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Kommentar: Angela Merkel hat die Sprache verloren

Solidaritäts-Demonstration für die Protestbewegung in Hongkong vor dem Kanzleramt (Bild: Reuters/Hannibal Hanschke)
Solidaritäts-Demonstration für die Protestbewegung in Hongkong vor dem Kanzleramt (Bild: Reuters/Hannibal Hanschke)

Die Kanzlerin reist nach China. Auf eine Solidaritätsgeste für die Hongkonger unter Druck verzichtet sie. Was soll diese Lahmheit?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schon komisch, wie viel wir bereit sind zuzugestehen, wenn wir es mit Mächtigen zu tun haben. China ist groß und mächtig, und daher macht sich Angela Merkel klein, während sie nach Peking fährt. Ihre Kanzlerindämmerung habe ich mir mutiger vorgestellt.

Was ist passiert? Die Kanzlerin unternimmt eine Staatsvisite, sie trifft die Staats- und Parteispitze Chinas – und das in einer Zeit, in der die Opposition in Hongkong verzweifelt versucht, nicht von der undemokratischen Diktatur Chinas unterjocht zu werden. Ziviler Protest gegen die Gewalt des Staates: Die Bilder aus Hongkong verstören, und es klingt unglaublich, wie wenig Unterstützung die Bevölkerung dieser Stadt vom Westen erhält.

Reisen? Na klar!

Merkel sollte ein klares Zeichen setzen, das nach außen sichtbar ist. Die Forderungen, sie solle ihre von langer Hand geplante Reise aus Protest absagen, sind falsch. Umso wichtiger ist es, mit den Machthabern in Peking zusammenzusitzen und Tacheles zu reden. Das wird Merkel hinter den Kulissen auch tun. Aber es reicht nicht. Klar, auf einer vertrauensvollen Ebene werden die Parteigrößen Chinas empfänglich sein, aber es handelt sich beim Konflikt in Hongkong um einen, bei dem beide Seiten Vehemenz zeigen müssen – sonst wird diese Stadt von der Kommunistischen Partei Chinas, die sich mit Vehemenz bestens auskennt, über den Tisch gezogen.

Merkel und Chinas Präsident Xi beim China-Besuch der Kanzlerin im Mai 2018 (Bild: Reuters/Jason Lee/Pool)
Merkel und Chinas Präsident Xi beim China-Besuch der Kanzlerin im Mai 2018 (Bild: Reuters/Jason Lee/Pool)

Natürlich, Hongkong ist historisch und kulturell chinesisch. Und die Sonderentwicklung dieser Stadt wurzelt im britischen Kolonialismus, der ein schwarzes Kapitel ist. Aber es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dort eine Art Demokratie entwickelt, eine Freiheit – und sowas ist universell, überaus verteidigenswert und einer Diktatur stets vorzuziehen. Außerdem hat sich China mit dem Gang Hongkongs in die Unabhängigkeit auf das Prinzip geeinigt, ein Land und zwei Systeme zu respektieren.

Doch das tun die Machthaber nicht. Die Regierung in Peking setzt auf das Prinzip der Stärke. Außenpolitik orientiert sich nicht nach Werten, sondern nach dem Einholen maximaler nationaler Vorteile; geht dies auf Kosten anderer, ist es für Peking völlig ok. Diesem fernöstlichen Imperialismus muss man sich entgegenstellen. Und da reichen Hinterzimmergespräche nicht aus.

Warum geizt Merkel mit einer Geste?

Daher ist es ein Skandal, dass Merkel derart verschämt auf die Bitten der Hongkonger Opposition reagiert hat. Es gibt keine Stippvisite in der Stadt, kein Treffen mit jenen, die für Freiheit und Respekt ihre Köpfe hinhalten – obwohl diese in ihrer Ohnmacht darum gebeten haben. Große Gesten sind zwar nie die Sache Merkels gewesen, und das hat in der permanent aufgeregten Politik auch seine Vorteile. Doch nun ist die Kanzlerin zu sparsam. Sie sollte ihr internationales Ansehen mehr in die Waagschale werfen. Jetzt geht es um das Einschlagen von moralischen Pflöcken, die für alle sichtbar sind.

Und wir alle müssen uns fragen, ob wir zu wohlwollend der Pekinger Politik gegenüber stehen. Wie oft habe ich in den vergangenen Tagen in deutschen Medien gelesen, für Peking sei ein Nachgeben „keine Option“ – ohne dass dies problematisiert worden sei. Es muss aber Option werden. Notfalls durch Druck.