Kolumne von Susanne Schröter - Der Kampf gegen rechts ist krachend gescheitert – es gibt Klärungsbedarf

Weniger als zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist klar: Der Kampf gegen Rechts ist krachend gescheitert. Ein Plädoyer für kluge Politik - und gegen Worthülsen und moralische Besserwisserei.

Wie das Kaninchen auf die Schlange schaut die Republik mit wachsendem Entsetzen auf die östlichen Bundesländer, wo die Zustimmungswerte zur AfD steil nach oben gehen. Alle Mühen der selbst ernannten Kämpfer gegen Rechts waren offenbar vergebens.

Die Kirchen hatten vollmundig bekundet, die Weltauffassung der Partei sei mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar und deren Mitglieder von allen Ämtern ausgeschlossen. Gewerkschaften und Zivilgesellschaft malten die drohende Wiederkehr eines neuen Faschismus an die Wand, und Anfang des Jahres 2024 gingen deutschlandweit Millionen von Menschen gegen die AfD auf die Straße.

Auslöser der Massendemonstrationen war eine Kampagne des Medienunternehmens Correctiv, die ein Treffen, an dem Mitglieder von AfD und CDU teilnahmen, mit der Wannsee-Konferenz des Jahres 1942 verglichen hatte.

„Der Correctiv-Bericht legte die Interpretation nahe, bei dem Potsdamer Treffen sei auch eine Ausweisung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund diskutiert worden. Die „Tagesschau“ berichtete unter Berufung auf Correctiv entsprechend – und handelte sich ein gerichtliches Verbot ein, weil das OLG Hamburg darin eine unwahre Tatsachenbehauptung erkannte.*

Der Kampf gegen Rechts war keineswegs nachhaltig

Obwohl bereits zu Beginn Zweifel an der Darstellung aufkamen, war die Kampagne zunächst ein voller Erfolg. Die Zustimmungswerte der AfD brachen ein, und Debatten über ein Parteiverbot kamen auf.

Dass der Kampf gegen Rechts allerdings keineswegs nachhaltig war, zeigte die Europawahl. Obwohl der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah kurz vor der Wahl von seiner eigenen Partei aus dem Rennen gezogen und mit einem Auftrittsverbot belegt wurde, erzielte die AfD 16 Prozent und gelangte nach der Union auf Platz zwei.

Allen Unkenrufen zum Trotz, dass es sich bei der AfD um eine Partei alter Männer handele, gaben ihr 17 Prozent der jungen Wähler zwischen 16 und 24 Jahren die Stimme. Nur elf Prozent wählten grün, jeweils neun Prozent die SPD und die sich betont jugendlich gebende Partei Volt.

Gleichauf mit der AfD lag bei den Jungwählern lediglich die Union. Angesichts solcher beunruhigender Ergebnisse hieß es: die Anstrengungen im antifaschistischen Kampf zu verdoppeln, um das Volk in letzter Minute wachzurütteln.

Saskia Eskens seltsame Ost-Aussage im ZDF-Sommerinterview

Und nun das. Umfragen zufolge könnte die AfD zwischen 30 und 32 Prozent aller Wählerstimmen in Sachsen, 29 Prozent in Thüringen und 24 Prozent in Brandenburg erhalten. Für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wo erst 2026 gewählt wird, sieht es nicht besser aus.

All dies sei die Folge einer tief verwurzelten autoritären Gesinnung seit der ehemaligen DDR, meint der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, während der Leipziger Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann eine vermeintliche Benachteiligung des Ostens gegenüber dem Westen ins Spiel bringt.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken verstieg sich im jüngsten ZDF-Sommerinterview sogar zu der Aussage, die Anerkennung der Lebensleistung ostdeutscher Menschen könne helfen, die AfD zurückzudrängen und die SPD vor einem Absturz in die vollkommene Bedeutungslosigkeit zu bewahren.

Bei der AfD gäbe es genug zu klären - doch es geschieht einfach nicht

Wie man die Mentalität im deutschen Osten auch einschätzt, klar sollte sein, dass der betrübte Blick in die neuen Bundesländer allein nicht weiterhilft. Denn wenngleich die AfD dort überall den ersten Platz in der Wählergunst einnehmen könnte, ist sie kein rein ostdeutsches Phänomen. Auch im Bundesdurchschnitt stand sie am 17. August wieder bei 19 Prozent.

Eigentlich könnte man erwarten, dass angesichts dieses Desasters die Stunde berufener Analysten schlüge. Fragen gibt es schließlich genug. Wie kann es sein, dass eine Partei, die der Fantasie eines ethno-nationalistischen Bullerbü anhängt und die eigene Wirtschaft durch Abschottung vor globaler Konkurrenz ruinieren würde, so populär ist?

Eine Partei, in der es zweifellos Menschen mit rechtsradikaler und menschenverachtender Einstellung sowie Verbindungen zu dumpf-faschistoiden Kreisen gibt? In der eine fundamentale USA-Feindlichkeit und eine ebenso manifeste Zuneigung zu Russland inklusive seines derzeitigen Potentaten kultiviert wird?

Es gäbe genug zu erklären, doch dafür müsste man sich einerseits inhaltlich mit ihren politischen Positionen sowie andererseits mit den Bedingungen auseinandersetzen, die sie als Alternative zu den anderen Parteien erscheinen lassen. Das geschieht allerdings nicht. Stattdessen werden von Medien, Politik und nicht-staatlichen Politakteuren Worthülsen aneinandergereiht, die niemanden überzeugen können, der nicht ohnehin der Ansicht ist, hier sei der leibhaftige Antichrist erschienen.

Moralinsaure Besserwisser in Medien und Politik

Dazu kommt ein sehr freihändiger Umgang mit dem Begriff „rechts“, der gewöhnlich anstelle des Terminus „rechtsradikal“ verwendet wird. Bereits bei den Demonstrationen gegen rechts mussten mitmarschierende Christ- und Freidemokraten erfahren, dass sie von den Organisatoren auf der Seite des Feindes verortet wurden und daher gewissermaßen gegen sich selbst demonstrierten.

Von woke-linker Seite hat man es sich ohnehin angewöhnt, alle, die nicht die eigene Ideologie teilen, umstandslos als rechts im Sinne von rechtsradikal zu denunzieren. Ganz besonders gilt dies für Kritik an der Gender-Ideologie, am Islamismus oder an der derzeitigen Migrationspolitik.

Dies sind aber just Themen, die große Teile der Bevölkerung umtreiben. Quer durch alle Schichten reagieren Menschen zunehmend empfindlich auf die moralinsauren Besserwisser in Medien, Bildungseinrichtungen und Politik, die ihre Ideologie für eine allein seligmachende Wahrheit halten und andere dazu nötigen wollen, verquastete Sprachregelungen zu praktizieren und über die Herkunft von Messerstechern zu schweigen, die Züge und Bahnhöfe unsicher machen.

Sie möchten sich nicht damit abfinden, dass Fußgängerzonen durch Poller vor islamistischen Anschlägen geschützt werden müssen, dass Frauen im öffentlichen Raum nicht mehr sicher sind oder dass Kinder in der Schule gemobbt werden, weil sie Deutsch sprechen. Sie halten nichts davon, dass Polizisten des Racial Profiling beschuldigt werden, wenn sie angesichts immer schwierigerer Umstände versuchen, für Sicherheit zu sorgen.

Die Bagatellisierung und Tabuisierung gesellschaftlicher Missstände

Wer so etwas zulässt, bekommt Glaubwürdigkeitsprobleme. Wer vertraut Politikern, die darüber schwadronieren, dass Intensivtäter ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland nichts verloren haben, wenn diese gleichzeitig alles dafür tun, dass Abschiebungen nicht stattfinden?

Wer möchte nach neuen Statistiken, die einen kontinuierlichen Anstieg migrantischer Gewalt dokumentieren, mit der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Plattitüde belästigt werden, man brauche eben Fachkräfte. Niemand möchte nach einer nächsten Silvesterrandale hören, dass wir den Migranten der dritten und vierten Generation nicht die richtigen Angebote gemacht haben. Und wirklich kein vernünftig denkender Mensch will islamistische Attentate damit entschuldigt wissen, dass die deutsche Gesellschaft islamfeindlich sei.

Durch die Bagatellisierung und die Tabuisierung solcher gesellschaftlicher Missstände ist eine Repräsentationslücke entstanden, die die AfD füllt. Ihre Vertreter stellen Anfragen zu islamischen Gefährdern oder der Häufigkeit von Messerdelikten, und sie fordern Verbote islamistischer Organisationen. Das wird zunehmend von denjenigen honoriert, die fürchten, man erhalte nur geschönte Informationen über den Zustand unserer Einwanderungsgesellschaft.

Wer Extremismen mit zweierlei Maß misst, delegitimiert sich selbst

Doch es ist auch die Art, wie der Kampf gegen Rechts geführt wird, die der AfD viele Sympathien einbringt. Wer Regierungskritik als Delegitimierung des Staates unter Extremismusverdacht stellt, eine Denunziationskultur mit entsprechenden Meldestellen fördert und links-woke Organisationen mit der Umerziehung einer als strukturell rassistisch verunglimpften Mehrheitsgesellschaft betraut, setzt zweifellos die falschen Signale.

Wer die liberale Demokratie bewahren möchte, dem sei geraten, selbst weder illiberale Mittel anzuwenden noch die demokratiefeindlichen Gefahren aus extremistischen Lagern unterschiedlich zu gewichten. Beides geschieht aber gegenwärtig.

Wer ausländerfeindliche oder queerfeindliche Demonstrationen mit Recht skandalisiert, sollte antikapitalistische Aufmärsche, bei denen Fahrzeuge angezündet werden, ebenso wenig als linke Folklore behandeln wie linksradikale Umzüge, bei denen die Vernichtung Israels gefordert wird.

Wer Extremismen mit zweierlei Maß misst, delegitimiert sich selbst. Wer Repräsentationslücken entstehen lässt, muss sich nicht wundern, dass diese gefüllt werden.

Wer die AfD überflüssig machen möchte, muss Themen aufgreifen, die die Bevölkerung umtreiben

Grundsätzlich gilt: Wer die AfD überflüssig machen möchte, muss Themen, die die Bevölkerung umtreiben, aufgreifen und für gesellschaftliche Probleme Lösungen entwickeln. Dazu braucht es allerdings den politischen Willen.

  • Man kann Grenzen schützen. Man kann Staaten, in denen Flüchtlinge Urlaub machen, zu sicheren Herkunftsländern erklären.

  • Man kann Integrationsverweigerung sanktionieren und Rechtsbrüche ahnden.

  • Man kann die Rechte sexueller Minderheiten schützen, ohne die biologische Zweigeschlechtlichkeit für obsolet zu erklären.

  • Man kann die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördern, ohne zu gendern.

  • Man kann die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde verteidigen, ohne die Mehrheit der Bevölkerung als rassistisch zu beschimpfen.

  • Man kann aus seiner eigenen Bubble aussteigen und zuhören, was die Menschen bewegt.

Politische Amtsträger sind nicht in erster Linie ihrer eigenen Peer-Group verpflichtet, sondern ihren Wählern. Diese zeigen sehr klar, was sie erwarten. Jetzt sollte die Politik reagieren, denn eines ist gewiss: nichts ist alternativlos.

*Anmerkung der Redaktion vom 05.09.2024: In einer früheren Fassung der Kolumne hieß es, Correctiv habe seine Behauptung über die Pläne einer Deportation von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund nach mehreren Gerichtsurteilen korrigieren müssen. Das trifft nicht zu. Dieser Teil des Correctiv-Beitrags wurde von keinem Betroffenen gerichtlich angegriffen und auch nicht korrigiert. Ein gerichtliches Verbot erging gegen den NDR, der in der „Tagesschau“ unter Berufung auf die Correctiv-Recherche berichtet hatte, bei dem Potsdamer Treffen seien Pläne zur Ausweisung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund diskutiert worden. Dies wurde im Text der Kolumne korrigiert.