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Kommentar: Amerika wird sozialdemokratisch (ein bisschen)

Senkrechtstarterin Alexandria Ocasio-Cortez ist eines der Aushängeschilder der “Demokratischen Sozialisten” (Bild: AP Photo/Susan Walsh)
Senkrechtstarterin Alexandria Ocasio-Cortez ist eines der Aushängeschilder der “Demokratischen Sozialisten” (Bild: AP Photo/Susan Walsh)

Bei den US-Demokraten gewinnt ein Flügel an Einfluss – die “Demokratischen Sozialisten”. Doch damit werden die USA nicht zur DDR.

Ein Kommentar von Jan Rübel

“Venezuela ist das sozialistische Ödland, in das Alexandria Ocasio-Cortez und die Demokraten Amerika führen”, warnte kürzlich der US-Fernsehsender Fox. Das saß. Nun sind die USA eine Spaltung im Journalismus mittlerweile gewöhnt – hüben und drüben beharken sich Redaktionen über den Kurs der Regierung, als säßen sie im Schützengraben. Aber die große Partei der Demokraten mit ihrer langen prägenden Geschichte mitten in den eigentlich vergessenen Kalten Krieg hineinzuführen, ist schon starker Tobak.

In Amerika geschieht etwas, und das liegt nur bedingt an Präsident Donald Trump, obwohl der bereits dieses Neue als Feindbild ausgemacht hat. Bei seiner Rede zur Lage der Nation beschwor er: “Wir sind frei geboren, und wir bleiben frei. Heute Abend erneuern wir unsere Entschlossenheit, dass Amerika niemals ein sozialistisches Land sein wird!”

Was passiert gerade? Werden im Land der unbegrenzten Möglichkeiten heimlich überall Statuen von Marx und Lenin aufgestellt? Wird das Weiße Haus hinten rot angemalt? Mitnichten, es gibt lediglich einen Trend, der indes bemerkenswert ist: Die Demokraten rücken ein Stück weit nach links. Jener Flügel, der seit Jahrzehnten als ohnmächtiges Feigenblatt der Partei dastand, vermag seine Leute in Stadträte und ins US-Abgeordnetenhaus gewählt zu kriegen.

In der Partei wird geredet über höhere Steuern für Reiche, über ein bisschen mehr Staat im Sozialen. Eine Revolution ist das nicht. Und der Run des Flügels dieser “Demokratischen Sozialisten” könnte auch ein jähes Ende finden. Er könnte aber auch das Land in eine andere Richtung führen.

Die große Überfahrt

Noch haben bei den Demokraten Personen das Sagen, die zu Trumps Rede artig klatschten. “Sozialismus”, das ist ein historisches Schimpfwort in den USA. Dabei ist festzustellen, dass Europäer darunter anderes verstehen – während man hierzulande tatsächlich an Marx und Engels denkt, meinen Amerikaner mit Sozialismus im Grunde eine Art Sozialdemokratie, also nichts Rotes, sondern eher Rosarotes.

Sozialismus, das verbanden Amerikaner historisch mit einem “Staat”, und solchen Obrigkeiten standen nicht wenige traditionell skeptisch gegenüber. Selbst ist die Person, das war der Gründerslogan der frühen Siedler. Geblieben ist davon ein fast religiöser Glaube an die Macht und Kreativität privaten Wirtschaftens und daraus folgernd die Tendenz, staatlichen Strukturen möglichst wenig Verantwortung zuzusprechen. Dann kam die Rivalität mit der Sowjetunion, der Kalte Krieg und ein glühender Antikommunismus, der ins Mark überging.

Auch Bernie Sanders würde in Europa eher als Sozialdemokrat durchgehen (Bild: AP Photo/Andrew Harnik)
Auch Bernie Sanders würde in Europa eher als Sozialdemokrat durchgehen (Bild: AP Photo/Andrew Harnik)

Nun könnte ein Europäer zum Sozialismusbegriff in den USA im Sinne von Obelix sagen: “Die spinnen, die…”, aber alles ist eine Frage der Perspektive. Interessant ist, dass einerseits das Schreckgespenst eines “Sozialismus” mit Trumps Beschwörungen wieder fröhliche Urständ feiert und andererseits für größer werdende Kreise den Grusel verliert. Zu nachhaltig ist die Verunsicherung darüber, ob alles genauso weiterlaufen soll wie bisher.

Ein Wandel

In den USA leben nicht kleine Teile der Bevölkerung in Armut. Es gibt Arbeit, aber oft schlecht bezahlt. Das Gesundheitswesen ist weniger entwickelt als in “Entwicklungsländern”, obwohl Unmengen von Geld für Gesundheit aufgewandt werden. Im Land gibt es eine drastischere Scherenentwicklung als in Europa: Arm und Reich, urbane Metropolen und ländlicher Raum, und über allem thronen der Klimawandel, ob man ihn wahrhaben will oder nicht, sowie die Digitalisierung, in der Amerikaner Pionierleistungen erbringen, aber auch die damit einhergehenden Verunsicherungen zu stemmen haben.

Die “Demokratischen Sozialisten” Amerikas wollen ein bisschen mehr Staat, ein wenig mehr Kontrolle. Ob sie damit Erfolg haben werden, wird sich in der Mitte des Landes entscheiden. Bisher liegen ihre Hochburgen an der West- und an der Ostküste, in den gebildeten städtischen Schichten.

Doch Wahlen gewinnt man in den Kleinstädten, in den weiten Landschaften. Die waren bisher für das Rosarot nicht gerade empfänglich. Aber auch diese Regionen kennen die alten Arbeiterkämpfe um mehr Rechte und mehr Geld. Derzeit schenken sie Trump und den Republikanern ihr Vertrauen, in der Hoffnung, seine Versprechen könnten das Zahnrad der Zeit aufhalten. Doch ob dies so bleibt, ist ungewiss.