Kommentar: Boris Johnson, echt jetzt?

Immer für einen Spruch zu haben: Boris Johnson bei seinem letzten Tag im Amt des britischen Premierministers (Bild: Justin Tallis/Pool via REUTERS)
Immer für einen Spruch zu haben: Boris Johnson bei seinem letzten Tag im Amt des britischen Premierministers (Bild: Justin Tallis/Pool via REUTERS)

Die Rückkehr des Politiker-Darstellers wäre der größte Witz, der den Briten einfallen könnte. Es wird Zeit für eine Prise Realismus bei den britischen Konservativen. Das bedeutet: Entweder Gang in die Opposition oder Selbstreinigung von den Träumen der Vergangenheit eines Greater Great Britain.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eigentlich liegt es nicht fern: Wenn im Land eine Regierungskrise herrscht, greift man zum Bewährten – oder zumindest zu jenem, das bekannt ist. In Großbritannien währt gerade politisches Chaos, und da liebäugelt der erst vor sechs Wochen abgetretene Premierminister Boris Johnson mit einer Rückkehr in die Downing Street 10; seine Nachfolgerin Liz Truss hat schon hingeworfen.

Bei Johnson, wie Truss Mitglied bei den konservativen Tories, weiß man, was man hat. Er war nicht nur Regierungschef gewesen, sondern vorher auch Außenminister, Londoner Bürgermeister, Parlamentsabgeordneter, Herausgeber, Korrespondent und Scharlatan. Als Politikmanager der Hauptstadt hatte er Verdienste, auch wird es mit Johnson nie langweilig, er ist ein nahbarer Typ. Einer, der auf Leute zugeht und so redet, dass man ihn versteht.

Dennoch wäre eine Rückkehr Johnsons die Kirsche auf der Sahnetorte historischen Versagens. Denn seine politische Bilanz als Regierungsoberhaupt ist eine des einzigen Scheiterns – von der Außenpolitik (außerhalb Europas) abgesehen, in der Johnson mehr Spür- und Scharfsinn als Zauder-Olaf-Scholz bewies.

Im Grunde ein einziges Kopfschütteln

Der Reihe nach: Den Streit mit der EU hat er nie richtig beigelegt. Überhaupt ist der Brexit nur vollzogen worden, weil zu viele Briten seine Lügen in der Wahlkampagne glaubten und selbst Johnson davon überrascht wurde; eigentlich war er nur für den EU-Austritt, weil er sich damit innerparteilich Aufstiegschancen erhoffte, und so kam es dann auch. Bei der Coronapandemie fuhr Johnson einen Zickzack-Kurs, nahm das Virus anfangs sträflich nicht ernst genug. Später genehmigte sich Johnson mehrere Partys, während der Rest der Bevölkerung auf Abstands- und Sicherheitsmaßnahmen zu achten hatte. Letzteres brachte ihn schließlich zu Fall. Es war eine Lüge zu viel gewesen.

Der Abkömmling englischer Oberschicht war schon immer ein Snob, der meinte, sich mehr rausnehmen zu können als andere. Solidarität, Gerechtigkeit – das sind unbekannte Fremdworte für den Philologen. Gut reden heißt eben nicht automatisch gut regieren.

Und der Worte gebraucht Johnson viele. Als Praktikant bei der „Times“ fälschte er ein Zitat und flog raus. Beim „Daily Paragraph“ erfand er als Brüsseler Korrespondent Geschichten über die angebliche EU-Bürokratie – und nein, sowas ist weder normal noch gang und gäbe; Johnson war als Journalist eine Zumutung, und er wäre besser Unternehmensberater oder Werber geworden als Politiker.

Gesucht: Politiktalent, kein Verkaufstalent

Diesem Mann also noch einmal die Übernahme von Verantwortung zuzutrauen, ist ein Akt der Verzweiflung. Johnson würde das Märchen vom erfolgreichen Großbritannien weitererzählen, während das Gesundheitswesen weiter dahinrostet, die Inflation Rekordhöhen erreicht und die Armen noch unglaublich ärmer werden. All dieses Gerede, wie toll Großbritannien sei oder werden könne, die hochfliegenden Wirtschaftspläne der Tories ohne doppelten Boden – all dies hat den Staat an den Rand eines Abgrunds geführt.

Johnson ist eine einzige Witzfigur. Seine Anhänger erwidern: Er sei ein Siegertyp. Das stimmt. Aber nach einem Sieg geht es ans Regieren. Dem Land ist anderes zu wünschen.

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