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Kommentar: Annalena Baerbock - Superheldin auf Probe

Annalena Baerbock verspricht frischen Wind in der Regierung (Bild: REUTERS/Annegret Hilse/Pool)
Annalena Baerbock verspricht frischen Wind in der Regierung (Bild: REUTERS/Annegret Hilse/Pool)

Annalena Baerbock könnte die zweite Bundeskanzlerin Deutschlands werden. Aber was kommt danach?

In Großbuchstaben flattern die Initialen Baerbocks sekündlich über Twitter. Es scheint, als habe das ganze Land Anteil genommen an dem Moment, in dem Robert Habeck verkündete, dass sie die erste Kanzlerkandidatin der Grünen sein werde. Was in diesem Moment zählt: Baerbock ist eine Frau. Darauf münzt sie sich nicht einmal selbst, der Hype um sie wird aber stets darauf begründet. Sie ist jung, sie könne die deutsche Version von Macron sein, in weiblich! Sie sei es auch geworden, weil die Grünen ihr Versprechen der Erneuerung nicht mit einem regierungserfahrenen Mann schultern könnten.

Dabei hat sie es vor allem aufgrund anderer bemerkenswerter Eigenschaften geschafft: Sie ist geduldig, standhaft und durchsetzungsfähig. Fast genauso wie Armin Laschet derzeit beschrieben wird, lauscht man den Worten der Hauptstadtpresse in dieser Woche nach der überstandenen Machtprobe mit Markus Söder. Bei Laschet könnte das reichen, auf lange Sicht.

Wofür steht sie überhaupt?

Neben der Tatsache, dass sie etwas Neues und Erfrischendes repräsentiert, weiß niemand so recht, wofür Annalena Baerbock steht. Das fiel auch während ihres ersten Interviews mit ProSieben auf, spätestens, als Moderator Thilo Mischke sie völlig unverblümt fragte, ob Putin ein Mörder sei. Neues wagen birgt also auch neue Probleme, die dann wohl neue Antworten brauchen. Auch sonst lässt sich aus dem Interview wenig herauslesen, wer Baerbock ist, zum einen wegen der die Suggestivfragen der Moderatoren, zum anderen wegen Baerbocks Fokus auf dem Grünen Wahlprogramm, gern verbunden mit dem Wort "wir".

Auch Baerbock reiht sich in die Riege jener Politiker ein, die außerhalb ihrer akademisch-politischen Blase wenig gesehen haben. Seit ihrem Studium arbeitet sie bei den Grünen. Wieso sie eine Grüne ist? Ihre Eltern nahmen bereits an Menschenketten gegen Atomkraft teil. Offen bleibt also die große Frage, was Baerbock wirklich machen will. Sie arbeitete als Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik, prinzipiell keine Themen, mit denen man Wähler, gerade aus dem großen linken Spektrum der Grünen, verzaubern kann.

Sie ist Teil des Realoflügels der Grünen, genauso wie Robert Habeck. Dieser regierte auch schon in einer Jamaika-Koalition mit. Sie würde das auch tun, auch wenn sie 2017 keine große Rolle bei den Verhandlungen im Bund spielte. Sie würde genauso auch eine Ampel anführen oder mit Laschet das vielfach prophezeite Schwarz-Grün einläuten. Hauptsache: Regieren. Baerbock ist eine gute Verkörperung des Machthungers der Grünen - verständlich bei der Rückendeckung aus der Bevölkerung.

Bequemer Wahlkampf aus der Opposition

Bis dato gilt auch: Sie braucht noch keine großen Themen. Dank der Pandemie und des Missmanagements der Großen Koalition sowie der selbstzerfleischenden Personaldebatten in der Union können die Grünen derzeit aus der Opposition heraus auf freier Bahn schießen. Es ist eine dankbarer Position, aus der man Vorwürfe erheben und Utopien ausmalen kann, mit denen sich Wahlen gewinnen lassen.

Prinzipiell ist Baerbock damit Laschet einen Schritt voraus: Beide stehen für Politik der Mitte, nur ist sie jung, weiblich und gestärkt durch die Klimabewegung und sie tritt mit einer Partei an, die Inlandsflüge verbieten möchte. Den Weg in die Regierung wird Baerbock schaffen. Sie wird schon durch ihre Person einen emanzipatorisch historischen Beitrag leisten, danach wird die große Frage der Inhalte über sie hereinbrechen. Spätestens dann könnte ihr, sollte es ihr nicht gelingen, auch auf dieser Ebene zu begeistern, der Hype ihrer jungen Weiblichkeit zum Verhängnis werden.

Video: "Kämpferisch, fokussiert, willensstark" - die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock