Werbung

Kommentar: Andrea Nahles kriegt einen schwachen Besen in die Hand

Die versprochene Erneuerung muss Andrea Nahles nun zügig in Angriff nehmen (Bild: Reuters)
Die versprochene Erneuerung muss Andrea Nahles nun zügig in Angriff nehmen (Bild: Reuters)

Die SPD-Vorsitzende geht nicht gestärkt aus den Wahlen hervor. Umso mehr muss sie nun wirbeln.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Bei der SPD steht Ernüchterung auf dem Menü. Bloß keine Euphorie mehr zeigen, heißt die Devise, so sehr hatte man die Sozialdemokraten zerzaust – und nichts liegt ihnen ärger im Magen als jene 100 Prozent, mit denen sie vor gefühlten hundert Jahren, die tatsächlich nur 13 Monate zurückliegen, einst Martin Schulz zum Vorsitzenden wählten.

Seiner Nachfolgerin hatten die Delegierten am vergangenen Wochenende nur Hafergrütze serviert. 66 Prozent der abgegebenen Stimme für Andrea Nahles, das bedeutet einen schlechten Start. Das Ergebnis dokumentiert aber nur schlicht die Ausgangslage – und diese wäre nicht besser für Nahles, hätte man sie umjubelt.

Weg mit den Fehlern der Vergangenheit

Nahles ist die Trümmerfrau der SPD. Sie muss die Partei aufrichten und ihr Mut einflößen. Endlich ist eine Frau am Steuerruder. Die SPD, die traditionell die Rechte von Frauen auf ihre Fahnen schrieb und sich dann doch bis heute streng patriarchalischen Strukturen hingab, kann sich solchen Humbug nicht mehr leisten. Männer waren für Kuckuckseier wie den “Dritten Weg” verantwortlich, als sie in den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts nicht nur der SPD, sondern fast allen sozialdemokratischen Parteien Europas einen Kurs zwischen links und rechts verordneten, zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, was im Zweifel, wegen der Natur des Menschen, auf Ungerechtigkeit hinauslief.

Diesen Schlamassel löffelt nun die SPD aus. Und Frauen wie Nahles übernehmen. Das Testosteron ist aufgebraucht.

Was Nahles zu bewerkstelligen hat, ist in Wirklichkeit einfach formuliert. Die SPD war immer eine stolze Partei. Ob man ihre politischen Ziele teilt oder nicht – sie steht für die deutsche Geschichte wie keine andere Partei, um ihre staatstragende Rolle musste man sich nie Gedanken machen – nur sind ihr die Inhalte abhanden gekommen. Oder treffender formuliert: Die Sozialdemokraten haben sie in die Besenkammer gesteckt, die Werte und Ideale, die heute genauso angesagt sind wie vor 30 Jahren.

Nahles muss nur den Schlüssel zu dieser Kammer hervorkramen, diese Werte hervorholen, sie abstauben und neu interpretieren. Was bedeutet Gerechtigkeit im Jahr 2018? Ist Solidarität ein grober Hemmschuh für die gesellschaftliche Entwicklung oder eine Chance? Wo beginnt Freiheit zu schmerzen? Ist Umweltschutz tatsächlich Firlefanz von Spinnern oder schiere Notwendigkeit, was bleibt von der Heimat, wenn sie in Beton gegossen ist?

Der Weg ist vorgegeben

Nahles hat das Rüstzeug, aus diesen Fragen ein Korsett zu schmieden. Wenn sie die Partei neu aufstellt, bleibt ihr nur eine Richtung: Verortet sie die SPD weiter links als bisher, gewinnt sie die Jugend zurück. Die will wissen, ob prekäre Arbeitsverhältnisse tatsächlich ihr Dauerzustand werden, wie stabil das politische System für kommende Krisen ist. Verortet Nahles die SPD als eine Partei, die den Staat stärker prägt, wird sie damit auch dem Mittelstand Leitplanken anbieten, seine allgemeinen Abstiegsängste zu reduzieren. Sie kann die Mitte erobern, ohne mittig zu sein; darin wird die CDU eh ein Champion bleiben.

Für diesen Weg wird Nahles nun die Pflöcke einschlagen. Dass die SPD auch in Regierungsverantwortung steht, ist kein Hindernis. Umso klarer ließe sich herausstellen, wenn ein Dissens in der Koalition zu keinen konkreten Schritten führt. Die SPD braucht nun die Courage, ihrem staatstragenden Element Visionäres beizugesellen. Dann wird sie auch weiterhin ein wichtiger Player sein. Wenn nicht, wird die Partei zwischen CDU, Grünen und Linken zermalmt.