Kolumne von Susan Arndt - „Alles Penner“: Als mein Taxi-Fahrer über Habeck schimpft, wird mir etwas klar

FOCUS-online-Kolumnistin Susan Arndt (l) und Robert Habeck (Grüne)<span class="copyright">privat; Kay Nietfeld/dpa</span>
FOCUS-online-Kolumnistin Susan Arndt (l) und Robert Habeck (Grüne)privat; Kay Nietfeld/dpa

Ein Taxi-Fahrer in Berlin entlädt seine Wut auf Grünen-Politiker und äußert ungefragt seine Meinung. Nein, ich bin auch kein Fan von Robert Habeck – aber dieses Bashing der Grünen wird uns noch teuer zu stehen kommen.

Neulich in einem Berliner Taxi übermittelte mir der Fahrer unvermittelt seine ungefragte und etwas unappetitliche Meinung: „Also, wenn Ick den sehe, da kommt’s mir hoch, wa.“

Ich hatte mich nicht auf die Straße und Umgebung konzentriert und brauchte einen Moment, um zu realisieren, wen er wohl gemeint haben könnte.

„Das Bashing der Grünen wird uns noch teuer zu stehen kommen“

Wir fuhren gerade an einer Reihe von Wahlplakaten vorbei, die auf einem Mittelstreifen installiert waren. „Wen meinen Sie denn?“, und langsam dämmerte es mir: „Einen Politiker?“

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„Ja, na klar, den von den Grünen“, erwiderte der Fahrer.

„Habeck meinen Sie?“, sage ich, während ich denke, dass mir der Small Talk von damals, als Taxi-Fahrer noch über das Wetter schimpften, lieber war.

Dann wollte ich aber der Small-Talk-Schelte doch noch etwas auf den Zahn fühlen.

„Geht es Ihnen bei anderen Politikern denn auch so?“, frage ich und bekomme die wohl unvermeidliche Antwort.

„Naja bei der, naja, Sie wissen schon, wird mir genauso übel. Bei den Grünen einfach. Alles Penner.“

„Ich bin auch kein großer Fan von Robert Habeck und der politischen Kursfahrt, die seine Partei in den letzten Jahren eingeschlagen hat“, gestand ich dem Taxi-Fahrer offen. „Mich nervt zum Beispiel auch der antimuslimische Rassismus des Habeck.“

Ich glaube, diese Aussage irritierte ihn. Jedenfalls sagte er nichts, murmelte nur so vor sich hin. „Aber“, so schloss ich meinen kleinen Counter, „das Bashing der Grünen wird uns noch teuer zu stehen kommen. Uns alle. Und vor allem unserer Demokratie.“

Habecks neues Buch: Viele Worte, aber für welche Zielgruppe?

Ja. Die Grünen für die Probleme des Landes verantwortlich zu machen, ist in Mode. Dazu trägt sicherlich bei, dass gefühlt jeder neue Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen so suboptimal kommuniziert wird, dass bei vielen dann nur noch ankommt: „Ihr sollt weniger haben und mehr arbeiten“. Dass das überhaupt nicht dem Inhalt der Vorschläge entspricht, gerinnt dann für viele meist nur noch zur Nebensache.

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Politische Kommunikation, also eigene Ideen verständlich und kohärent an Bürger*innen zu vermitteln, ist eine Fähigkeit, die jede Partei und jede*r Spitzenpolitiker*in genauso dringend benötigt, wie Ideen selbst überhaupt erst mal zu entwickeln.  Dass simple Lösungen ausreichen, ist dabei leider viel zu selten der Fall.

 

Dies thematisiert Robert Habeck in seinem neuen, pünktlich zum Wahlkampfauftakt erschienen, Buch „Den Bach rauf“. Doch wer ist hier eigentlich die Zielgruppe? Bei der Premiere im Charlottenburger Delphi Filmpalast, bei dem schon der Eintritt 18 Euro kostete, kann man sich vorstellen, wer aufmerksam zuhörte und mitdiskutierte.

Und wer findet Zeit für die vielen Worte im Buch? Sich dessen möglicherweise bewusst, versucht Habeck nun einige seiner Anliegen auch in weniger Worten zu vermitteln. Eines dieser Worte, das auch auf vielen der Wahlplakate zu finden ist: „ Zuversicht“.

Wer kann sich das denn leisten, Zuversicht?

Als ich das erste Mal diese Parole hörte, da wurde ich zugegebenermaßen auch etwas wütend. Wer kann sich das denn leisten, Zuversicht – dachte ich. Inmitten von Kriegen, Krisen, Rechtspopulismus, Rassismus, Klimawandel, da kann es einem doch schon sehr schwerfallen, Zuversicht aufzubringen.

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Wie spricht das Leute an, die ernsthafte existenzielle Sorgen in ihrem Leben haben? Ich kann ja zuversichtlich sein. Aber das wird meinen Vermieter nicht daran hindern, meine Miete erneut anzuheben.

Doch auf einer anderen Ebene verstehe ich die Botschaft auch als eine, in Zeiten des Doom-Scrollings, seltene positive Mut-Machung. Es ist ein politisch unvoreingenommener Begriff. Eine Art Habeck’sche Version von „Wir schaffen das“. Es ist der wohl zaghafte Versuch, die Leute in ihren individuellen Sorgen ernst zu nehmen. Ja, wir haben Probleme. Aber vermeintlich einfache Lösungen werden diesen komplexen Thematiken nicht gerecht. Sie werden sie verschlimmern.

Doch Zuversicht allein wird ebenfalls nicht ausreichen. Tatsächlich ist in einer Demokratie jede*r Einzelne gefragt, sich einzubringen. Etwas zu leicht macht man es sich damit, die Schuld auf die Politiker*innen allein zu schieben.

Kritik an politischen Prozessen ist angebracht und wichtig. Aber inmitten kapitalistisch erzeugter Ungleichheiten gibt es sehr viel mehr Gründe für Probleme unserer Gesellschaft und einzelner Menschen.

Natürlich muss Politik, die diese Prozesse rahmt, gerade deswegen immer auf den Prüfstand genommen werden. Das tue ich auch immer wieder, etwa in dieser Kolumne.

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Doch der Hass auf Politiker*innen nimmt immer mehr Ausmaße an, dem wohl keine andere Berufsgruppe in dieser Form ausgesetzt ist. Und er wird immer privater.

Dissens in der Politiklandschaft ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig

Diese Form des Hasses auf Politiker*innen geht dabei nicht nur von Privatpersonen aus. Auch politische Parteien untereinander begegnen sich mitunter auf einem Level, das mit inhaltlicher konstruktiver Diskussion stellenweise nur noch wenig zu tun hat.

Und damit meine ich nicht nur die Wut-Inszenierungen einer Alice Weidel. Auch die demokratischen Parteien verfolgen mitunter eine Art Sündenbockpolitik, die den jeweils anderen die Schuld in die Schuhe schiebt. Ganz besonders stehen dafür CDU/CSU und die FDP und ganz besonders hart werden Bündnis 90 / Die Grünen attackiert.

Dissens in der Politiklandschaft ist nicht nur erlaubt, sondern auch dringend notwendig für das Funktionieren einer Demokratie. Aber dabei sollten gewisse Spielregeln eingehalten werden. Das Einschießen auf das politische Gegenüber hat aus meiner Sicht drei große Probleme.

Erstens hat das Verhärten der Fronten zur Folge, dass das politische Gegenüber nicht mehr als Herausforderer wahrgenommen, sondern als Feind inszeniert wird. Das aber erschwert nicht nur die Koalitionsfindung, sondern auch das potenzielle gemeinsame Regieren – wie sich am Beispiel Ampelregierung auch gezeigt hat.

Zweitens treten die eigentlichen Inhalte und Möglichkeiten, etwa soziale Ungerechtigkeit oder den Klimawandel zu stoppen, mehr und mehr in den Hintergrund. Vielleicht ist eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften oder vielleicht sind Wärmepumpen eine gute Idee, vielleicht nicht. Aber Fakt bleibt, dass das Krankenversicherungssystem reformbedürftig und der Planet vor der menschengemachten Klima-Katastrophe steht.

Produktive Debatten müssen hier weiter führen, als sich über Habecks Entscheidung bei der Fährblockade zu empören oder ihn gar deswegen als „Feigling“ zu beschimpfen – oder auch, wie der Cicero das tat, ihn als „Schwachkopf“ persönlich anzugreifen. Denn je häufiger die Mitte der Gesellschaft dem Ton der Rechtspopulisten zustimmt und dem Politikerbashing Raum gibt, umso mehr wird am Vertrauen in das politische System gesägt und werden unser Grundgesetz und unsere die Demokratie gefährdet.

 

Wer die Demokratie verteidigen will, muss Gegner vor Feinden schützen

Dass CDU/CSU oder FDP im Buhlen um Wählerstimmen der AfD so tun, als seien Migration und grüne Politik tatsächlich die schwerwiegendsten Probleme dieses Landes, ist der eigentliche „Vater aller Probleme“.

Wenn alle lügen, liefern sie der rechtspopulistischen Schlacht gegen die Demokratie Munition. Diese befeuert Ärger und Frustration in der Bevölkerung und schadet dabei jeder Zuversicht, dass es demokratisch erstreitbare Lösungen für die Miseren unserer Zeit gibt.

Um diese Spirale des Hasses aufzuhalten, sind wir alle gefragt, uns einzubringen und uns zu fragen, welche Werte wir in den nächsten vier Jahren priorisieren wollen. Auf persönlicher und politischer Ebene – denn diese sind ohnehin kaum voneinander zu trennen.

Wenn ich eine andere Person auf persönlicher Eben angreife, macht das auch immer auch etwas mit mir selbst. Und der Diskurs verroht. Wie wir miteinander und auch mit Menschen in politischen Ämtern umgehen, bestimmt, ob aus Streit Hass oder aus Dissens eine produktive Debattenkultur entstehen kann.

Um die Spirale des Hasses aufzuhalten, sind wir alle gefragt, uns einzubringen und zu fragen, welche Werte wir in den nächsten vier Jahren priorisieren wollen. Wer die Demokratie verteidigen will, muss politische Gegner vor den Feinden der Demokratie beschützen.

Jeder Stein gegen Habeck wird uns noch teuer zu stehen kommen

Umgekehrt bedeutet das, dass jeder Stein, der gegen einen demokratischen Politiker wie Robert Habeck geworfen wird, uns noch teuer zu stehen kommen wird.

Bei dem Grünen-Bashing steht nichts Geringeres auf dem Spiel als die Frage, ob die Spielregeln der Demokratie verteidigt oder grundgesetzfeindlichen Parteien wie die AfD oder das BSW die Zukunft dieses Landes überlassen wird.

Mir scheint, dass es allen, denen die Demokratie am Herzen liegt, Warnung genug sein sollte, dass in Sachsen eine rechtsextreme Partei etwa den Innen- und im Justizausschuss sowie den Bildungsausschuss leitet.

Wer in dieser Situation immer noch auf Habeck einhaut, statt die Möglichkeit demokratischer Bündnisse und Koalitionen zu setzen, gefährdet nicht nur Zuversicht, sondern eine sichere Zukunft dieses Landes. Und wer nach Elon Musks Hitlergruß immer noch glaubt, alles gehe mit demokratischen Regeln zu, der macht mir wirklich Angst.