bist du sicher, dass du das alles wirklich brauchst?“

Gegen Ende der fast 100 Minuten setzt der Dokumentarfilm den Zuschauer in die Küche Vitali Klitschkos. Der schiebt gerade noch eine Schüssel in die Mikrowelle. Dann stützt der Bürgermeister-Boxer die Arme auf die Tischplatte. „Mein Aufzug hat einen Spiegel“, erzählt er zwischen zwei Löffeln, „und oft betrachte ich mich darin und frage mich: Bist du sicher, dass du das alles wirklich brauchst?“ Vitali Klitschko löffelt weiter. „Und am nächsten Morgen, wenn ich ausgeruht bin, sage ich: So leicht gibst du nicht auf.“ Er lächelt. Er lächelt sehr breit.