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Kommentar: Darf ich heute das Deutschlandspiel gucken?

Das deutsche Team bei der WM 2022. (Bild: Pablo Morano/BSR Agency/Getty Images)
Das deutsche Team bei der WM 2022. (Bild: Pablo Morano/BSR Agency/Getty Images)

Am Abend steigt mal wieder ein Schicksalsspiel. Kommt die deutsche Nationalmannschaft doch weiter? Aber halt: Das Turnier ist doch in Qatar, also alles gekauft, Menschenrechtemangel allerorten und die toten Arbeiter. Darf man sich das antun, mit Popcorn auf dem Sofa?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wer sich nicht für Fußball interessiert, hat es leicht in diesen Tagen. Der muss nicht fiebern, neben den erhöhten Infektionstemperaturen. Leidet nicht beim Rasenschach. Und muss sich nicht die Frage stellen, ob er sich diese WM antut. Man hört ja sehr viel Schlechtes.

In aller Kürze: Diese Frage im Titel ist blöd. Dürfen darf man eine Menge, das ist der Vorteil in einer freiheitlichen Demokratie. Die WM-Spiele gibt es in Fernsehen, Radio und Internetstream, also drohen bei Konsum keine Strafen; wir leben nicht mehr im Tal der Ahnungslosen.

Es wird auch niemandem verboten. Ist in den vergangenen Tagen irgendjemand von euch schief angeschaut worden, wer sich als WM-Zuschauer outete? Seid ihr in endlose Rechtfertigungsdebatten gezogen worden? Ich kenne sie zumindest nicht. Und es gibt in meinem Bekanntenkreis einige, welche die WM nicht gucken. Aber das ist eine persönliche Entscheidung.

Was erlauben Strunz?

Daher gibt es natürlich auf diese Frage hier keine Antwort. Wer bin denn ich, ein Kolumnenschreiber, dass ich anderen erzählen könnte, was sie tun oder lassen sollen? In Deutschland wird öfters behauptet, man dürfe nicht mehr dieses oder jenes, da komme eine Zensur, eine Wortpolizei – alles nicht wahr. Deutschland ist ein freies Land. Die Spiegelfechter gegen eine „Political Correctness“ müssen nur mit dem Fakt leben, dass andere sich die Freiheit nehmen, sie für dieses und jenes zu kritisieren. Dieses Mimimi, meistens von Rechts, fand ich schon immer bemerkenswert; gerade im Kontrast zur gern nach außen gedrehten Stärke. Es erinnert mich an das Geplänkel, als der DFB mal aus reinen Marketinggründen versucht hatte, der Nationalelf den Titel „Die Mannschaft“ zu geben, das sollte irgendwie griffiger und gefühliger wirken – und ein Aufschrei von Rechts kam, das Nationale solle getilgt werden, die Identität mit dem Land. Alles Hahnengeschrei. Wer wollte, sagte weiterhin Nationalmannschaft oder auch nicht, jedem nach seiner Fasson.

Jedenfalls ist zu dieser WM schon im Vorfeld alles gesagt worden. Nun findet sie statt. Es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, ob man durch einen Fernsehboykott die Quote drückt und damit politischen Einfluss nimmt oder ob die Ermittlung dieser Quote bei einigen ausgewählten Zuschauern erfolgt – alles egal. Jetzt rollt der Ball. Die Fußballer machen nicht nur ihren Job, sondern stellen sich einem ihrer wichtigsten Berufs- und Leidenschaftsziele. Sportjournalisten gehen ihrer Chronistenpflicht nach. Und wer Fan ist, darf jetzt machen, wie ihm der Hut steht.

Was eine Feier der Freiheit ist

Die Fehler dieser Fehler-WM sind im vornherein getan worden. Die Vergabe durch Stimmenkauf, die Strategie zur Aufhübschung eines Regimes durch Sport, die toten Arbeiter, die in Rekordtempo die Stätten hochzogen.

Wenn jetzt jemand sagt: Ich kann solch ein Spiel nicht schauen, wenn ich daran denke, dass in diesem Stadion dafür Menschen vom Gerüst fielen – dann ist das nachvollziehbar. Ebenso denke ich: Das macht sie auch nicht mehr lebendig. Das ist platt. Aber nicht zynisch.

Ich wünsche mir mehr von diesen tollen Spielen bei der WM. Mehr Kritik auf den Rängen und auf dem Rasen, mehr Feiern der Freiheit gegen die Engstirnigkeit von Despoten und Einstellungen, die Andere ausschließen. Und ich wünsche mir ein Weiterkommen. Der Jungs von Hansi Flick und überhaupt.

Im Video: Flick: "Weiterkommen nicht ganz in eigener Hand"