Kommentar: Was Alexandria Ocasio-Cortez und Greta Thunberg gemeinsam haben

Alexandria Ocasio-Cortez winkt den Zuhörern nach ihrer Rede während des Women’s March am Foley Square in New York zu. (Bild: Kathy Willens/AP/dpa)
Alexandria Ocasio-Cortez winkt den Zuhörern nach ihrer Rede während des Women’s March am Foley Square in New York zu. (Bild: Kathy Willens/AP/dpa)

Beide haben politische Ziele. Sie ziehen dafür unglaublichen Zorn auf sich. Und zeigen damit die Ärmlichkeit ihrer Kritiker.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Also, einmal im Jahr, meinetwegen am Frauentag, können die Frauen den Mund aufreißen, obwohl nicht gerade ein Feiertag draus gemacht werden sollte, wie in Berlin. Ansonsten aber sollten sie brav an ihren angestammten Plätzen bleiben, so die Hoffnung von Besitzstandswahrern. Doch sie machen in diesen Tagen die Rechnung ohne Alexandria Ocasio-Cortez und Greta Thunberg. Die beiden machen heftig auf Politik, haben damit Erfolg und scheren sich nicht darum, dass der März noch längst nicht da ist. Schon faszinierend, welche Häme sie dafür kassieren.

Alexandria Ocasio-Cortez, die Anti-Trump-Politikerin

Ocasio-Cortez ist 29 und gerade für die Demokraten ins amerikanische Abgeordnetenhaus gezogen. Sie formuliert eine selbstbewusste Gegenpolitik zu Präsident Donald Trump: eine Stimme des bunten Amerikas, des feministischen Amerikas, des auf Gerechtigkeit und die Umwelt achtenden Amerikas. Thunberg ist 16 und wurde bekannt für ihr Schulschwänzen, freitags, gegen die nicht gerade alarmierte Grundstimmung ob des menschengemachten Klimawandels.

Was beide vereint, davon abgesehen, dass sie jung und Frauen sind, ist die gezielte Herabwürdigung ihrer Person.

Ocasio-Cortez macht die Republikaner nervös, weil sie offenen Streit sucht und Worte mit Widerhall findet. Thunberg macht Klimaschläfer nervös, weil sie offenen Streit sucht und Worte mit Widerhall findet. Das ist zu viel des Guten für manchen Zeitgenossen.

Die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht während einer Panelsitzung auf der 49. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums WEF. (Bild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa)
Die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht während einer Panelsitzung auf der 49. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums WEF. (Bild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa)

Die Suche nach Nebenkriegsschauplätzen

Die Kongressabgeordnete versucht man lächerlich zu machen, ihr Erfolg ruft Neider auf den Plan. Recht krass verkalkuliert hatte sich dabei ein Aktivist, der meinte Ocasio-Cortez mit der Veröffentlichung eines Tanzvideos aus ihren Studierendentagen lächerlich machen zu können. Da das dann ziemlich normal aussah und keiner verstand, an welcher Stelle der Skandalknopf gedrückt werden sollte, richtete sich der Spott auf den Absender.

Ähnlich bei den Korinthen pickenden Kritikern: Im Fox-Fernsehen hieß es unlängst, sie sei vielleicht in den sozialen Medien erfolgreich, nicht aber „im echten Leben“. Bezeichnend, dass diese Kritik weniger auf Worte und Inhalte von Ocasio-Cortez abzielt als auf eine Art „Erfolg“, was immer das sein mag. Nur Erfolgreiche dürfen gehört werden? Und wie ein Loser kommt mir Ocasio-Cortez nicht vor, 29-jährige Mitglieder des US-Abgeordnetenhauses gibt es kaum massenhaft.

Nach Vorbild von Thunberg: Tausende Schüler protestieren für Kohleausstieg und Klimaschutz

Bei Thunberg sind es auch nicht ihre Worte, auf die Kritiker direkt eingehen. Stattdessen wird vermerkt, sie sei ob ihres Alters manipuliert oder instrumentalisiert, jedenfalls nicht voll zu nehmen. Ich kann mir nur vorstellen, solche Kritiker erinnern sich nicht mehr, was sie als 16-Jährige umgetrieben hat. Hätte man ihnen damals zugerufen, sie seien nicht wirklich ernst zu nehmen, hätten sie gelangweilt die Nase gerümpft. Hinzu kommt, dass Thunbergs Leben mit Asperger, einer Spielart des Autismus, selbst instrumentalisiert wird, nach dem Motto: eine Behinderte, was soll die schon wissen?

Interessant, wie sich Frauenhass, Jugendhass und Ableismus hier vereinigen. Argumente? Fehlanzeige.

Erhöhung ist Verklärung

Gleichermaßen werden beide, Ocasio-Cortez und Thunberg, im Guten wie im Schlechten erhöht, verklärt und in einen Ikonenstatus manövriert. Im schlechten Sinne ist damit eine angedichtete Verzweiflung gemeint, nach der „Klimaretter“ im Falle Thunbergs eine Gallionsfigur geschaffen hätten, was nicht stimmt. Und wäre es so, ließe sich das schwerlich kritisieren. Denn es kennzeichnet die Problematik des Klimawandels, dass er in seiner Strukturalität schwer zu fassen war; er schien weit weg und ohne Notwendigkeit zur Reaktion, erst im Jahr 2018 wirbelte er mit den globalen Wetterkatastrophen manches Störbild durcheinander.

An ihrem Büro: Unterstützer von Alexandria Ocasio-Cortez hinterlassen Nachrichten

Im Falle von Ocasio-Cortez dagegen gibt es eine negative Erhöhung, die sich nur um die Socialmedia-Aktivitäten der Politikerin kümmert. Im guten Sinne, aber auch irgendwie daneben, sehen Liberale und Linke in Ocasio-Cortez schon jetzt die kommende Präsidentin, als unschlagbare Waffe im Kampf gegen den Trumpschen Unhold, und das ist sicherlich übertrieben wie verfrüht. Und auch Thunberg sollte nun nicht als Sperrspitze einer Umweltschutzbewegung angesehen werden – sie tut einfach das Richtige, im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

So ist es ermüdend und entlarvend, dass die Kritiker auf Alter und Geschlecht abzielen. Von der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung ganz zu schweigen. Letztere dürfen gern genial sein, wie der Autist Raymond im Film „Rainman“ oder der Autist Sheldon in der Serie „Big Bang Theory“ – aber ernstnehmen? Das ginge zu weit. Die Kritiken an den beiden jungen Frauen zeigen, wie weit noch der Weg ist, den die menschliche Zivilisation zu gehen hat. Aber sie ist auf dem richtigen Weg. Denn die Kontroverse um diese beiden zeigt eindeutig, wer Loser ist und wer nicht.

Lesen Sie auch diese Kommentare von Yahoo-Politikexperte Jan Rübel: