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Kommentar: Boris Johnson klebt an seinem Amt

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson bei einem Pressetermin Anfang Juli (Bild: REUTERS/John Sibley/Pool)
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson bei einem Pressetermin Anfang Juli (Bild: REUTERS/John Sibley/Pool)

Für den britischen Premier wird die Luft dünn, heißt es – wie so oft. Doch Boris Johnson konnte sich stets halten. Aus seiner Sicht bleibt ihm auch nichts anderes übrig.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Downing Street 10 ist eine feine Adresse. Wer möchte dort nicht wohnen? Boris Johnson jedenfalls könnte es noch eine Weile aushalten, immerhin hat er für viel, viel Geld auf Staatskosten den alten Mief seiner Vorgänger ausmisten lassen und ein wenig Style in die Einrichtung gebracht. Das will er nicht rasch aufgeben.

Doch Johnson sollte sich beeilen. Denn ein anderer Brite, der zweitwichtigste Brite nach der Queen sagte einmal: Sag niemals nie. Irgendwann ist Schluss, und dann wird Johnson den Amtssitz des Premierministers in der Londoner Downing Street 10 verlassen. Müssen. Freiwillig geschieht es nicht. Warum?

Johnson weiß instinktsicher: Besser beruflich treffen wird er es nie wieder. Dass er ins Amt des Premierministers gekommen ist, war eine Überraschung. Alles war zu groß für ihn. Sollte er fliegen, wird er nur noch den guten, alten Zeiten hinterhertrauern.

Nichts vorzuweisen

Denn Johnson weiß auch: Er ist unmoralisch und ein Lügner. Dies brachte ihn in der Politik nach oben, nachdem er deswegen im Journalismus keinen nachhaltigen Erfolg hatte. Er vermag die Leute zu bequatschen, mit seiner Mischung aus echter Nahbarkeit und wahrem Snobismus. Und er traut sich zu, die Menschen um sich herum weiterhin behexen zu können, ihnen vorzugaukeln, er habe ein Programm, ein Konzept, eine Strategie, eine Wertebasis.

Aber das Einzige, das Johnson hat, ist seine Überzeugung von sich selbst. Als Abkömmling der Oberschicht, stets umgeben von reichen Freunden und bester Bildung, scheint es für Johnson normal zu sein, dass ihm alles zufällt, wie das Amt des Premierministers.

Im Zweifel hilft er nach. Dann bezirzt er Menschen, erzählt ihnen Geschichten, die vorzugsweise nicht stimmen, dann klingen sie besser: Wie bei seiner Brexit-Kampagne, als er vorgaukelte, welche angeblichen Kosteneinsparungen mit dem Ausstieg aus der EU verbunden wären.

Deshalb interessieren ihn die Vorwürfe dieser Tage eher wenig.

Jeder faule Zauber verfliegt einmal

Schadensbegrenzung versucht er, das erledigt er im Schlaf. Alkoholpartys im Amtssitz während Lockdown? Hat er nicht gewusst. Oder hat er nicht als Party erkannt. Oder er war schnell weg. Ein von ihm protegierter Politiker wurde handgreiflich? Kriegte er so lange nicht mit, bis es ihm wieder einfiel, rein zufällig. Einfallen musste? Männer wie Johnson tasten sich durch die Politik nur mit den Sensoren des eigenen Vorteils. Ein Land ist schlecht beraten, sich ihnen anzuvertrauen. Die Briten beweisen bei Johnson eine erstaunliche Leidensfähigkeit. Immerhin unterhaltsam ist er.

Im Grunde können ihm die Ministerinnen und Minister nur weglaufen, wie es gerade zwei von ihnen getan haben. Oder die Torys, von denen nicht wenige ihn schon aus dem Amt mittels eines parteiinternen Misstrauensvotums kegeln wollten, schließen sich noch einmal zusammen und distanzieren sich nachhaltig von einem Politiker, der mit seinen Eskapaden nichts anderes sagt als: Quod licet Iovi, non licet bovi – was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.

Im Video: Minister-Rücktritte stürzen Johnson in politische Krise