Kommentar von Andreas Herteux - Das kleinere Übel: Warum ausgerechnet Söder jetzt mit den Grünen kuschelt
Für Markus Söder waren die Grünen lange Zeit ein Hauptgegner. Nun scheint auch er eine Annäherung in Erwägung zu ziehen. Sozialforscher Andreas Herteux erläutert den Strategiewechsel und warum dies für den bayerischen Ministerpräsidenten fatale Konsequenzen haben könnte.
Wie hältst du es mit den Grünen? Das ist eine grundlegende Frage, die sich Bayerns Ministerpräsident stellen muss, und es ist eine, die sowohl über sein als auch das politische Schicksal der CSU mitentscheiden könnte.
Dabei ist Söder, gerade im innerdeutschen Vergleich, ein erfolgreicher Ministerpräsident. Bayern belegt in vielen Bereichen noch immer Spitzenpositionen und ist beim Länderfinanzausgleich das Geberland mit dem größten Anteil. Ein Teil der Republik finanziert sich aus bayerischer Solidarität, und da mag man in mancher Blase noch so unken und das vermeintlich Provinzielle des südlichen Bundeslandes herausstellen – am Ende lügen die Zahlen nicht. Dass der generelle Abwärtstrend Deutschlands ebenso Bayern betrifft und auch hier dringende Reformen nötig sind, bleibt davon unberührt. Stillstand gestaltet sich in Zeiten eines globalen Zeitenwandels immer fatal.
CDU liebäugelt mit einer Schwarz-Grünen-Koalition
Aus dieser Perspektive betrachtet, gibt es zwar viel Arbeit, aber es wurde auch einiges geschafft. Da verzeiht man dem Ministerpräsidenten auch manch flexible Anpassung seiner Positionen, denn zumindest waren sie einer Partei gegenüber bisher stets konsequent: den Grünen. Lange Zeit als Hauptgegner betrachtet, gab es selten positive Worte, und eine Koalition mit ihnen wurde faktisch ausgeschlossen.
Nun allerdings scheint es zarte verbale Annäherungstendenzen zu geben. Weniger aus Überzeugung, sondern schlicht, weil die Schwesterpartei CDU ein solches Bündnis auf Bundesebene nach der nächsten Bundestagswahl nicht ausschließen möchte. Eine schwierige Situation für Söder, der die Partei jahrelang als Feindbild aufgebaut hat, an dem man sich in Bayern genüsslich abarbeiten konnte.
Die Grünen, der bessere Partner?
Auch für die CDU erscheint ein solches Bündnis erst einmal widersinnig, allerdings nur auf den ersten Blick. Das hat mehrere Gründe.
Erstens gibt es in der Partei viele Befürworter einer solchen Koalition, wie Daniel Günther oder Hendrik Wüst. Insgesamt können sich 12 von 15 Landesverbänden eine Zusammenarbeit auf Bundesebene vorstellen.
Zweitens existieren solche Kooperationen in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Hessen und Nordrhein-Westfalen bereits, und drittens mangelt es an Alternativen. Gerade Letzteres ist problematisch. Mit der SPD sind die inhaltlichen Schnittmengen in vielen zentralen Themen viel kleiner als mit den Grünen. Zudem gibt es zwischen den Sozial- und den Christdemokraten inzwischen menschliche Abgründe, die mit den Grünen, trotz aller Angriffe, so nicht existieren. Die FDP könnte es nicht schaffen. Der Rest ist nicht akzeptabel. Die Grünen sind wohl in der Summe das kleinste Übel.
Für die CDU. Nicht aber für Markus Söder, denn eine solche Entwicklung könnte seine Hausmacht auf Dauer gefährden.
Die Hausmacht der CSU wankt
Obwohl Bayern insgesamt ein erfolgreiches Bundesland ist, bröckelt die Macht der CSU. Das lässt sich leicht an Zahlen aufzeigen.
Markus Söder hat das Amt des Ministerpräsidenten im März 2018, also während der Legislaturperiode von Horst Seehofer übernommen, der die Landtagswahl 2013 mit einer absoluten Mehrheit und 47,7 Prozent gewinnen konnte. Mit dem Spitzenkandidaten Söder und 37,2 Prozent fuhr die CSU bei der folgenden Wahl im Herbst das schlechteste Ergebnis seit 1950 ein, das nur noch von dem 2023 (37 Prozent) unterboten wurde.
Eine absolute Mehrheit hatte die CSU 2023 nur noch bei jenen, die bereits die 70 überschritten hatten. Je jünger die Menschen werden, desto schwächer das Ergebnis. Bei den 35–44-Jährigen waren es nur noch 32 Prozent, bei den 18–34-Jährigen haben sich im Mittel gerade einmal 23 Prozent für die Christsozialen entschieden.
Die Freien Wähler im Nacken
Eines von Söders größten Problemen teilt dabei mit ihm die Regierungsbank. Es sind die Freien Wähler, die bundesweit vor allem durch Hubert Aiwanger bekannt sind, aber letztendlich eine pragmatische bürgerliche Graswurzelbewegung darstellen, die sehr stark in den Kommunen verankert ist und ähnliche Wählerkreise anspricht wie die CSU.
Die Freien Wähler, bei denen strenggenommen zwischen einzelnen Organisationsformen unterschieden werden müsste, waren viele Jahrzehnte lang nur in besagten Kommunen aktiv, und die Versuche, auch in der Landes-, Bundes- oder gar Europapolitik Fuß zu fassen, sind bis heute umstritten. 2008 gelang erstmals der Einzug in den bayerischen Landtag, und 2018 hatte die CSU nur noch die Wahl zwischen ihnen, der AfD und den Grünen, um eine Regierung zu bilden.
Die Hoffnungen, dass sich die Freien Wähler als Juniorpartner, so wie es einst der FDP erging, marginalisieren würden, erfüllten sich nicht. Im Oktober 2023 konnten sie ihr Ergebnis von 11,6 Prozent auf 15,8 Prozent steigern.
Den ungeliebten Partner nicht glänzen lassen
Für die CSU war spätestens damit die „Schonzeit“ gegenüber den Freien Wählern vorbei, wie es der einstige CSU-Vorsitzende Theo Waigel ausdrückte, denn man dürfe es sich nicht auf Dauer gefallen lassen, dass jemand „im Jagdgebiet der CSU wildert“. Sie wären ein „ganz gravierender Gegner“ für kommende Wahlen.
Und so ist eine paradoxe Situation entstanden. Einerseits arbeiten beide Parteien in einer Koalition zusammen, andererseits bemühen sich die Christsozialen, schon alleine aufgrund des Selbsterhaltungstriebes, darum, den Partner nicht zu sehr glänzen zu lassen und ihn einzuhegen. Weiteres Wachstum oder gar eine Verfestigung möchte bei der CSU niemand. Ein Lied davon, um auch ein konkretes Beispiel zu offerieren, könnte Kultusministerin Anna Stolz, seit Oktober 2023 im Amt, singen, die in sehr kurzer Zeit viele Vernetzungen in der bayerischen Bildungswelt wieder aktivieren und manche Reform anstoßen konnte.
Söders Versuch, Teile dieser Aktivitäten persönlich einzufangen, stieß dann überwiegend auf offene Kritik bei den Verbänden und mündete letztendlich in einem Lob des Ministerpräsidenten für Stolz. Bei anderen Versuchen waren die Christsozialen aber deutlich erfolgreicher.
Langfristige Herausforderungen
Jenseits aller Scharmützel geht es aber um die langfristige Perspektive. Der Bundestagseinzug der Freien Wähler kann wohl nur über Direktmandate gelingen, da die Partei in Umfragen für Februar seit Längerem mehr oder weniger bei 3 Prozent verharrt. Allerdings könnte allein die Perspektive einer möglichen Schwarz-Grünen Koalition im Bund das noch einmal befeuern. Selbst wenn sie den Einzug nicht schaffen sollten, wäre diese Kombination womöglich eine schwere Belastung für die nächste Landtagswahl in Bayern, denn erwähnt sei auch, dass nicht nur die Freien Wähler durch den Grünen-Umfaller Kapital schlagen könnten.
Gleiches gilt natürlich auch für FDP, SPD, AfD oder die Grünen selbst – also schlicht für jede politische Kraft, die das Thema geschickt aufgreift und für sich zu nutzen weiß. Das würde natürlich auch für ambitionierte Parteifreunde innerhalb der CSU gelten.
Die Grünen-Frage bedroht die Vormachtstellung der CSU
Wie hältst du es mit den Grünen? Das ist in der Summe mehr als nur eine rhetorische Frage für Markus Söder und die CSU. Es geht nicht nur um die Glaubwürdigkeit des Ministerpräsidenten, sondern um die Vormachtstellung der Christsozialen in Bayern und damit auch um ihren Einfluss in Deutschland.
Es mag gelegentlich der Eindruck entstanden sein, als würde manch inhaltliche Flexibilität Söders folgenlos bleiben, aber die grüne Karte könnte sich als Fehlfarbe und schlechtes Blatt erweisen. Tatsächlich birgt die Zukunft manches Risiko, und eine Schwarz-Grüne-Koalition unter Beteiligung der Christsozialen würde dieses noch erhöhen.
Dessen ist sich Markus Söder auch bewusst, und er befindet sich nun in der schwierigen Lage, eine Balance zu finden zwischen den Ambitionen der CDU um Friedrich Merz und dem berechtigten Interesse der eigenen Partei und Person. Jedes Wort zu viel könnte den aktuellen Wahlkampf in Bayern negativ beeinflussen, jedes Wort zu wenig hätte womöglich Einfluss auf die kommenden Kommunal- und Landtagswahlen.
Das hängt selbstredend auch von der künftigen Regierung im Bund ab. Vielleicht zieht der grüne Kelch vorüber, vielleicht wird er zum Schierlingsbecher für die CSU. Markus Söder ist aber natürlich nicht Sokrates, und die Geschichte ist noch nicht geschrieben. Auch sind noch keine potentiellen Königsmörder ersichtlich.
Letztendlich geht es immer um Szenarien und Wahrscheinlichkeiten. Es bleibt daher spannend in südlichen Gefilden.