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Kommentar: AfD kritisiert Briefwahl – das ist Donald Trump pur

Besorgt gibt sich die AfD – sie schürt Misstrauen gegen die Briefwahl. Das tut sie nicht, weil sie Wahlen und Demokratie toll findet. Sie fürchtet vielmehr das Ergebnis. Bestenfalls ist die Partei ein schlechter Verlierer.

So sah der Briefwahlzettel der vergangenen Bundestagswahl 2017 aus (Bild: REUTERS/Wolfgang Rattay)
So sah der Briefwahlzettel der vergangenen Bundestagswahl 2017 aus (Bild: REUTERS/Wolfgang Rattay)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die ersten Briefumschläge mit ausgefüllten Wahlzetteln trudeln ein. Bei dieser besonders spannenden Bundestagswahl im September wird es auch viele Briefwahlstimmen geben – ganz klar wegen der Pandemie und weil sich viele daran gewöhnt haben, Dinge aus der Distanz heraus zu erledigen; zum Beispiel auch vom Wahlrecht Gebrauch zu machen.

"Steck ihn selber rein" warnt der neuste Slogan

Doch da gibt es eine Partei, die damit ein Problem hat. "Steck ihn selber rein" heißt der neuste Slogan aus dem brandenburgischen Landesverband der AfD. Nach dem Motto: Kontrolliere besser mit eigenen Augen, dass mit deiner Stimme nichts passiert.

Wenn Journalisten sowas lesen, fragen sie sich: Was ist dran? Ist Briefwahl nicht sicher? Gibt es Vorkommnisse oder Hinweise, dass dem so ist?

Die AfD gibt darauf Antworten. Auf Facebook kursiert ein Sticker mit diesem Text: "Die Briefwahl hat bereits begonnen und die Altparteien werben kräftig um Briefwahlstimmen. Dabei ist die Briefwahl verfassungsrechtlich höchst umstritten. Häufig ist bei der Abgabe von Briefwahlstimmen im Altenheim das Wahlgeheimnis nicht gewahrt, Briefwahlunterlagen können auf dem Postweg verloren gehen oder manipuliert werden und in der Vergangenheit gab es eklatante Unterschiede zuungunsten der AfD zwischen den Briefwahlauszählungen und den Auszählungen der Wahllokalstimmen - ein Schelm, wer böses dabei denkt."

Ich hab das mal gecheckt. In diesen wenigen Zeilen stecken eine Menge Unwahrheiten.

Raunen im Rechtswald

  1. Bei wem Briefwahlen verfassungsrechtlich höchst umstritten sein sollen, verrät der Text nicht. Unter Juristen jedenfalls nicht. Eine entsprechende Debatte habe ich nicht gefunden.

  2. In Altenheimen ist es tatsächlich regelmäßig, in kleinem Ausmaß, zu Manipulationen gekommen. Das Problem ist strukturell. Jedenfalls fällt auf, dass es in kirchlich-katholisch geführten Heimen deutlich mehr CDU-Stimmen gibt – und in von Wohlfahrten geführten Heimen deutlich mehr SPD-Stimmen. Doch der Anteil dieser Stimmen ist bezogen auf das ganze Land verschwindend gering. Jedenfalls so klein, dass deswegen die Briefwahl an sich nicht in Frage gestellt werden sollte.

  3. Auf dem Postweg verloren gehen: Du meine Güte. Klar kann das passieren. Aber bisher fiel nicht auf, dass dies in größerem Ausmaß geschieht, also siehe Punkt 2.

  4. Und dass es Unterschiede gibt zwischen AfD-Wahlkabinenvoten und AfD-Briefwahlvoten – das offenbart den Knacks, den die Partei mit der Demokratie offenbar hat. Denn für sie, diese Schelmin, die böses denkt, muss ja daran etwas falsch sein. Bloß: Wo sind die Hinweise, wo sind Dokumentationen von Missbrauch? Es gibt sie nicht. Danach wird gesucht. Es wäre ja ein großer Scoop. Aber die AfD raunt nur im Dunklen.

Lesen Sie auch: FAQ zur Briefwahl - Das müssen Sie beim Beantragen, Ausfüllen und Abschicken der Unterlagen beachten

Nun ist bekannt, durch Umfragen gesichert, dass unter den Briefwählern mehr Leute mit stärkerem Bildungshintergrund sind. Da wird halt mehr geplant und organisiert. Die AfD stilisiert sich zwar als Professorenpartei, aber das ist Quatsch. Umfragen zeigen: Je höher der Bildungsgrad, desto weniger wahrscheinlich ist ein Votum für die AfD. Ist einfach so. Völlig neutral. Daher ist es logisch, dass die AfD unter Briefwählern weniger Stimmen kriegt.

Vorbilder, die man kennt

Aus den USA zum Beispiel weiß man, dass Briefwähler mehrheitlich zu den Demokraten tendieren – und nicht zu den Republikanern. Nur aus diesem Grund hatte Ex-Präsident Donald Trump schon lange vor den Wahlen im November 2020 gemutmaßt, es könne betrogen werden. Und weil er verlor, behauptet er es noch heute. In Amerika wurden eine Menge Steine umgedreht, um diese behaupteten Manipulationen aufzudecken – aber man fand nichts. Noch einmal: Nicht, weil man nicht ordentlich und professionell genug gesucht hätte, sondern weil es offensichtlich keinen Betrug gab. Trump passte das Ergebnis nicht. Also fechtete er es an. Weil er Demokratie nur mag, wenn sie ihm in die Hände spielt.

Es ist interessant, dass die AfD nun ähnlich verfährt. Es gibt gute Gründe, an der Briefwahl festzuhalten. Sie erhöht schlicht die Möglichkeiten, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen, dass noch mehr Leute wählen und damit die Demokratie gelebt wird. Gleichzeitig gibt es dadurch automatisch Manipulationsmöglichkeiten, die es bei einer Kabinenwahl nicht gibt. Aber Lug & Trug bei Wahlen sind einerseits verschwindend gering. Und andererseits verteilt sich dieser Missbrauch auf Täter, die aus allen Parteien kommen. Noch Fragen?

Die AfD lebt von den schlechten Gefühlen der Menschen. Und nun bestärkt sie diese, indem sie unbegründete Zweifel am Wählen sät. Damit versucht sie zu mobilisieren, und zwar unter Leuten, die gerne eine Verschwörung vermuten, die es sexy finden, wenn irgendein Überbau halluziniert wird.

Die AfD verhält sich wie Donald Trump. Kommt als nächste Steigerung – dass sie Ende September die Wahlergebnisse anzweifeln wird? Was jedenfalls steigt, ist der Zweifel an der AfD.

Im Video: So wählen Sie per Brief