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Kommentar: Achtung: Hier geschieht Werbung für Abtreibungen

Zur Reform des Paragraphen 219a gab es zahlreiche Kundgebungen wie hier Ende Januar in Berlin. (Bild: Getty Images/Michele Tantussi)
Zur Reform des Paragraphen 219a gab es zahlreiche Kundgebungen wie hier Ende Januar in Berlin. (Bild: Getty Images/Michele Tantussi)

Oder auch nicht. Wer weiß das schon, wenn es um schlichte Informationen geht? Die Bundesregierung berät heute den Umfang ihrer Heuchelei.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ich gestehe, dass ich manche Debatte einfach nicht verstehe. Über Abtreibungen zum Beispiel wird seit unzähligen Jahren gestritten, als hinge das Schicksal der Republik davon ab. Es geht um die Tötung von Leben, von ungeborenem. Ich bin kein Naturwissenschaftler, aber auch die Debatten, wann ein Leben beginne, erscheinen mir wohlfeil. Natürlich bildet sich da Leben heran, und ein Embryo ist noch längst kein Kind. Worüber reden wir eigentlich?

Vor allem überlassen wir die Entscheidungen darüber nicht komplett jenen, die es wissen müssen und können. Das sind die Frauen. Bisher habe ich keine Frau kennengelernt, die leichtfertig meinte, huch, in der Mittagspause sei ihr mal eben danach eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Wer sich für eine Abtreibung entscheidet, weiß genau, was sie tut. Und die Studien darüber dokumentieren, dass die allermeisten Frauen ihre Entscheidung für eine Abtreibung nicht bereuen. Soll da jemand mit der Stoppuhr stehen und kontrollieren, dass auch “angemessen” lang über diese Entscheidung nachgedacht wurde?

Hintergrund: SPD-Politiker bekräftigen Kritik an geplanter Reform des Abtreibungs-Werbeverbots

Daher verstehe ich nicht, was das Kabinett der Großen Koalition heute berät. Es geht um ein Reförmchen des Paragraphen 219a, welches ein angebliches “Werbeverbot” regelt. Werbung heißt gemäß diesen Politikersprechs: wenn Ärzte Informationen darüber geben, was das ist, eine Abtreibung. Und wie das geschieht, also die Abhandlung der klassischen W-Fragen im Journalismus. Werbung für Abtreibung hat es nie gegeben, und dies liegt nicht an einem “Werbeverbot”.

Informationen sollen verschwiegen werden – als lebten wir in Nordkorea

Das heute auf dem Kabinettstisch liegende Reförmchen regelt also, dass Ärzte und Krankenhäuser öffentlich kundtun dürfen, zum Beispiel über ihre Website, dass sie Abtreibungen vornehmen. Mehr dürfen sie aber nicht schreiben, denn dies wäre schon Werbung. Das Kalkül dahinter ist klar: Frauen soll es schwer gemacht werden, den Weg einer Abtreibung zu gehen und folgt damit selbst einer krassen Fehlannahme, nämlich dass die Frage, ob eine Frau Mutter wird oder nicht, eine leichtfertige Angelegenheit sein könnte, siehe Mittagspause.

Wie sähen Werbungen für Abtreibungen aus? Soll ich mir Neonröhrenreklamen vorstellen, mit Diskountangeboten oder einer Flatrate? Die Politik hat eine unwirkliche Chimäre geschaffen, ein Regelwerk für ein Problem, das es nicht gibt.

Talk bei Anne Will: Selbstbestimmung der Frau? Nicht mit dieser Regierung

In die Entscheidung einer Frau ist einfach nicht hineinzureden, wenn es ihre elementaren Rechte betrifft. Der CDU-Politiker Philipp Amthor entblödete sich in einer Talkshow nicht, sich mit seinem Satz “Auch Männer haben einen Anteil an der Schwangerschaft, und damit auch als Politiker Verantwortung in der Frage, wie wir mit dem ungeborenen Lebensschutz umgehen” in die Annalen der schlechtesten Kalendersprüche einzutragen. Vielleicht meinte er den Schutz ungeborenen Lebens, über falsche Wortwahl lässt sich noch hinwegschauen; sollte ein Lebensschutz ungeboren sein, würde er nichts schützen.

Noch bizarrer indes ist Amthors Rede bezüglich seines Anteils. Klar, ohne Samen ist nichts los. Und dann? Worin liegt dann sein Anteil? Hat Amthor vor, im Falle einer werdenden Vaterschaft das Kind selbst auszutragen und es zu gebären? Hat er vor es an die Brust zu legen? Wir Männer versagen zurzeit ja noch in viel weniger elementaren Angelegenheiten: Noch zeigen wir weitaus weniger Erziehungsverantwortung, sorgen für eine schlechtere Bezahlung von Frauen im Vergleich zu ihren Kollegen, verbauen ihnen Karriereaufstiege und denken, Jobs wie Krankenpflege, Altenpflege, Kitaerziehung und Grundschullehramt seien Frauengedöns und daher noch schlechter als schlecht zu bezahlen.

Solange wir all dies nicht besser geregelt kriegen, brauchen wir uns keine Gedanken über Organe wie einen “Gebärvater” zu machen.

“Mein Körper, meine Entscheidung”: Wie werden Frauen in Sachen Abtreibung beeinflusst? (Bild: Getty Images/Michele Tantussi)
“Mein Körper, meine Entscheidung”: Wie werden Frauen in Sachen Abtreibung beeinflusst? (Bild: Getty Images/Michele Tantussi)

Lauter Nebelkerzen

Auch mit der Neufassung des Paragraphen 219a werden Frauen wie unmündige Wesen behandelt, denen mit ihrem Halbwissen auf die Sprünge geholfen werden soll. Diese verkorkste Annahme dient nur dazu, mitzureden. Mit zu entscheiden, Einfluss auszuüben. Uns kostet es ja nichts, da kann Herr Amthor von einem Gebärvater träumen, solange er will. Mit dem jetzigen Regelwerk wird manipuliert und kriminalisiert; Ärzte sollen eingeschüchtert werden.

Wer sich als “Lebensschützer” aufspielt, verkennt die Fakten einer Elternschaft. Eltern zu werden ist eine normale Angelegenheit, aber eben weitreichender als die Dauer einer Mittagspause. Es ist auch normal, nicht Eltern zu werden. Und es gibt passende und unpassende Zeitpunkte. Vor allem aber reden die so genannten Lebensschützer eher wenig über den Schutz des Lebens, wenn es das kalte Tageslicht erblickt hat. Für eine Reportage über einen Kindernotdienst habe ich bei der Recherche über Monate mitangesehen, wie schwer Eltern darum kämpften ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Flöße nur ein Teil jener Energie, mit der diese beknackte Abtreibungsdebatte geführt wird, in die Begleitung dieser Eltern – wir wären echte Lebensschützer.

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