Kommentar von Arno Luik - Die DB ist kaum zu retten – schon gar nicht von den Bahn-Azubis im Vorstand

Der Zerfall der Deutschen Bahn ist kein göttlicher Ratschluss, er ist hausgemacht. Schlechte Stimmung bei den Kunden. Fürchterliche Stimmung innerhalb der Bahn AG. Ich plädiere für einen Manageraustausch.

Vor ein paar Tagen musste ich herzhaft auflachen, danke Deutsche Bahn, denn da erfuhr die Welt, dass im Land der Techniker, Tüftler und Ingenieure Fahrpläne dieser Bahn AG „nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt werden“. Das sei zwar schlimm, „katastrophal“ sogar, aber der Bahnreisende müsse sich keine Sorgen machen, die Sicherheit sei nicht gefährdet.

Elend Deutsche Bahn.

Es klingt, als wäre dieser Zustand Schicksal. Es kam über uns das Bahn-Desaster. Der Herr will nicht, dass wir auf Schienen fahren. Oder vielleicht der Teufel. Fast überall lese ich, höre ich, dass nun viel Geld, sehr viel Geld in die demolierte Bahn-Infrastruktur gesteckt werden muss, da würde man nicht dran vorbeikommen. Das muss so sein, basta. Schicksal.

Das Bahndesaster ist menschengemacht

Aber, Moment mal, dieser Zerfall ist und war kein göttlicher Ratschluss. Es gab in den vergangenen Jahren, seit 1994, seit dieser Bahnreform, die die Eisenbahn erst privatisieren, dann an die Börse bringen sollte, ziemlich viele Entscheidungen, falsche Entscheidungen von ziemlich vielen Leuten, die entweder nichts verstanden, oder die falschen Interessen hatten.

Das Bahndesaster ist menschengemacht. In der Schweiz, in Österreich, in Italien – da funktionieren die Züge. Dass die Bahn hierzulande in einem Lotterzustand ist – dafür gibt es Verantwortliche. Dafür gibt es Täter. Sie sitzen im Bundeskanzleramt, im Verkehrsministerium, im Verkehrsausschuss.

Sie installierten an der Spitze dieses so wichtigen Unternehmens Männer, die am Anfang ihrer hochdotierten Bahnkarriere keine Ahnung von ihrem Job hatten. Sie alle, ausnahmslos, kamen aus der Auto- oder Luftfahrtindustrie. Bahn-Azubis. Würde die Metzgerinnung einen eingefleischten Veganer zu ihrem Obermeister machen?

Die Namen dieser Bahn-Azubis: Dürr. Mehdorn. Grube. Und sie, mit Macht und viel Geld aus der Staatskasse ausgestattet, machten mit der Bahn, was sie wollten. Sie machten aus einer perfekt funktionierenden Bahn einen milliardenverschlingenden Moloch, der unaufhaltsam auf den Abgrund zurumpelt.

„Ausbau der Schiene“ - das ist nicht geschehen

Laut Grundgesetz ist die Bahn ein besonderer Betrieb – sie hat einen klaren Auftrag: den Bürger mit einem günstigen Transportmittel zu versorgen. Jeden Bürger, egal wo. Die Bahn soll agieren „zum Wohl der Allgemeinheit“, so steht es in Artikel 87e des Grundgesetzes. Und sie soll – auch aus ökologischen Gründen – dafür sorgen, dass mehr Personen – und vor allem auch mehr Güterverkehr auf die Schienen kommt und runter von der Straße. So sagen es die Politiker seit Jahrzehnten.

Beides funktioniert nicht. Bei beidem versagt die Bahn. Es ist absurd, konstatierte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vor ein paar Jahren, „wenn ein Konzern, der zu 100 Prozent im Staatsbesitz ist, sich nicht um die Gesetze des Staats kümmert“.

Bahnchef Heinz Dürr versprach 1991 beim Amtsantritt: Es werde einen „Ausbau der Schiene“ geben. Das ist nicht geschehen. Er erklärte: „Erstes Ziel ist: mehr Verkehr auf die Schiene.“ Und was machte er, das Ex-Vorstandsmitglied des Daimler-Konzerns? 1997 schaffte er die Postzüge ab. Und die Deutsche Post AG schaffte sich als Ersatz für Züge dann 6000 LKWs an.

Steigen Sie in den Zug, erleben Sie Ihre nächste Abenteuerreise

Ihm verdankt das Land übrigens auch Stuttgart 21, jenes babylonische Tiefbau-Projekt, das laut Rechnungshof wegen seiner explodierenden Kosten das Potenzial hat, die Bahn in ihrer Existenz als Ganzes zu gefährden.

Bahnchef Hartmut Mehdorn erklärte 1999 bei seinem Amtsantritt: „Unser Markt ist nicht Deutschland. Unser Markt ist die Welt.“ So kam es. Statt verantwortungsvoll hierzulande in die Infrastruktur zu investieren, verschwanden Milliarden Euro in Auslandsgeschäfte, die sich nie amortisieren. Heute ist die Bahn AG in über 130 Ländern unterwegs und ein wirres Konglomerat von über 800 Firmen.

Bahnchef Rüdiger Grube versprach 2009 bei Amtsantritt: „Meine wichtigste Aufgabe ist es, das Brot- und Buttergeschäft der Bahn wieder in Ordnung zu bringen.“ 2010 versprach er: „Wir investieren in den nächsten fünf Jahren hier in Deutschland rund 41 Milliarden Euro, so viel wie noch nie.“

Ich habe mal überschlagen, was in den vergangenen drei Jahrezehnten an Investitionen so alles versprochen wurde: eine Billion Euro. Und was ist dabei herausgekommen?

Steigen Sie in den Zug, erleben Sie Ihre nächste Abenteuerreise. Vergessen Sie nicht, eine Zahnbürste mitzunehmen.

„Du erlebst, wie das System zusammenbricht - das kann krank machen“

Schlechte Stimmung bei den Kunden. Fürchterliche Stimmung innerhalb der Bahn AG. Die Eisenbahner haben sich früher selbst als „Familie“ bezeichnet – aber diese Zeiten sind vorbei. Aus den stolzen Bahnern von einst ist ein Berufsstand geworden voller Frust und Fatalismus.

Das Personal, das in Kontakt zu den Reisenden kommt, muss sehr viel erdulden, Tag für Tag, Beleidigungen anhören, Anpöbeleien aushalten, Hohn und Spott ertragen – anders als die hochdotierten Bahnmanager in ihrem Turm in Berlin. Viele, verheerend für ein Unternehmen, sind längst in der inneren Emigration.

Ein Lokführer sagte neulich zu mir: „Du hast das Gefühl, bei einer Firma zu arbeiten, die in der Abwicklung ist. Du fährst durchs Land, du siehst überall die rausgerissenen Gleise, die versifften, zugenagelten Bahnhöfe, du musst ständig abbremsen, weil so viel marode ist. Du erlebst, wie das System zusammenbricht. Das kann dich schon krank machen. Wir fahren auf der letzten Rille. Ich sehne mich jeden Tag nach meiner Rente.“ Dieser Lokführer ist noch nicht mal 50 Jahre alt.

Generalsanierung ist unnötig wie ein Kropf

Bahnchef Richard Lutz erklärte bei seinem Amtsantritt 2018: „Wir müssen besser werden!“ Unter seiner Regentschaft ist die Bahn so gut geworden, dass sie, der Fußball-Europameisterschaft sei Dank, weltweit Objekt des Spotts wurde.

„Vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten“, schrieb ein entsetzter Reporter der „New York Times“ über seine EM-Erlebnisse: „Effizienz. Verlässlichkeit. Zweckmäßigkeit“ sei doch das, „was viele Menschen am meisten mit Deutschland assoziieren, aber bisher hat sich bei der Europameisterschaft 2024 keines dieser Klischees bewahrheitet“, denn: „Der U-Bahn- und Zugverkehr in den Austragungsstädten ist unter der zusätzlichen Nachfrage zusammengebrochen. Das ist nicht das, was der Rest Europas erwartet hat.“

Und auch die deutschen Bahnkunden nicht. Und schon gar nicht das: diese sündhaft teure Generalsanierung von 41 Hauptstrecken, die für viele Jahre (bis mindestens 2031) das Zugfahren in Deutschland zur Qual macht. Und unnötig wie ein Kropf ist.

Seit es die Eisenbahn gibt, also seit fast 200 Jahren, werden die Schienen unterm „rollenden Rad“ repariert – fast unbemerkt von den Reisenden. So ist das weltweit. Allenfalls in extremen Ausnahmefällen gibt es Vollsperrungen, für wenige Stunden an verkehrsarmen Tagen, meist nachts.

Eine Vollsperrung ist für die Bahn einfacher als das Reparieren bei laufendem Betrieb. Das eine ist kundenverachtend, das andere kundenfreundlich. Aber diese runtergerockte Bahn hat schon lange nicht mehr das Knowhow für kundenfreundliches Verhalten.

Diese Bahn ist irreparabel

Einer, der wirklich weiß, wie man Züge fährt, wie man Schienen repariert, Benedict Weibel, ehemaliger Chef der Schweizer Staatsbahnen, nennt diese Komplettsperrungen „Selbstmord mit Ansage“.

Ein Beispiel, was dieser Anschlag der Bahnchefs auf die Bahn bedeutet: Fünf Monate lang läuft jetzt zwischen Hamburg und Berlin nix. Man schleicht jetzt über Dörfer, muss gelegentlich in den Bus, staut sich an einspurigen Streckenabschnitten, und jene, die auf den Nah- und Regionalverkehr angewiesen sind, sind total verratzt, Vorfahrt ICE.

Ich will gar nicht darüber nachdenken, was das auch für jene Unternehmer bedeutet, die per Schiene Fracht vom Hamburger Hafen wegtransportieren wollen? Und pünktlich sein müssen. Sicher ist nur: Der LKW- und PKW-Verkehr wird die verstopften Autobahnen noch mehr verstopfen. Ein staatlich subventioniertes Umererziehungsprogramm. Selbst den überzeugtesten Bahnliebhaber und Autoverachter zwingt das Grauen hinters Lenkrad. Staatlich subventioniertes Klimakillen.

Vor ein paar Jahren sagte ich: Diese Bahn ist kaum mehr zu reparieren. Heute sage ich: Diese Bahn ist irreparabel. Sie hat den Kipppunkt zur Rettung überschritten.

Gibt es tatsächlich keine Rettung? Wo bleibt das Positive? Die das Desaster verursacht haben, können nicht die Retter sein. Vielleicht hilft nur eins: Ab mit ihnen in die Schweiz. Manageraustausch – wie es den Schüleraustausch gibt. Die Schweizer können entsetzt schauen und garantiert viel verbessern. Die Deutschen können staunen. Und ungeheuer viel lernen. Viele Jahre wird das dauern.