Kommentar: Der Polizeigroßeinsatz in Ellwangen zeigt die Fehler der Politik auf

Asylbewerber haben die Abschiebung eines Afrikaners aus der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen verhindert. Nun ist die Polizei erneut in der Unterkunft. (Bild: dpa)
Asylbewerber haben die Abschiebung eines Afrikaners aus der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen verhindert. Nun ist die Polizei erneut in der Unterkunft. (Bild: dpa)

In einer Erstunterkunft spielen sich dramatische Szenen ab. Das Leben mit Geflüchteten müssen wir noch lernen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das baden-württembergische Ellwangen ist plötzlich berühmt. Nicht wegen seines Alamannenmuseums oder wegen der spätrömischen Basilika St. Vitus, sondern wegen einer Erstunterkunft für Geflüchtete. Dort kam es in der Nacht zum Montag zur Randale. Und die Polizei schlug nun am frühen Donnerstagmorgen zurück.

Was war passiert? Ursprünglich wollten zwei Beamte einen Togolesen mitnehmen, seine Abschiebung stand bevor. Sie legten ihm Handschellen um, da kam es zu einer Art Revolte. Um die 150 Männer, vor allem aus afrikanischen Ländern, umringten die Polizisten mitsamt deren Verstärkung, bedrohten sie und forderten die Freilassung. Um die Lage zu beruhigen, kamen die Beamten dem nach.

War dies die Kapitulation des Rechtsstaats, wie manche nun rufen? Es wäre eine, käme es öfters zu solchen Konflikten. Und der 23-Jährige aus Togo hat sich nur ein paar Tage mehr verschafft. Der Rechtsstaat funktioniert. Heute früh schließlich kam die Polizei nicht mit zwei Beamten, sondern mit einem Großaufgebot, das Gelände wurde weiträumig abgeriegelt, Rettungswagen und weitere Polizeikräfte hielten sich in Bereitschaft. Der Togolese und einige andere Männer wurden festgenommen. Eine Kapitulation sieht anders aus. Vielmehr vermitteln die Bilder den Eindruck von Unerbittlichkeit.

Zwei große Versagen sind dokumentiert

Und das Geschehen in Ellwangen seit Montag dokumentiert ein großes Versagen der Politik. In der Erstunterkunft sollen 492 Menschen leben. Musste das sein? Ließen sich Geflüchtete, die einen Asylantrag stellen, nicht weniger konzentriert und isoliert unterbringen? Wer für den Umfang dieser Erstunterkunft politisch verantwortlich zeichnet, ist es auch für diese Eskalation.

Denn dass verschiedene Interessen aufeinander prallen, ist zwar nicht zu vermeiden. Aber man könnte sie besser moderieren. Auf der einen Seite ist der Staat. Wenn es keinen Hinweis auf politische Verfolgung gibt, besteht für den Togolesen derzeit keine Alternative zur Abschiebung. “Ich will hier für meine Zukunft arbeiten”, sagte er in einem Gespräch mit der “Bild”-Zeitung. Das ist die andere Seite.

Der Mann kam über Italien nach Europa, wird sein Leben auf dem Meer riskiert haben für ein besseres Leben. Afrika ist ein Kontinent mit rasant wachsender Wirtschaft aber noch rasanter wachsender Bevölkerung. Der globale Reichtum ist ungerecht verteilt – wer käme nicht auf die Idee, sich auf den Weg zu machen?

Es gibt also das erste Versagen einer Massenunterkunft, die pikanterweise von jenen als Zukunftsmodell gepriesen wird, namentlich von der CSU, welche dann die daraus entstehende unsichere Lage laut beklagen wird. Es handelt sich also um eine christsoziale Katze, die ihren eigenen Schwanz jagt.

Dem Mann aus Togo blieb nur eines übrig: einen Asylantrag zu stellen. (Bild: dpa)
Dem Mann aus Togo blieb nur eines übrig: einen Asylantrag zu stellen. (Bild: dpa)

Das zweite Versagen ist, dass diesem Mann aus Togo nur blieb, einen Asylantrag zu stellen. Dies kommt nach der Odyssee, die er hinter sich hatte, nach den Gefahren und der Aufopferung, einem schnöden Antrag auf schnelles Scheitern seiner Hoffnungen gleich. Deutschland braucht dringend ein Einwanderungsgesetz. Nicht nur dem Mann wäre geholfen, würde man ihm eine Bleibeperspektive offenbaren, sondern womöglich auch dem Land. Aus Afrika machen sich viele Entrepreneure auf den Weg, leistungsbereite und leistungsfähige Menschen. Es wäre an der Zeit, in ihnen eine Chance zu sehen. Das Nadelöhr über den Asylantrag wegen einer angeblichen politischen Verfolgung ist hierfür der unpassende Anzug. Das wird nicht bei allen Menschen gehen. Aber hatte sich jemand in Ellwangen konstruktive Gedanken über die Zukunft des jungen Togolesen gemacht?

Das ist besser nicht die Zukunft

Hoffentlich kommt der Bund der Steuerzahler nicht auf die Idee, die Kosten des heutigen Großeinsatzes zu berechnen. Das Geld wäre anderswo besser investiert gewesen. Und es ja nicht so, dass Polizisten nicht schon genug Überstunden leisten müssten.

Natürlich kann der Rechtsstaat eine solche Art der Revolte nicht hinnehmen. Staatsgewalt ist die höchste Gewalt und muss es bleiben. Aber eine Unterkunft für hunderte Menschen ist Hohn wider die Menschlichkeit und auch die Vernunft. Es sei denn, man setzt auf genau jene Bilder, wie sie in dieser Woche in Ellwangen entstanden sind: auf Szenen, die zu Ende gedacht immer auf ein WIR und DIE DA hinauslaufen, und auf eine Prophezeiung von Zuständen wie in dem Science-Fiction-Film “Die Klapperschlange” aus dem Jahr 1981: Eine ganze Stadt, umgewandelt zu einem Hochsicherheitsgefängnis. Solch eine Zukunft brauchen wir nicht.