Kommentar: Auch bei Corona heißt der klassische Sündenbock "Migrant"

Österreichs Kanzler Kurz machte Anfang Dezember vor allem migrantische Personen für Corona-Ausbrüche verantwortlich (Bild: Reuters/Leonhard Foeger)
Österreichs Kanzler Kurz machte Anfang Dezember vor allem migrantische Personen für Corona-Ausbrüche verantwortlich (Bild: Reuters/Leonhard Foeger)

Österreichs Bundeskanzler Kurz sorgt für Wirbel, als er in einer Pressekonferenz migrantische Menschen aus dem Balkan und der Türkei für die hohen Infektionsraten in Österreich verantwortlich macht. Wieso Rechtspopulismus für Bundeskanzler Kurz aber auch deutsche Politiker ein wirksames Rezept gegen politisches Versagen ist.

Ein Kommentar von Nour Khelifi

In einer Pressekonferenz Anfang Dezember behauptet Bundeskanzler Sebastian Kurz, dass vor allem “Reiserückkehrer und insbesondere Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben” schuld seien an der massiven Zunahme von COVID-Infektionen in Österreich. Ende diesen Sommers sollen “vor allem Personen mit Wurzeln am Balkan und der Türkei das Virus nach Österreich geschleppt” haben. Doch ist an dieser Aussage etwas dran?

Die staatlichen Behörden in Österreich können Kurz’ Behauptung nicht mit Beweisen untermauern. Die Statistiken der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), auf die sich Kurz bezieht, können über Urlaubsrückkehrer lediglich Informationen erfassen wie die aktuelle Staatsangehörigkeit, jedoch nicht, ob ein möglicher Migrationshintergrund in der Geschichte der jeweiligen Person vorliegt.

Abgesehen davon waren und sind die größten Corona-Hotspots innerhalb der österreichischen Grenze gelegen, nachdem Bundeskanzler Kurz stark für “Heimaturlaub in Österreich” und maskenfreien Tourismus plädierte.

“Die Ausländer sind schuld!”

Somit bedient sich Bundeskanzler Kurz der üblichen populistischen Rhetorik, wenn es darum geht, das eigene politische Versagen zu verschleiern, das Menschenleben kostet: Die Ausländer sind schuld! Auch in Deutschland bediente man sich ähnlicher Aussagen. Ob Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter aus Osteuropa, die extra nach Deutschland reisen, um auf den Erdbeer- oder Spargelfeldern zu arbeiten, asiatisch gelesene Menschen in Deutschland oder Hochzeiten von überwiegend muslimischen Menschen, sie alle wurden verantwortlich gemacht für den explosiven Anstieg der Corona-Infektionen.

Dieses Virus zeigt uns, wie schnell man Sündenböcke kreieren kann, anstatt konstruktive Lösungen, um diese Pandemie in den Griff zu kriegen. Auch der Antisemitismus ist hoch im Kurs, seitdem Coronaleugnerinnen und Coronaleugner die Schlagzeilen füllen, unter denen sich auch nationalsozialistische und christlich-fundamentalistische Menschen tummeln. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt berichten von über 100 Corona-spezifisch rassistischen Übergriffen, insbesondere asiatisch gelesene Menschen sind davon mehrheitlich betroffen.

Auf den Corona-Demos tauchen immer wieder antisemitische Bezüge auf (Bild: Reuters/Axel Schmidt)
Auf den Corona-Demos tauchen immer wieder antisemitische Bezüge auf (Bild: Reuters/Axel Schmidt)

Statt Einheit, fachlicher Expertise und konsequenter Handlungen wird hierbei nicht nur die Demokratie, sondern auch das gesellschaftliche Zusammenleben sowie Menschenleben aufs Spiel gesetzt. Insbesondere als Führungsperson eines Landes kann es nicht sein, dass man mit billigen aber dennoch brandgefährlichen und rassistischen Aussagen die Atmosphäre aufheizt.

Sündenbockrhetorik stoppt keine Infektionen

Die Krankenhäuser sind überfüllt, die Pflegekräfte schon längst über dem Punkt der Erschöpfung hinaus und die Zahl der Toten pro Woche ist viel zu hoch für die Möglichkeiten, die wir in Deutschland oder Österreich haben, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen. Allein am Freitag wurden vom Robert-Koch-Institut 598 Tote vermeldet.

Mit der Suche nach Sündenböcken ist es nicht getan. Solange halbe Lockdowns verhängt werden, Querdenker-Demos nicht konsequent verboten werden und Menschen sich nicht an die Maßnahmen halten, wird diese Pandemie noch weitaus mehr von dieser Gesellschaft fordern, als ohnehin. Man hat sich nach der ersten Welle zu weit aus dem Fenster gelehnt. Die Rechnung dafür wird jetzt präsentiert. Ob Deutschland oder Österreich - die Sündenbockrhetorik wird keine Infektionen oder Todesfälle aufhalten. Es gilt jetzt zu handeln.

Video: Immer mehr Bundesländer fordern harten Lockdown