Kolumne von Susan Arndt - Als ich Rassismus anspreche, kommt es zum Tumult: „Ihre Wokeness zerstört das Land“
Als ich bei einem Vortrag zur AfD über die historische Genese des Rassismus spreche, kommt es zum Eklat. Eine Wissenschaftlerin bricht in wütende Zwischenrufe aus. Wie der Kampfbegriff „woke“ unsere Debattenkultur zerstört.
Vor einigen Wochen hielt ich einen Vortrag auf einer Veranstaltung. Ich war eingeladen worden, um mein Buch „Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD“ vorzustellen. Die Organisatoren baten mich, die AfD in die historische Genese des Rassismus einzuordnen.
Diesen Vortrag aber konnte ich nur mit vielen Unterbrechungen halten. Insbesondere die Direktorin der Stiftung, in der ich auftrat, hielt es kaum auf ihrem Stuhl. Sie schüttelte unablässig den Kopf und rief lautstark dazwischen. Was war passiert?
Ich hatte über die Geschichte des Rassismus gesprochen und war schließlich bei der Aufklärung angekommen. Ich betonte, dass sie für Werte wie „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ stehe, auf das sich Europas Selbstverständnis, Hort von Freiheit und Demokratie zu sein, bis heute stützt.
Das sei eine wundervolle Vision, sagte ich, brachte dann aber kritisch zur Sprache, dass „Brüderlichkeit“ damals von den meisten sehr wörtlich gemeint gewesen sei.
Denn tatsächlich machten Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau oder Immanuel Kant keinen Hehl daraus, wie absurd es sei, dass Frauen nach Zugang zu Bildung oder einem Wahlrecht verlangten. Zudem steht Kant für die Überzeugung, dass Schwarze keine vollwertigen Menschen seien und deswegen auch keinen Anspruch auf „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ hätten.
Kant engagierte sich bei der Weiterentwicklung von Rassentheorien
Zwar gab es viele Aufklärer*innen, die sich dem antikolonialen Kampf und dem Abolitionismus anschlossen, der so alt ist wie die Versklavung selbst. Denn natürlich hat sich jeder einzelne der über 20 Millionen von Europa versklavten Afrikaner*innen dagegen gewehrt, versklavt zu werden. Kant aber argumentiert, wie später auch Hegel, dass es gerecht sei, dass Weiße Schwarze versklavten.
Was ich da sagte, gefiel der Kant-Forscherin, die die Stiftung leitet, in der ich meinen Vortrag hielt, nicht. Das finde ich völlig legitim. Nicht nachvollziehbar aber fand ich, wie sie das artikulierte.
Ein Ort, an dem Rassismus laut sagbar wurde
Denn nun sprang die Chefin des Veranstaltungsorts von ihrem Stuhl auf. Sie schrie, dass ich einfach nur dumm sei und keine Ahnung habe. Dann drehte sie sich zum Publikum um und bewegte ihre Arme, fast einer Dirigentin gleich, um das Publikum ebenfalls dazu anzufeuern, mich mit Buh-Rufen zu bedenken. Einige stimmten tatsächlich ein und der Raum füllte sich mit einem lautstarken, unfreundlichen Grummeln.
So angeheizt, fühlten sich Personen, die sich als Sympathisant*innen der AfD zu erkennen gaben, eingeladen, rassistische Parolen zu dreschen. Kant habe völlig recht, sagte einer von ihnen.
Er meinte aber nicht den Kategorischen Imperativ. Er meinte Kants Rassentheorien. Schwarze (er benutzte ein rassistisches Wort) taugen zu nichts und ... Ich möchte seine rassistischen Aussagen hier nicht zitieren . Andere stimmten ein und zu. Und so befand ich mich plötzlich an einem Ort, an dem Rassismus laut sagbar wurde.
Als ich schließlich wieder zu Wort kam, sagte ich genau das. Und ich erinnerte die Direktorin an die Goldene Regel und den Kategorischen Imperativ: „Sollten Sie irgendwo zu einem Vortrag eingeladen sein, möchten Sie dann so behandelt werden?
Möchten Sie, dass Debatten hierzulande von nun an so geführt werden? Finden Sie es gut, Räume so zu gestalten, dass Rassismus Raum bekommt, statt in die Schranken verwiesen zu werden? Ist letzteres nicht ein grundgesetzliches Gebot?“
„Sehen Sie, Ihre Wokeness zerstört dieses Land“
Als mir ein Gast zustimmte, lief die Stiftungs-Direktorin wutschnaubend mit den Worten zur Tür: „Ich glaube, ich gehe dann lieber.“ Sie zögerte. Doch weil ihr niemand widersprach, tat sie das dann schließlich auch. Die folgende Reaktion aus dem Publikum kam nicht mal unerwartet für mich: „Sehen Sie“, sagte eine Frau, „Ihre Wokeness zerstört dieses Land.“
Diese Position vertreten auch Intellektuelle wie Susanne Schröter oder Harald Martenstein. Dieser schrieb am 6. August 2024 in seiner Kolumne in der „Welt“ : „ Woke Wahnsinnige hören erst auf, wenn sie uns in den Wahnsinn getrieben haben.“
Schon krass, dass die Leute, die sich darüber empören, dass sie People of Color nicht sagen wollen, weil es kein deutsches Wort sei, dieses aus dem Englischen stammende Wort so lieben. Denn „woke“ ist ja die Vergangenheit des englischen Wortes „wake“, also „aufwachen“. Seit den 1930er Jahren wurde es in den USA und in Großbritannien für Protest gegen soziale Ungerechtigkeit benutzt.
Laut dem Oxford English Dictionary , dem maßgeblichen britischen Wörterbuch für die englische Sprache, meint „woke“ ursprünglich, „gut informiert“ und „auf dem neusten Stand“ zu sein. Seit einiger Zeit bedeutet es aber auch Wachsamkeit gegenüber rassistischer oder gesellschaftlicher Diskriminierung und Ungerechtigkeit. „Woke“ zu sein, heißt also „wachsam bleiben“.
Ja, in diesem Sinne bin ich woke
Ja, in diesem Sinne bin ich woke. Mir ist es wichtig, soziale Ungerechtigkeit nicht zu akzeptieren und jeder Form von Diskriminierung Sand im Getriebe zu sein. Darüber schreibe ich meine Bücher. Mein Buch „Rassismus begreifen“, das bei C.H. Beck in München erschien, wurde von Harald Martenstein in „Die Zeit“ und „Radio Eins“ „rezensiert“.
Seine „Rezension“ begann mit der Aussage, dass er das Buch nicht gelesen habe, weil er „so was“ nicht lese. Auch etwas, das mir nicht mit dem Kategorischen Imperativ vereinbar scheint. Denn ich glaube, Martenstein und auch Schröter wollen schon, dass ihre Bücher und Kolumnen, die gegen Wokeness hetzen, gelesen werden.
Sie wollen, dass ihr Versuch, sich Wokeness anzueignen und dem Wort eine neue Stoßrichtung zu geben, Raum bekommt. Für sie soll Wokeness als eine sich an falschen Moralvorstellungen, übertriebenen Gefühlen und unnötigen Zielen orientierende politische Gesinnung gelten. Diese würde sich, so behaupten die beiden, der Interessen der Minderheiten annehmen und dies würde der Mehrheitsgesellschaft schaden.
Daraus leitet Schröter ab, dass Leute wie ich „Partikularistinnen“ seien, welche die Gesellschaft spalten würden, während sie eine „Universalistin“ sei, welche das große Ganze im Blick habe. Da lässt aber auch sie den Kategorischen Imperativ auf der Strecke. Denn dieser räumt ja gerade Minderheiten die gleichen Rechte wie der Mehrheit ein.
Diese simple Botschaft fehlt aber der Agenda der AfD
Jede freiheitliche Gesellschaft muss genau so ausgerichtet sein, dass sie die Interessen von Minderheiten ebenso verteidigt wie die der Mehrheit. Das ist kein Widerspruch. Denn wenn es weniger Sexismus oder Rassismus gäbe, wieso sollte das der Mehrheit schaden?
Wenn ich bei einer Vorstellungsrunde meine Pronomen sage, warum sollte das das Leben von Susanne Schröter belasten? Wenn ich das M-Wort nicht aussprechen will, warum sollte das Harald Martenstein in den Wahnsinn treiben? Am Ende steht Woke, und daran halte ich fest, für einen konsequenten Kampf für Menschenrechte. Und Menschen, die Woke despektierlich verwenden, treten eben dies mit Füßen.
Ich hoffe, dass in den anstehenden Wahlwochen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Kants Kategorischer Imperativ ebenso ein Leitbild sein kann, wie der christliche Grundsatz „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Das bedeutet zum einen, dass ich meine eigenen Interessen vertreten kann und muss. Zum anderen aber bedeutet es auch, dass ich dabei auf jene achten muss, mit denen ich mir dieses Land und diese Welt teile.
Eben diese simple Botschaft fehlt aber der Agenda der AfD. Denn sie sagt: „Euch geht es schlecht? Hier ist die Lösung: Behandelt andere noch schlechter.“ Das Muster, für die eigenen Probleme, andere, schwächere Menschen verantwortlich zu machen und ihnen dafür rassistische Gewalt anzutun, hat bislang nur Katastrophen erzeugt. Deswegen ist es an der Zeit, einen neuen Weg zu suchen.
Abend hat etwas aus dem Gleichgewicht gebracht
Statt nach unten zu treten, solange es noch geht, sehe ich in Solidarität und Zusammenhalt ein Rezept für eine Welt, in der sich alle wohlfühlen können. Denn zusammen zu sein, gibt Halt. Gegeneinander zu kämpfen, wirft letztlich alle aus der Bahn.
Der Abend hatte mich tatsächlich etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Doch es gab auch Leute, die das nicht so hinnehmen wollten. Nachdem der offizielle Teil vorbei war und jene, die den Raum mit ihren Schreien zum Beben gebracht hatten, gegangen waren, kam es zu einem sehr wärmenden Gespräch.
Eine junge Frau sagte zu mir: „Ich glaube, Kant war woke. Zumindest sein kategorischer Imperativ war das.“ Das ist ein beruhigender Gedanke, der mich auch wieder mehr mit Kant versöhnt. Gut, dass er jetzt in dem Team ist, dass seinen eigenen Rassismus bekämpft – und den der AfD.