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Kommentar: Angela Merkel und die Belagerung der Hasen

Wann wird Angela Merkel gehen? (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Wann wird Angela Merkel gehen? (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Wann geht sie? “Merkel muss weg” tönt zwar kaum noch jemand, aber denken tun dies einige. Hat die Kanzlerin ja auch angekündigt. Nur ist längst noch nicht der passende Zeitpunkt. Das macht vor allem die Politikhasen ungeduldig.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das politische Berlin wird gemeinhin als Zirkus beschrieben. Das ist völlig falsch. Vielmehr ist es eine grüne Wiese. Deren derzeit prominentesten Bewohner sind zwei Igel und jede Menge Hasen.

Die Hasen scharren mit den Hinterbeinen. Jetzt sollte doch endlich etwas geschehen, eine Entscheidung muss her, denken sie: Die oberste Feldherrin tritt nicht mehr an, ihre Kanzlerschaft neigt sich dem Ende zu. Nur wann genau?

Den Hasen kann es nicht schnell genug gehen. Da gibt es den konservativen Flügel in der Wiesenherrschaftspartei, auch CDU genannt, der will Angela Merkel rasch weghaben. Der Flügel mochte sie nie und ihre Politik. Und es gibt eine auserkorene Nachfolgerin, die nun gewählte CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, welche das natürliche Recht auf den Zugriff aufs Kanzleramt für sich reklamieren wird. Kramp-Karrenbauer hat ihre Beliebtheit bei diesem Flügel gesteigert, indem sie eine Menge Karnevaleskes sagte, zum Beispiel über Latte Macchiato, Intersexuelle und Klos, oder Seriöseres über die Zukunft der EU – jedenfalls können einige im rechten Flügel ihre Ungeduld kaum zügeln. Sie sind die Muskelhasen.

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Von Hasen und Hasen

Und dann gibt es noch die Mickerhasen. Die sind zwar auch flink und rennen erstmal los, bevor sie die Richtung checken, aber so ganz vertrauen sie ihren eigenen Kräften nicht. Die Mickerhasen sitzen bei der SPD und müssen sich größer machen als sie sind. Ihre Partei regiert mit der Union und ist nicht ganz glücklich auf der Wiese, denn das Regieren wird ihnen nicht gedankt; die mickrigen Umfragewerte verweisen sie in den Hasenbau. Diese Rothasen müssen die nächsten Wahlen im Blick haben: Einen Amtsbonus gönnen sie Kramp-Karrenbauer aus verständlichen taktischen Gründen nicht: Die CDU-Vorsitzende soll so wenig Kanzlerinnenluft wie möglich schnuppern, wenn es darum geht, den Bundestag neu zu bestimmen. Daher rufen die Mickerhasen: Wenn sich die Muskelhasen durchsetzen und Kramp-Karrenbauer inthronisieren, ziehen wir aus und verlangen Neuwahlen.

Eine vertrackte Lage. Denn einen verfrühten Urnengang müssen die Rothasen fürchten, es steht ja nicht gut für sie – und je mehr Zeit vergeht, desto größer die Chance, dass die SPD in der Wählergunst doch noch steigt.

Doch was sagt Merkel zu diesem Hasenstall? Sie schweigt.

Das konnte sie schon immer gut. Und sie weiß um ihre Stärke. Der rechte Flügel ruft laut, ist aber weniger einflussreich als er postuliert. Und die Nachfolger ihrer Herrschaft müssen sich erst noch einarbeiten, sie brauchen eine Schonfrist. Kramp-Karrenbauer ist zwar Politprofi seit Jahren, aber in Themen wie Außenpolitik muss sie noch hineinwachsen, und ihr CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wird dankbar für jeden Tag sein, an dem er Zeit für die Bewusstseinswerdung kriegt, welches Amt er da eigentlich gerade ausfüllen muss. Auch CSU-Chef Markus Söder zeigt noch bundespolitische Blößen; er muss künftig in Berlin mehr mitspielen, da reichen seine Bajuwarismen nicht mehr aus. Also ran an die abendlichen Aktenstudien.

Muss erst noch hineinwachsen in ihre Rolle: Annegret Kramp-Karrenbauer (Foto: REUTERS/Annegret Hilse/File Photo)
Muss erst noch hineinwachsen in ihre Rolle: Annegret Kramp-Karrenbauer (Foto: REUTERS/Annegret Hilse/File Photo)

Je langsamer, desto schneller

Schließlich weiß Merkel um die Attraktivität ihrer langsamen Geschwindigkeit. Einer Forsa-Umfrage zufolge wollten 67 Prozent der Befragten, dass Merkel bis zum Ende der Legislatur 2021 im Kanzleramt bleibt. Keine schlechten Werte.

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Die SPD wird also nicht voreilig das Tischtuch zerschneiden, an welchen Tisch sollte sie sich dann setzen? Die Muskelhasen vom rechten CDU-Flügel mögen sich aufbäumen – aber ihre Show spielt nicht vor ausverkauften Rängen. Und die alten Hasen in der Politik, die wissen um den wahren Wert des Tempos: Denn Merkel ist eine Igelin. Sollten die Muskel- oder die Mickerhasen sie zum Wettlauf drängen, können sie rennen wie sie wollen: Wie im Märchen wird die Igelin gewinnen. Sie wird dafür sorgen, dass sie oder eine Alliierte bereits am Zielpunkt triumphieren. Und genau diese Ahnung dokumentiert: Merkel wird noch lange Kanzlerin sein.

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