Kolumne von Susan Arndt - Düstere Zeiten nach den Wahlen im Osten - so kommen wir da wieder raus

Susan Arndt blickt kritisch auf die Wahlen in Sachsen und Thüringen.<span class="copyright">Arndt/dpa</span>
Susan Arndt blickt kritisch auf die Wahlen in Sachsen und Thüringen.Arndt/dpa

Ja, die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sind düster – aber hier kommen wir wieder raus! Was wir jetzt tun müssen, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht verloren geht.

Das Votum der Friedlichen Revolution von 1989 war eindeutig. Sie erstritt Freiheit und erklärte der SED-Diktatur den Krieg. Bei den Wahlen im März 1990 entschied sich die ostdeutsche Mehrheit für ein vereintes Deutschland. Die Denkmalwerkstatt der Stiftung Friedliche Revolution im Hansa Haus ist ein wichtiger Erinnerungsort, um an diese Zeiten des Aufbruchs zu erinnern und deren Vermächtnis in die Gegenwart zu tragen.

Niemand wütete in den Raum hinein

Deswegen war es eine große Ehre für Georg Hein und mich, dass wir für die Arbeitsgruppe „Deutschland solidarisch gestalten“ unsere Broschüre „Was die AfD behauptet, was das für uns alle bedeutet und wie wir darüber diskutieren können“ in diesen Räumen vorstellen durften.

Wir redeten fast zwei Stunden und es fiel kein einziges wütendes Wort. Dafür brauchten wir nicht einmal eine Gesprächsführung. Auch ohne diese kamen alle zu Wort. Wer mit einer Meinung nicht einverstanden war, widersprach. Und wer ein Argument nicht teilte, brachte Gründe dafür vor. Nicht durch Zwischenrufe.

Es schien einfach, erst zu sprechen, nachdem die Person davor ausgesprochen hatte. Niemand unterbrach jemanden anderen. Niemand beleidigte jemanden anderen. Niemand wütete in den Raum hinein. Ich war so glücklich wie lange nicht. Und als ich das aussprach, erschrak ich doch zugleich.

Denn genaugenommen sprach ja aus diesem Glücksgefühl die Traurigkeit darüber, dass es eine Seltenheit geworden ist, dass Menschen, die verschiedener politischer Meinung sind, sich einander wertschätzend ausreden lassen.  Obwohl jeder es mag, wertgeschätzt zu werden, dominieren haltlose Vorwürfe die aktuelle Debattenkultur. Obwohl es niemand wertschätzt, beim Reden unterbrochen zu werden, kann kaum noch jemand mal wirklich ausreden. Und obwohl es niemand mag, angeschrien zu werden, wüten viel zu viele rum – gegen die da oben oder gegen Migranten, denen sie nie begegnet sind.

Menschen sind Menschen, weil sie miteinander füreinander da sind

Diese Wut ruiniert aber nicht nur das Klima, das unseren Alltag prägt. Sie ruiniert auch das, was Menschsein im Innersten zusammenhält: Menschen sind Menschen, weil sie miteinander füreinander da und dabei achtsam und emphatisch sind: Ein Autofahrer geht in die Vollbremsung, weil ein kleiner roter Ball mit weißen Punkten auf die Fahrbahn purzelt. Der Ball war einem Kind vom Fuß geglitten, als es über die eigenen Schnürsenkel stolperte und sich dabei das Knie aufschlug. Eine Passantin kommt vorbei. Sie hilft dem Kind auf die Beine. Und während dieses seine Schnürsenkel zubindet, lächelt ein anderer Passant dem Autofahrer zu, der noch immer unter Schick steht.

Natürlich könnte das der Beginn einer lebenslangen Liebe zwischen dem Passanten und dem Autofahrer sein. Aber auch ohne diesen Hollywood-Kitsch zeigt die Szene wahrhafte Alternativen auf, die in unserer Gegenwart so rar geworden sind.

Als am 1. September 2024 die Wahlergebnisse für die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen bekannt wurden, sprach Björn Höcke von einem historischen Sieg. Das war natürlich auch eine Verbeugung gen Vergangenheit und Nationalsozialismus und eine Kriegserklärung an die Demokratie.

Statt sich um die AfD zu sorgen, wütet CDU gegen demokratische Kollegen

Doch statt dies zu betrauern, bejubelten auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer oder der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, Mario Voigt, einen vermeintlichen Sieg. Und statt die fehlenden Stimmen für die Demokratie als Niederlage für die bundesdeutsche Demokratie in ihrer Gänze anzuerkennen und dies auch entsprechend zu betrauern, taten sie das Gegenteil.

Statt sich über die AfD zu sorgen, wüteten sie, wie schon den ganzen Wahlkampf hinweg, gegen ihre demokratischen Kollegen und Kolleginnen. Und gegen Migranten. Nach der Wahl in Brandenburg ging das weiter, nur mit veränderten Vorzeichen. Jetzt machte die CDU die SPD dafür verantwortlich, dass sie selbst an Stimmen verloren hat und die AfD erstarkt ist. Doch schon seit 2014 verliert die CDU kontinuierlich an Zuspruch, insgesamt 11 Prozent der Stimmen. In der jetzigen Wahl verlor die CDU 13.000 an die SPD und 14.000 an das BSW. 21.000 Wählerstimmen wanderten allerdings von der CDU zur AfD. Das ist ein wichtiges Warnsignal mit Blick auf die Bundestagswahlen in knapp einem Jahr.

Wer die faschistischen Inhalte der AfD feiert, wählt genau deswegen das Original, nie die Kopie. Deswegen wäre die Union gut beraten, statt auf Rassismus oder Verbote geschlechtergerechter Sprache auf Demokratiebündnisse zu setzen.  Sachsen, Thüringen und Brandenburg müssen jetzt Regierungsbündnisse schmieden, die vor allem in Thüringen und Brandenburg die Grenzen der Demokratie überschreiten.

Die Mär von der ostdeutschen Protestwählerei

Ja, 47 Prozent der 2,1 Millionen Thüringerinnen und 42 Prozent der 2,5 Millionen Brandenburger bzw. 4,1 Millionen Sachsen haben Rassismus, Nationalismus und putinistischer Autokratie ihr Ja-Wort gegeben. Aber die Mehrheit der Menschen dieser Bundesländer tat dies nicht. Mehrheitlich wollen sogar die AfD-Wähler auf keinen Fall, dass Björn Höcke Ministerpräsident wird. Und zwei Drittel der Brandenburger AfD-Wähler und Wählerinnen vertrauen dem SPD-Mann Dietmar Woidke mehr als dem AfDler Hans-Christoph Berndt – und wollen Woidke statt Berndt als Ministerpräsidenten haben.

Diese ganze Mär von der ostdeutschen Protestwählerei trägt am Ende also nicht besonders weit. Und noch weniger trägt es weit, dass die CDU gegen die anderen demokratischen Parteien wütet, während sie der AfD nacheifert. Die demokratische Mitte muss sich auf die Mitte besinnen und dort zusammenhalten.

Noch haben wir die Wahl. Wir alle. Soll das kommende Jahr eine Schlammschlacht werden, die dadurch entschieden werden soll, wer lauter lügen kann, dass es Deutschland super schlecht gehe und das dafür die 200.000 Asylanträge pro Jahr verantwortlich sind? Oder sollen die eigentlichen Herausforderungen unserer Zeit Gegenstand demokratischer Debatten sein, also etwa soziale Ungerechtigkeit, Altersarmut, familiäre Gewalt, v.a. gegen Kinder und Frauen, der Gender Pay-Gap, Rassismus in Schulen und am Arbeitsplatz, Digitalisierung und Energiewandel, Klimaschutz und Weltfrieden.

Darf sich Mensch nennen, wer Menschen mit Behinderungen wegsperren will?

Um diese Probleme lösen zu können, benötigt Deutschland das gesamte Spektrum der demokratischen Parteienlandschaft und eine Gesellschaft, die sich nicht durch plumpe Lügen und leere Versprechen des Populismus falscher Sicherheit wiegen lässt. Gegebene Komplexitäten als eben solche auch sehen zu wollen, kann Angst machen. Aber Scheinlösungen stellen die eigentliche Gefahr dar. Hass kann sich mächtig anfühlen. Aber er ist nicht mächtig genug, Probleme zu lösen. Und auch wenn ich mir eine andere Meinung nicht anhöre, so ist sie doch noch da. Natürlich ist es wichtig, sich zuzuhören – und aufeinander einzugehen. Doch das allein reicht momentan nicht mehr aus.

Eigentlich liegen alle Fakten auf dem Tisch. Alles wurde gesagt. Niemand kann die AfD wählen, ohne nicht zu wissen, dass er damit Rassismus, Sexismus, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen oder Homophobie bejaht. Bei unserem Leipziger Treffen war auch ein Vertreter einer Bürgerinitiative dabei, die seit Jahren entsprechende Äußerungen unter dem Titel „Damit später niemand sagen kann: Oh, ich habe das ja gar nicht gewusst!“ dokumentiert.

Aber eigentlich geht es gerade gar nicht (mehr) um solche Zitate oder Argumente. Es geht darum, dass die Wut die Empathie erstickt hat. Doch wer sind wir, wenn die Empathie uns verlässt? Wie weit ist es dann noch zu jenen, die sich wünschen, dass Menschen absaufen mögen, nur weil sie keinen deutschen Pass besitzen? Darf sich Mensch nennen, wer Menschen mit Behinderungen am Leben hindern oder zumindest wegsperren will?

Empathie und Achtsamkeit kennen keine völkische Segregation

Inmitten des Rechtsextremismus in Europa vertritt die AfD diese Anti-Werte, mit denen sie nicht nur die Errungenschaften von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie, sondern auch jeden gesellschaftlichen Zusammenhalt zerschmettern will.  Ja, die Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind düster. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl kommen wir hier wieder raus! Durch gesellschaftlichen Zusammenhalt!

Der Wahlkampf braucht faire Debatten, die für nichts so sehr kämpfen wie die Grundwerte der Demokratie – und eine Gesellschaft, die genau dies einfordert. Dabei darf sich an Triggerpunkten gerieben werden, solange die eigenen Wahrnehmungen und Bedürfnisse artikuliert werden können, ohne die der anderen zu ignorieren. Und zwar von allen. Empathie und Achtsamkeit kennen keine völkische Segregation. Denn die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar.

Deswegen müssen wir, als Gesellschaft, die dem anstehenden Wahlkampf die Richtung weist, die AfD als gesamtdeutschem Problem die rote Karte zeigen. Dann kann Deutschland wieder zusammenwachsen, um bestehende Gräben zwischen Ost und West ebenso zu überwinden wie alle anderen, die der Faschismus zum Leben braucht. Die Stiftung Friedliche Revolution hat den entsprechenden Kompass längst in der Hand. Das von ihr initiierte Freiheits- und Einheitsdenkmal wird auch dafür ein wichtiger Erinnerungsort werden.