Kommentar: Das hätte Jens sich spahn sollen

Jens Spahn lässt nun zu den psychischen Folgen von Abtreibungen forschen (Bild: Reuters/Fabrizio Bensch)
Jens Spahn lässt nun zu den psychischen Folgen von Abtreibungen forschen (Bild: Reuters/Fabrizio Bensch)

Emanzipation ist eine Sache für sich. Wer behauptet, dass wir in Deutschland, politisch gesehen, ganz weit wären, hat Jens Spahn nicht kommen sehen. Oder vergessen, dass die CDU nur dann konservativ ist, wenn es darum geht, die zur AfD konvertierten älteren weißen Männer wieder für sich zu begeistern.

Dass der eine oder andere misogyne Politiker ungefragt seine konservative Meinung über den Uterus äußert und nebenbei die Debatte zur Absetzung des Paragraphen 219a massiv beeinflusst, weil er sich so zentral in dieser Debatte sieht, scheint im politischen arg emanzipierten Deutschland völlig normal zu sein.

5 Millionen Euro für Spahns Wunsch-Studie

Nun haben die Koalitionspartner eine “Einigung” getroffen, die mehr schlecht als recht ist. Und bei dieser Gelegenheit wird etwas ganz Bewegendes für Deutschland in Gang gesetzt: Eine Studie, die ermitteln soll, welche psychischen und seelischen Folgen Abtreibungen haben. Gesundheitsminister Jens Spahn ist der Mann, der auf diese innovative Idee kam, um Frauen zu beschützen. Das Bundeskabinett bewilligte Spahns Anforderung in Höhe von 5 Millionen Euro.

Unter der Leitfrage “Wie wirkt sich ein Schwangerschaftsabbruch auf die weibliche Psyche aus?” Soll diese Studie ermitteln, wie gravierend Abtreibungen nun eigentlich sind. Was treibt diese Regierung dazu an, so vehement gegen Abtreibung zu arbeiten?

Die Geburtenrate in Deutschland steigt in den letzten Jahren laut dem Statistischen Bundesamt, dementsprechend kann die Angst vor fehlendem Nachwuchs nicht als Erklärung herhalten. Und es ist auch keine letzte Instanz vor der absoluten Emanzipation, wenn man die Abtreibung enttabuisiert. Da müsste schon mehr passieren. Jens Spahn scheint davor aber Angst zu haben. Oder zumindest benutzt er dies als Vorwand.

Worum es Spahn eigentlich geht

Was mich am meisten irritiert bei all der Wissenschaftlichkeit, die Jens Spahn in die Debatte involvieren möchte: Hat er nicht ein einziges Mal recherchiert? “Abtreibung + seelische Folgen” kann man sehr einfach bei Google eintippen. Und erhält an breites Spektrum an Informationen und Studien.

Natürlich hat er recherchiert. Spahn Ziel ist auch nicht, die Gesundheit oder die Psyche von Personen mit Uterus zu schützen, sondern seine “Haltung” zu demonstrieren. Und die bewahrt man mit egal welchen Mitteln, egal wie lächerlich sie letztendlich werden.

Jens Spahn ist schon lange im Gesundheitswesen und beschreibt seinen Werdegang selbst mit “Durch Haltung gewinnen”. Im gleichen Atemzug findet sich auf seiner Website folgende Aussage: “Wichtig ist, dass wir den Patienten in den Mittelpunkt stellen, oftmals sind die Diskussionen in diesem zentralen Politikfeld leider sehr abstrakt.” Dass er die Abstraktheit in Person ist, lasse ich einfach mal so stehen.

Wann steht die ungewollt Schwangere im Mittelpunkt?

Ich frage mich, wie und wo und wann er je die ungewollt schwangere Frau in den Mittelpunkt gestellt hat. Und was ich mich noch viel mehr frage: Wieso wird ein immenser Aufwand betrieben über die Frage, ob Ärzte auf ihrer Website informieren dürfen? Geht Herr Spahn ernsthaft davon aus, dass sich Personen mit Uterus nicht untereinander informieren und Frauenarztpraxen und Informationsstellen nicht ihre Arbeit tun werden?

Auf welche Beispiele bezieht sich Herr Spahn, wenn es darum gehen soll, dass eine Frau unter einer Abtreibung leidet? Auf die vom Partner dazu gezwungene Frau? Oder die, die nie Kinder haben möchte und mehr Druck durch ihr Umfeld erfährt, als durch ihre eigene Psyche?

Diese ganze Debatte und lächerliche Änderung des Paragraphen, die wirklich ein ganz großes “Danke für garnichts” verdient hat, nimmt die Personen, die seelisch immens damit zu kämpfen haben, so gar nicht in Schutz. Es ist nur ein Zuwinken der pseudokonservativen CDU, die einmal mehr beweisen möchte, dass sie noch “Haltung” zeigen kann.

Zähe Debatte als GroKo-Symptom

Und die SPD macht mit. Und zwar nicht beschämt, sondern mit einer Haltung, als wäre eine emanzipatorische Meisterleistung gelungen. Ganz gravierend: Die GroKo konnte sich bei den Koalitionsverhandlungen schon nicht auf diese Kleinigkeit einigen und sparte sie deswegen aus! Ich würde mir an dieser Stelle herausnehmen, dass unser so modernes Deutschland eine Regierung haben sollte, die die Fähigkeit besitzt, derartige Sachen in Stunden zu klären.

Die sich wie Kaugummi ziehende Legislatur dieser GroKo wird nicht nur durch Flüchtlingsdebatten oder Finanzpolitik oder Hartz IV unterstrichen, sondern insbesondere durch diese unfassbar ermüdende Debatte um einen winzigen Teil eines so veralteten Paragraphen wie 219a.

Und selbstzentrierte Politiker, die polarisierende Themen und Minderheiten oder Frauen benutzen, um ihre Existenz zu unterstreichen, sind das I-Tüpfelchen des Ganzen. Um es zu kürzen: Das sollte Jens sich spahn. Und alle anderen auch.