Kommentar von Carsten Fiedler - Faeser schreibt plötzlich Migrations-Brandbrief - dahinter steckt klares Kalkül
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat der EU-Kommission einen Brandbrief geschickt. Sie beschreibt darin die dramatische Lage bei der irregulären Migration. Der plötzliche Erkenntnisgewinn wirkt durchsichtig und rein taktisch.
Die Worte, die Nancy Faeser wählt, klingen dramatisch, drastisch, keinen Aufschub duldend. Deutschland sei bei der Aufnahme von Geflüchteten „an der Grenze des Leistbaren“, schreibt die Bundesinnenministerin in einem Brief an die EU-Kommission, über den zuerst der „Spiegel“ berichtete. Die Ressourcen in Bund und Ländern seien in der Migrationsfrage „nahezu erschöpft“.
Und weiter heißt es: Es handele sich um eine „unverändert besorgniserregende Situation“. Die Höhe der irregulären Einreisen sei nicht mehr akzeptabel. Bis einschließlich Juli seien in diesem Jahr bislang 50.000 Fälle registriert worden.
Meint sie das ernst?
Faesers Brandbrief an Brüssel – man fragt sich: Was, bitte schön, ist denn da los? Plötzlich findet die Ministerin einen Ton, den sie in der innenpolitischen Debatte monatelang nicht anschlagen wollte.
Meint sie das ernst, fragt man sich. Und wenn es wirklich ihre Überzeugung ist: In welchem Paralleluniversum hat die SPD-Politikerin dann in den letzten Monaten, wenn nicht Jahren gelebt?
Erkenntnisgewinn, auch plötzlicher, ist ja eigentlich eine positive Sache. Im Fall von Nancy Faeser jedoch wirkt er durchsichtig und rein taktisch. Lange Zeit hat die Ministerin ein ganz anderes Bild von den Notwendigkeiten an den Grenzen gezeichnet. Den Klartext, den sie jetzt an ihre EU-Kolleginnen und Kollegen richtet, hat sie der Bevölkerung in Deutschland lange vorenthalten.
Die Vermutung liegt nahe: Ohne den massiven Druck, den die Union in den letzten Wochen aufgebaut hat, wären ihre Worte längst nicht so drastisch ausgefallen. Und ob da am Ende auch ein in die Enge getriebener Kanzler, der Handlungsfähigkeit beweisen musste, nachgeholfen hat?
Faeser gab ein Stück weit nach
Mit Händen und Füßen hatte sich Faeser immer wieder gegen einen härteren Kurs bei Grenzkontrollen gewehrt. Dann kam das furchtbare Messer-Attentat von Solingen – und eine Debatte, in der Oppositionschef Friedrich Merz auf einen Asyl-Gipfel pochte und die Union schärfere Maßnahmen gegen die illegale Migration auf die Tagesordnung setzte.
Begleitet von Umfragen, in denen die Mehrheit der Bevölkerung genau dies auch einforderte: Eine konsequente Bekämpfung der illegalen Migration und eine klare Kante gegen Asylbewerber, die in Deutschland kriminell werden.
Der Asyl-Gipfel scheiterte zwar mit viel Pulverrauch, weil die Ampel-Parteien nicht auf die Forderung der Union nach Zurückweisungen von Migranten an den Grenzen eingehen wollten.
Dennoch gab Faeser ein Stück weit nach und erklärte noch vor dem Gipfel, dass ab dem 16. September 2024 vorübergehende Binnengrenzkontrollen an allen deutschen Landesgrenzen eingeführt werden.
Faesers Brief ist ein Stück weit entlarvend
Eine Verschärfung, die vor allem aufgrund des massiven Drucks der Union und der Bevölkerung zustande kam – und die Faeser der EU-Kommission nun notgedrungen erklären musste.
Die Migrationsbehörden gerieten „zunehmend an die Grenzen des Leistbaren bei Aufnahme, Unterbringung und Versorgung“, formuliert die Ministerin. Sie sieht nun eine „Überforderung Gemeinwesens“ und „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ – Punkte, vor denen Kommunen, Städtebund und Länder schon seit Monaten, sogar Jahren warnen.
Es ist ein Stück weit entlarvend, wenn Faeser in ihrem Brief an Brüssel derart drastische Worte findet, die sie in der innenpolitischen Auseinandersetzung so lange vermieden hat. Gegenüber den Nachbarländern Frankreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden und Dänemark versucht die Innenministerin so ihren Grenzkontrollen-Plan zu rechtfertigen.
Faeser findet in ihrem Brief die richtigen Worte
Dabei verweist sie auch auf den islamistischen Terrorismus. „Vorfälle von Messer- und Gewaltkriminalität durch Geflüchtete“ hätten zu einer „massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung und des Inneren Friedens geführt“.
Zudem, so zitiert der „Spiegel“ weiter aus Faesers Schreiben, mache ihr die „zunehmende Dysfunktionalität des Dublin-Systems“ Sorgen. Dieses sieht vor, dass innerhalb der EU jeweils das Land für Asylverfahren zuständig ist, in das Geflüchtete als erstes eingereist sind.
In ihrem Brief an Brüssel findet Faeser zwar die richtigen Worte. Wenig glaubwürdig ist aber, dass die Ministerin auch aus voller innerer Überzeugung gehandelt hat. Wie sonst ist zu erklären, dass sie noch im Juli völlig anders argumentiert hat?
Illegale Migration muss zurückgedrängt werden
Obwohl die während der Fußball-EM eingeführten und bis zu den Olympischen Spielen verlängerten Grenzkontrollen zu Frankreich als Erfolg galten, sahen Sie darin kein ausreichendes Signal für eine mittel- bis längerfristige Lösung im Kampf gegen die illegale Migration.
Auch das Argument, Grenzkontrollen hätten „gravierende Auswirkungen“ für Pendler, Reisende und den Handel – was nicht ganz von der Hand zu weisen ist – war Ihnen vor einigen Wochen noch wichtiger als Maßnahmen gegen illegale Migranten.
Völlig klar: Jedem überzeugten Europäer muss es in der Seele weh tun, dass offene Grenzen innerhalb der EU nun durch Grenzkontrollen wieder ein Stück weit – und wenn auch erst einmal nur für sechs Monate – eingeschränkt werden. Doch die illegale Migration muss zurückgedrängt werden, sonst droht der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserer Demokratie gesprengt zu werden.
Faeser betont Wichtigkeit mit dramatischen Worten
Dass dieses Thema Priorität haben muss, betont Faeser mit dramatischen Worten in ihrem Brief. Fast könnte man meinen, sie liefere dabei sogar Argumente, mit denen die Notlagenklausel in der EU eingefordert werden könnte, um Zurückweisungen von Geflüchteten an der Grenze zu legitimieren.
Genau das ist ja die Forderung von CDU-Chef Merz, der in der Generaldebatte im Bundestag seinen Standpunkt noch einmal verdeutlicht hatte: Es sei „rechtlich zulässig“, praktisch möglich und „im Lichte der gegenwärtigen Lage sogar politisch geboten“, umfassend zurückzuweisen.
Soweit wollte Nancy Faeser in ihrem Brandbrief dann aber doch nicht gehen.