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Kommentar: Der größte Irrtum im politischen Leben des Sigmar Gabriel

Das geht auch klüger, Herr Gabriel! (Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa via AP)
Das geht auch klüger, Herr Gabriel! (Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa via AP)

Der SPD-Außenminister versucht in einem Essay, den Rechtspopulismus zu verstehen. Dabei geht er baden.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Mit Herzblut hat sich Sigmar Gabriel schon immer auf seine Aufgaben gestürzt, das muss man ihm lassen. Als Ministerpräsident rang er für Niedersachsen, wie es nur die CSU für Bayern tut. Die sieche SPD richtete er auf und verlieh ihr Haltung. Als Umweltminister stritt er für die Rechte der Natur und als Wirtschaftsminister bekämpfte er sie. Als Außenminister hält er, nun ja, kluge Reden. Manchmal auch weniger kluge, wie sein jüngster Essay im „Spiegel“ dokumentiert, der allein deshalb Schatten voller Fragezeichen vorauswirft, weil ihn ein Meister im inhaltlosen Linksrechtsschwafeln wie Jakob Augstein einen „klugen Text“ nennt.

Vielleicht ist dieser eine Text eine Volte zu viel im politischen Leben Gabriels.

In dem Essay versucht der ehemalige SPD-Parteichef eine Antwort darauf, warum es mit der Sozialdemokratie nicht gut läuft und warum der Rechtspopulismus politische Erfolge feiert; wobei er indes so tut, als würde die SPD demnächst an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern und Alexander Gauland ins Kanzleramt einziehen. Für solche Antworten ist Gabriel eigentlich der richtige Mann: In der Auseinandersetzung mit rechten Ideen hat er Zeichen gesetzt wie den aufrechten Stinkefinger aber auch den richtigen Reflex, mit allen auf Augenhöhe zu sprechen, hinzuhören; jedem mit Respekt zu begegnen.

In seinem aktuellen Welterklärversuch wirft er all dies über den Haufen.

Schon die Ausgangslage streicht er zu trist an. Wenig sei übriggeblieben von der Idee der Sozialdemokratie, schreibt er, also Solidarität und so. Ich finde ja, solch ein Wert wird noch in 500 Jahren heiß diskutiert werden, er verliert seine Relevanz nicht, es sei denn, man verortet Deutschland wie Gabriel in einer komischen Blase, die er „Postmoderne“ nennt. Das klingt hübsch intellektuell. Ist aber Bullshit.

Schau mir in die Augen

Autoritäten seien verschwunden, vermerkt Gabriel. Ich meine: Autoritäten sind Persönlichkeiten, und die mögen rar unter uns sein – aber warum heutzutage weniger leben sollten als vor 30 Jahren, leuchtet mir nicht ein; ein bisschen kenne ich noch die alten Zeiten und ja: Vieles erscheint in der Retrospektive einfacher, die Politik, die eigene Identität. Aber auch das ist Unfug: Damals stellte sich keiner von uns das Leben einfach vor. Das tut niemand jemals. Nur wenn Autoritäten Typen sein müssen, die mit selbstgedrehtem Schwarzer Krauser in den Mundwinkeln und dem Uwe-Reinders-Killerblick umherlaufen – dann gäbe es heute tatsächlich weniger von dieser Sorte.

Irgendwie müssen die Neunziger an Gabriel vorbeigehuscht sein, damals saß er im niedersächsischen Landtag und hätte sich womöglich gewundert, wenn er hörte, wie er heute über diese Zeit schreibt: Nach seiner Lesart hat sich die Postmoderne damals ausgebreitet, radikal und in einem „Übermaß“. Den Zerfall von Familien „und anderen Gemeinschaften“ (hinreichend unscharf formuliert), den es tatsächlich gibt, hätten die Vordenker dieser Postmoderne als „Vollendung“ gesehen. Spätestens hier hebt man den Finger und fragt: Welchen Propheten meint er da konkret? Daniel Düsentrieb? Jedenfalls fasst er den Zeitgeist, der damals über uns gekommen sei, als „anything goes“ zusammen, was nach totalem Werteverlust klingt, nach Party im Morgengrauen. Irgendwie stelle ich mir Gabriels Leben als Landtagsabgeordneter im damaligen Hannover anders vor.

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Weil diese angebliche Postmoderne ihm unangenehm aufstößt, gesellt er ihr gleich den wirtschaftlichen Neoliberalismus zur Seite, beschreibt beide, wieder hinreichend unscharf, als im „Gleichtakt“. Der wirtschaftliche Neoliberalismus ist wirklich eine üble Sache, das ist dieser Shareholder-Value-Gedanke, den Linke wie Rechte heute ablehnen und dennoch nichts dagegen unternehmen; das ist aber zugegebenermaßen auch schwierig. Nur hat diese Postmoderne mit dem Finanzkapitalismus nichts zu schaffen, anderes Thema: Punktabzug, würde man an den Rand schreiben.

Immer drauf aufs Gedöns

Endlich aber lässt Gabriel die Katze aus dem Sack. „Diversität, Inklusion, Gleichstellung, Political Correctness – all das sind deshalb jetzt auch die Zielscheiben der Neuen Rechten“, schreibt er, und wenn man ihn genau liest, meint Gabriel, dass wir von all dem zu viel hätten, eben im „Übermaß“. Nun schlägt Gabriels Pendel zurück.

„Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze, Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit, und die Ehe für alle haben wir in Deutschland fast zum größten sozialdemokratischen Erfolg der letzten Legislaturperiode gemacht.“

Gabriel meint verstanden zu haben, worum es dem Rechtspopulismus geht: Um das gegenseitige Ausspielen verschiedener Interessen, um ein Schubladendenken. Da hat er recht, aber warum macht er nun dabei mit? Warum stellt er Umwelt und Arbeitsplätze gegeneinander? Denkt er etwa nicht, dass eine vor die Hunde gekommene Umwelt auch eine miese Umgebung für Jobs wäre? Sind es nicht gerade die nachhaltigen Branchen, die besonders viele Berufsperspektiven schaffen? Oder will Gabriel ein bisschen so sein wie Donald Trump im US-Wahlkampf, als er den marginalisierten und desillusionierten weißen Industriearbeitern ein Wunder nach dem anderen versprach und ihre Stimmen einsammelte? Schließlich schreibt er selbst: „Ein Blick auf die Entwicklung der Demokraten in den USA zeigt, wie gefährlich diese Konzentration auf die Themen der Postmoderne sein kann. Wer die Arbeiter des Rust Belt verliert, dem werden die Hipster in Kalifornien auch nicht mehr helfen.“ Gabriel vergisst die Geschichte fortzuschreiben: Trump hat seine Wähler aus dem Rust Belt längst vergessen. Er hat keine Lösung für die Probleme seiner Wähler, sucht sie auch nicht. Gabriel sollte das mit den Autoritäten noch einmal überdenken.

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Und warum stilisiert Gabriel die „Ehe für alle“ zum Jahrhundertprojekt von ein paar Spinnern? Dieses Gesetz war schlicht überfällig, niemand redet mehr darüber. Und keiner in der SPD preist es als größte Errungenschaft der vergangenen Regierung. Wenn er dann weiter von „jedweder Art von Lebensentwürfen“ schreibt, wird er endlich verständlich: Er will auch mal austeilen, vor allem gegen solch ein Gedöns wie dieses Übermaß an sexuellen Rechten.

Die Blase gibt es nicht

Es stimmt, einige fühlen sich in dieser Zeit der Veränderung unwohl, gar nicht mehr heimisch. Man hilft ihnen aber nicht, wenn man ihnen nach dem Mund redet. Gabriel tut so, als würde sich irgendein Esel sträuben über Begriffe wie „Heimat“ oder „Leitkultur“ zu reden. Ich finde, das sind ganz normale Wörter, sie machen auch viel Sinn – wobei Heimat eine faktische Identitätswirkung ist und Leitkultur mehr ein ambitioniertes Projekt ausmacht; schon schwierig genau zu beschreiben, was unter den Hut einer Leitkultur passt.

Lieber Herr Gabriel, den Arbeitern ist nicht geholfen, wenn man gegen Schwule lästert. Die können nichts dafür, dass sich unsere Arbeitswelt radikal ändert und so viele alte Jobs wegfallen. Anderen so genannten Gruppen, welchen auch immer, weniger zu „gönnen“, war noch nie eine Lösung. Solidarität dagegen ist auch heute eine harte Währung. Die verschleudert man besser nicht, indem man beim Poker auf das Ausspielen von einer Gruppe gegen die andere setzt. Und vor allem sollte diese „Postmoderne“ bleiben, was sie ist: eine Erfindung.