Kommentar von Carsten Fiedler - Let it go, Joe! Warum Bidens Familie jetzt ein unwürdiges Spektakel beenden muss

Der Druck auf Joe Biden steigt weiter. Das Foto zeigt ihn am 17. Juli, wie er die Air Force One in Las Vegas betritt<span class="copyright">AFP</span>
Der Druck auf Joe Biden steigt weiter. Das Foto zeigt ihn am 17. Juli, wie er die Air Force One in Las Vegas betrittAFP

Joe Biden kann offenbar seine Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang erfüllen. Die Sorgen, dass der 81-Jährige geistig und körperlich dem Amt des US-Präsidenten nicht mehr gewachsen ist – schon gar nicht für vier weitere Jahre! – nehmen in den USA und auf der ganzen Welt täglich zu.

Immer mehr Verbündete und Vertraute wenden sich von Biden ab. Sie fordern ihn mal verklausuliert, mal mehr oder weniger offen dazu auf, aus dem gnadenlosen Präsidenten-Rennen gegen Donald Trump auszusteigen.

Zuletzt machten ein Dutzend Demokraten aus Senat und Repräsentantenhaus innerhalb von 24 Stunden ihre Rückzugsforderung publik. Auch der Ton wird rauer. So gab ein Abgeordneter öffentlich zum Besten, Biden haben ihn jüngst bei einer Begegnung nicht mehr erkannt.

Hinter den Kulissen versucht auch die Prominenz der Partei, Biden zum Rückzug zu bewegen, darunter die frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi – und wohl auch Bidens früherer Chef, Ex-Präsident Barack Obama.

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Man muss sagen: Zu Recht! Auch, wenn das Ganze eine menschliche Tragödie ist.

Tritt Biden gegen Trump an, hat er keine Chance

Bleibt Biden stur und tritt am 5. November gegen Trump an – der von seinen Anhängern nach dem überlebten Attentat schon als religiöse Figur und Heilsbringer verehrt wird – hat er keine Chance.

Im Video oben sehen Sie die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Thomas Jäger, was passiert, wenn Biden nicht antritt.

Joe Biden erlebt in diesen dunkelsten Tagen seiner Karriere das, was uns irgendwann allen einmal blüht. Er ist seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen, weil ihm Alter und Krankheit zusetzen. Seine Aussetzer, seine Verwechslungen und Versprecher, seine murmelnde Sprache und sein tapsiger Gang: Bilder und Zeichen eines zunehmenden Verfalls, die betroffen und traurig machen.

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Der mächtigste Mann der freien Welt darf zwar mal Schwäche zeigen, aber niemals schwach sein. Und er darf Eitelkeit und Machtanspruch nicht vor die Tugend stellen, immer das Beste für sein Land zu tun.

Der laufende Prozess ist unwürdig, ja sogar erniedrigend. Es scheint so, als ob Biden Millimeter für Millimeter aus dem Weißen Haus herausgeschoben wird.

Bidens Familie sollte ihm sagen: Lass gut sein, Joe! Let it go!

Dem sollte sein engstes Umfeld, vor allem aber seine Familie, endlich ein Ende machen. Sie sollte ihm im privaten Kreise in seinem Haus in Rehoboth, Delaware, in das er sich nach einer Infektion mit dem Coronavirus zurückgezogen hat, ganz offen sagen: Lass gut sein, Joe! Let it go!

Denn in den USA steht nicht nur die Wiederwahl des Amtsinhabers, sondern die Stabilität der Demokratie insgesamt auf dem Spiel. Donald Trump ist nach dem Attentat stärker denn je. Aus seinen Fehlern in der ersten Amtszeit hat er gelernt. Er denkt jetzt viel politischer, strategischer.

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Die ikonischen Bilder, die nach den Schüssen von Butler entstanden, haben Trump dem Sieg schon sehr, sehr nahegebracht. Blutend, die Faust in die Höhe gereckt, über ihm die amerikanische Flagge: Dieses Foto ist der Nagel im Sarg von Bidens Wiederwahlkampagne.

Biden wirkt gebrechlich, Trump hingegen unkaputtbar

Beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee, Wisconsin, riefen die Delegierten ihm „Fight, Fight, Fight“ zu. Worte, die Trump mit den Lippen formulierte, als er mit blutigem Ohr von Sicherheitskräften in Butler von der Bühne geführt wurde.

Biden gebrechlich, Trump unkaputtbar – diese gegensätzlichen Bilder werden sich weiter verfestigen. Kampagnenerprobte Berater der Demokraten prophezeien schon ein Debakel für die Demokraten, falls Biden den Weg nicht frei macht. Landesweite Umfragen nach dem Attentat sehen Trump im Schnitt nun fünf Prozent vor Biden.

Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin Amerikas mit afroamerikanischen und asiatischen Wurzeln, hat in ihrer bisherigen dreieinhalbjährigen Amtszeit auch keine überzeugende Figur gemacht. Die 59-Jährige blieb viel zu blass und hatte mit schlechten Umfragewerten zu kämpfen. Doch sie hat wenigstens noch die Chance, sich deutlich zu steigern.

Trump 2.0 kann zu einer Gefahr für die ganze Welt werden

Und warum den Parteitag vom 19. bis 22. August in Chicago nicht zu einem Hochamt der Demokratie machen und eine neue Kandidatin oder einen neuen Kandidaten nach ausgiebiger Debatte bestimmen? Mit vorheriger Würdigung der Lebensleistung Bidens? Die Schlagzeilen wären den Demokraten für Wochen sicher.

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Neben Harris fielen zuletzt am häufigsten die Namen Gavin Newsom und Gretchen Whitmer. Newsom (56) ist Gouverneur des mächtigen Bundesstaates Kalifornien. Whitmer (52) ist Gouverneurin von Michigan und gilt seit Längerem als aufstrebende Kraft in der Partei.

Bis zur Wahl am 5. November sind es noch gut drei Monate. Es kann noch einiges passieren – wenn, ja wenn die Demokraten ihre Aufstellung noch einmal verändern. Und im Wahlkampf kraftvoll und überzeugend aufzeigen, was eine zweite Amtszeit Trumps wirklich bedeuten würde: einen strammen, von Allmachtsphantasien gespeisten Kurs hinzu einer Autokratie. Trump 2.0 kann zu einer Gefahr für die ganze Welt werden.

Längst ist nicht ausgemacht, dass mit einer neuen Kandidatin oder einem neuen Kandidaten der Demokraten Trump noch gestoppt werden kann. Es wäre dann aber wenigstens keine kampflose Aufgabe vor der letzten Runde.