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Kommentar: Auf Lesbos züchten wir uns exklusiv die nächste Corona-Epidemie heran

Geflohene schützen sich auf Lesbos vor dem Regen (Bild: REUTERS/Elias Marcou)
Geflohene schützen sich auf Lesbos vor dem Regen (Bild: REUTERS/Elias Marcou)

Die Lager Geflüchteter auf griechischen Inseln spotten jeder Beschreibung. Doch die kurzsichtige deutsche Politik lässt sie allein.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal kommen Feigheit und Dummheit in besonders bedenklicher Mischung zusammen, und da sind wir bei unserer Bundesregierung angelangt.

Die Große Koalition macht in der Corona-Krise eine gute Figur. Sie fährt auf Sicht, reagiert derweil schnell auf die wirtschaftlichen Katastrophen, die sich abzeichnen. Hier wird ein Gesetz geändert, dort eine Order erlassen – es läuft. Doch die gleiche Flexibilität und Durchsetzungskraft enden an den Schlagbäumen. Das ist wenig einsichtig, denn zum einen kennt der Virus keine Grenzen (allen Beteuerungen der AfD zum Trotz) und zum anderen geht es Deutschland gut, wenn es Europa gut geht.

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Um die wirtschaftlichen Katastrophen nur ein paar Kilometer südlich scheren wir uns nicht, zum Beispiel gemeinsame Euro-Anleihen will die Bundesregierung nicht. Dabei wären sie das am meisten geeignete Mittel für alle – eben für unsere Nachbarn, die unsere Freunde, Verwandten, Gastgeber, Handelspartner und Kunden sind. Berlin gräbt sich gerade das Wasser ab.

Ein bisschen merkt man das, deshalb gibt es eine Menge warmer Worte, und vielleicht wird tatsächlich noch ein Rettungsanker gegossen, der irgendwie effektiv hilft.

Wer aber gar nichts kriegt, nicht einmal warme Worte, das sind die Geflohenen in den griechischen Lagern. Nicht einmal das gegebene Wort wird eingehalten.

Es muss gehandelt werden

Die Zustände dort sind mehr als eine Katastrophe. In Moria zum Beispiel kommen mehr als 20.000 Menschen auf einem Raum zusammen, der für 3000 ausgelegt ist und auch dann armselig wäre. Sie „leben“ in Zelten und im Schlamm, allein gelassen von den griechischen Behörden. Froh, den Krieg hinter sich gelassen zu haben. Doch den versteinerten Blick, weil nichts vorangeht, nichts besser wird, haben auch die Kinder.

Und nun riskieren sie in diesen unmenschlichen hygienischen Bedingungen auch an Corona zu erkranken. Bisher blieben die Lager weitgehend verschont, aber ein Ausbruch wäre, aus der Perspektive des Virus, sehr effektiv.

Daher wird seit langem geredet. Vor einem Monat hatten acht EU-Staaten beschlossen, wenigstens einen kleinen Teil der unbegleiteten oder kranken Kinder aufzunehmen, von 1600 war die Rede; Finnland etwa wollte 150 Minderjährigen Schutz bieten, Frankreich 400. Die deutsche Bundesregierung hielt sich zurück, weil man damit angeblich die Solidarität der anderen EU-Länder hervorlocken wollte. Nun wollte Berlin vor einem Monat auch mitmachen – ob 400 oder weniger, nicht einmal das wurde verlautbart. Und passiert ist seitdem: nichts.

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Die dafür vorgebrachten Argumente sind keine. Mal bräuchten die griechischen Behörden für die Identifizierung so lange, mal sei die EU-Kommission für die Verteilung zuständig, mal sollten die einzelnen Aufnahmeländer sich unter sich einigen. Es ist ein Schlamassel.

Schon die avisierte Zahl von nur 1600 Kindern ist ein Skandal. Die Zustände in den Lagern spotten jeder Beschreibung. Dabei ist dies Europas erstes Gesicht nach außen. Die Leute leiden dort. Und über Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán beschweren wir uns laut, über seinen Hang zur Diktatur und zur Aushebelung demokratischer Rechte, um die eigene Machtbasis abzusichern und auszubauen. Über die griechische Regierung aber verlieren wir kein Wort.

Was ist da los?

Dabei begeht Athen seit Wochen einen Rechtsbruch. Das Recht auf Asyl wurde wegen der Coronakrise für einen Monat ausgesetzt. Damit wurden den Geflohenen die staatlichen Hilfen gestrichen; Bürgermeister stehen nun mit der Versorgung allein da, und das in Lagern, die Athen in Gegenden aufgestellt bracht, wo die Griechen noch nicht einmal ihr Vieh zum Weiden hinbringen – total isoliert, es ist eine Schande. Und Europa schaut zu. Natürlich trifft Corona auch die griechische Regierung hart. Aber durch die Misshandlung von Geflohenen wird auch keinem griechischen Bürger geholfen.

Die Situation sieht nun so aus: In „Lagern“ vegetieren Menschen dahin, die Schlimmstes hinter sich gelassen haben und die in Europa nur ihr Recht wahrnehmen wollen – und wir sitzen es aus. Der Corona-Virus wird früher oder später die Lager überrennen – und wir sitzen es aus.

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In Europa werden wir also früher oder später die Verbreitung von Corona eindämmen, durch Kontaktsperren. Und gleichzeitig leisten wir uns in Europa, denn die griechischen Lager gehören dazu, den massenhaften Ausbruch dort – als würde uns das nicht angehen. Das bildet den Rahmen zu Feigheit und Dummheit in der Bundesregierung.

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