Kommentar zum BVB-Beben - Das Problem in Dortmund ist nicht Sahin, sondern der Machtkampf um Watzkes Erbe

Sebastian Kehl, Nuri Sahin und Lars Ricken im Austausch während der Saisonvorbereitung<span class="copyright">IMAGO/RHR-Foto</span>
Sebastian Kehl, Nuri Sahin und Lars Ricken im Austausch während der SaisonvorbereitungIMAGO/RHR-Foto

Nuri Sahin muss schon nach einem halben Jahr als BVB-Trainer gehen. Sahin war in Dortmund überfordert, doch das wahre Problem der Borussia war er nicht. Der Machtkampf um Watzkes Erbe geht weiter und stürzt den Verein ins Chaos. Ein Kommentar.

Borussia Dortmund trennt sich von Nuri Sahin. Der Trainer muss nach der vierten Pflichtspielniederlage am Stück, was zuletzt vor einem Vierteljahrhundert beim BVB der Fall war, gehen. Die 1:2-Niederlage beim FC Bologna in der Champions League ist der vorläufige Tiefpunkt eines bösen BVB-Absturzes.

Bereits unmittelbar nach Spielschluss war ein jähes Ende von Sahins kurzer Amtszeit absehbar. Sport-Geschäftsführer Lars Ricken verzichtete anders als zuletzt auf ein Bekenntnis. Sahin selbst wirkte niedergeschlagen und resigniert.

Und am Mikrofon von Amazon Prime Video zerlegte ein Mann, der bei jedem Spiel neben den Dortmunder Bossen sitzt und als Berater viele BVB-Entscheidungen mitverantwortet, die Truppe von Sahin. Die Abrechnung von Matthias Sammer war schonungslos – und offenbart die viel eklatanteren Probleme der Borussia.

Machtgeklüngel und fragile Egos in der BVB-Chefetage

Dass Sammer als externer Berater von Ricken und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke so öffentlichkeitswirksam die eigene Mannschaft samt Trainer zerlegen darf, zeugt von einer Uneinigkeit in der Führungsriege.

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Die ist seit geraumer Zeit kein Geheimnis in Dortmund. Es geht um Machtgeklüngel und fragile Egos.

V.l.: Hans-Joachim Watzke, Lars Ricken, Matthias Sammer, Carsten Kramer und Sven Mislintat<span class="copyright">IMAGO/Thomas Frey</span>
V.l.: Hans-Joachim Watzke, Lars Ricken, Matthias Sammer, Carsten Kramer und Sven MislintatIMAGO/Thomas Frey

 

Seit der langjährige Sportdirektor Michael Zorc sein Amt niedergelegt hat, herrscht ein bis heute ungefülltes Vakuum. Im Januar letzten Jahres verkündete dann auch Watzke seinen Abschied für den Herbst 2025. Der Kampf ums Erbe des BVB war eröffnet.

Statt Sebastian Kehl, seinerzeit Zorc-Nachfolger, für die nächstgrößere Aufgabe zu befördern, setzte Watzke ihm Ricken vor die Nase. Der war zuvor als Nachwuchskoordinator und Direktor des Nachwuchsleistungszentrums tätig.

Kehl, Ricken, Mislintat, Watzke, Sammer - sie alle mischen beim BVB mit

Zeitgleich wurde Sven Mislintat zurückgeholt. Der entdeckte einst als BVB-Chefscout Talente wie Pierre-Emerick Aubameyang, Ousmane Dembélé und Shinji Kagawa, die in Dortmund zu Stars wurden. Diamantenauge haben sie ihn getauft.

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Nach einem Streit mit dem damaligen Trainer Thomas Tuchel zog es Mislintat raus in die weite Fußballwelt. Erst Arsenal, dann Stuttgart, dann Ajax Amsterdam. Mislintat mischte als Sportdirektor ganz oben mit. Nun soll er sich als Technischer Direktor in Dortmund wieder unterordnen.

Als Ricken im Mai vergangenen Jahres offiziell vorgestellt und zeitgleich Mislintat präsentiert wurde, tätigte Watzke bereits eine interessante Aussage: „Jeder von denen, die dann auch eine gewisse Qualität ausstrahlen, hat auch ein gewisses Ego. Wenn die drei es hinkriegen, konstruktiv und wirklich vertrauensvoll unter Lars’ Führung zusammenzuarbeiten, haben wir eine Riesenchance. Ich hoffe, dass sie es hinkriegen – es kann aber auch sein, dass es nicht funktioniert.“

Es funktioniert nicht. Besonders die Zusammenarbeit zwischen Kehl und Mislintat ist belastet. Im Sommer war Watzke bereits zu einer ersten Intervention gezwungen.

Alle gegen jeden bei Borussia Dortmund

Kompetenzen wurden klarer definiert, Rollen besser zugeschnitten, nach Außen Harmonie und Einigkeit demonstriert. Hinter den Türen bleiben die Machtspielchen. Das Klima ist vergiftet. Kehl, Ricken, Mislintat, Watzke, Sammer - sie alle mischen mit, alle spielen gegeneinander.

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Im Kern sieht das so aus: Mislintat will Kehls Job, Kehl will Rickens Job. Der kann niemanden vertrauen und hat zeitgleich die Stimme von Sammer im Ohr. Und am Ende gehen alle relevanten Entscheidungen doch über Watzkes Schreibtisch.

Dennoch hat Ricken zum Jahresstart den auslaufenden Vertrag von Kehl verlängert - auch aufgrund seines engen Drahtes zu Sahin und der Mannschaft. Bei Mislintat soll dieser Vorgang laut „Sport-Bild“ auf großes Unverständnis gestoßen haben und er soll sich intern „in einer lockeren Runde mit mehreren Mitarbeitern“ darüber ausgelassen haben - inklusive Seitenhieb gegen Ricken, der „nicht durchsetzungstark genug gewesen sein soll“, so die „Sport-Bild“.

Keine Führungsspieler im BVB-Team

So entstehen stete „Nebenkriegsschauplätze“, wie sie Sahin selbst nach der Bologna-Pleite bei Prime Video beklagte. Wer soll in dieser Unruhe einen Vereinen mit derart erhöhten Erwartungen zum Erfolg führen?

Borussia Dortmund trennt sich nach vier Pflichtspielniederlagen zum Jahresstart von Cheftrainer Nuri Sahin<span class="copyright">IMAGO/Ulmer/Teamfoto</span>
Borussia Dortmund trennt sich nach vier Pflichtspielniederlagen zum Jahresstart von Cheftrainer Nuri SahinIMAGO/Ulmer/Teamfoto

 

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Noch dazu, wenn im Kader auf sämtliches Führungspersonal verzichtet wird. Im Sommer sind in Mats Hummels, Marco Reus und Niclas Füllkrug drei wichtige Führungsspieler und mächtige Stimmen in der Kabine verloren gegangen. Die kann niemand ersetzen.

Sahin nur ein Opfer seiner Umstände

Kapitän Emre Can ist mittlerweile nicht nur sportlich angezählt, er saß in Bologna wie sein Vize Julian Brandt nur auf der Bank.

Nach der Partie stellte sich kein einziger Spieler vor den Mikrofonen der Journalisten, die nach diesem enttäuschenden Abend so viele Fragen hatten.

Sahin ist nur ein Opfer seiner Umstände. Dabei ist es irrelevant, ob der so unerfahrene Coach überhaupt für den seit der Klopp-Ära heißen Stuhl des BVB-Cheftrainers geschaffen war. Wer ist das schon?