Kommentar: Der Rechtsrumms in Italien ist ein Scheinriese

Die Wahlen in Italien haben eine klare Wahlsiegerin: Die Neofaschistin Giorgia Meloni erhielt mit ihrer Partei die meisten Stimmen. Doch ein Erdrutsch ist das nicht. Und ihre Regierung wird auf tönernen Füßen stehen.

Ist die Siegerin der Wahlen in Italien: Giorgia Meloni (Bild: REUTERS/Guglielmo Mangiapane)
Ist die Siegerin der Wahlen in Italien: Giorgia Meloni. (Bild: REUTERS/Guglielmo Mangiapane)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Vielleicht beeinflusste der Schrecken über den Wahlausgang manchen Schlagzeilendichter in Deutschland. "Rechtsruck" heißt es da, oder "Rechtsrumms". Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn das Rechtsbündnis aus Melonis "Fratelli d'Italia", der regionalistischen "Lega" unter Matteo Salvini und der Silvio-Berlusconi-Partei "Forza Italia" kommt auf 40 Prozent der abgegebenen Stimmen – und das bei einer mauen Wahlbeteiligung von knapp über 70 Prozent.

Ein Erdrutsch sieht anders aus

Natürlich erleben die Fratelli d'Italia einen Katapultstart. 2018 krebsten sie noch bei fünf Prozent, nun schossen sie auf über 25 Prozent. Aber zwei Gründe vor allem helfen Meloni, wahrscheinlich Ministerpräsidentin zu werden. Lega und Forza Italia kann man zum einen nicht als Wahlsieger bezeichnen. Sie halbierten ihre Wählerstimmen. Salvini erlebt seit etlichen Monaten einen beispiellosen Abwärtstrend, und Berlusconi rockt seinen Ego-Verein bis zum Ramschverkauf runter; aber er rettete sich ans Ziel, welches nicht jenes seiner Partei ist, sondern sein persönliches: Die rechten Buddys versprachen ihm das Amt des Senatspräsidenten, da kann er sich noch mal auf seine alten Tage fein feiern lassen. Mehr will er nicht.

Der zweite Grund ist, dass die linken und liberalen Parteien sich nicht einigen konnten. Gemeinsam kommen sie auf mehr Stimmen. Doch weil das etwas befremdende Wahlsystem in Italien vorsieht, dass ein Drittel der Abgeordneten direkt in den Wahlkreisen bestimmt wird, zählt bei der Machtverteilung nicht wie in Deutschland die so genannte "Zweitstimme": Während sich die rechten Parteien auf jeweils einen einzigen Kandidaten in den Wahlkreisen einigten, traten linke und liberale Kandidaten zuhauf munter gegeneinander an und nahmen sich entsprechend die Stimmen weg.

Das angeblich neue Gesicht

Seit Jahren haben die Sozialdemokraten von der PD in Rom mitregiert, und zwar aus Verantwortung heraus; andere Bündnisse waren nicht zustande gekommen. Nun wandern sie in die Opposition und können jene Schlagkraft entwickeln, welche Meloni nach oben brachte. Denn die Römerin war in den vergangenen Jahren im Grunde die einzige Oppositionelle von Rang, alle anderen Parteien waren in die Stützung eines Technokratenkabinetts eingebunden gewesen. So konnte sie ordentlich brüllen, und das kann sie gut. Am Ende, auf dem Höhepunkt ihres Laufs, konnte sie sich erfolgreich verstellen.

Denn Meloni ist Faschistin. Seit ihrer Jugend hatte sie immer Probleme mit Anderen, die sie, wie alle Rechtsextreme, für die eigene Malaise verantwortlich machte. Eigentlich liebt sie nur die Macht. Und ihren Hass übertünchte sie gut, die Wölfin fraß Kreide. So überzeugte sie nicht wenige Italiener, dass sie so faschistisch doch gar nicht sei, dass die politischen Gegner sie als "Monster" darstellen würden.

Am Wochenende sah ich zufällig die fantastische Filmkomödie "Sein oder nicht sein" aus dem Jahr 1942. In ihr hält ein Nazispion eine Verteidigungsrede, die in ihren Worten so klingt, als sei sie vollkommen deckungsgleich die Vorlage für Melonis heutige Sprache. "Bin ich ein Monster?", fragt der Nazi, um eine Frau werbend. Mit dem "Monster" wird politische Kritik ins Absurde erhöht, um sich erfolgreich davon zu distanzieren und die Unschuldshände zu gestikulieren. In Italien scheint es eine gewisse Gedankenlosigkeit beim Umgang mit Politik zu geben. Da kann solche Mimikry sogar kurzfristig durchkommen. Meloni aber bleibt langfristig die Faschistin, die sie immer war. Und als solche wird sie regieren.

Nun muss geliefert werden

Aufräumen werde man nun, haben die Fratelli d'Italia versprochen. Denn Meloni sei eine, die den Menschen zuhöre, ihre Probleme mitkriege – das ist alles Populistengequatsche. Wie will eine Regierungschefin oder ein Regierungschef mitkriegen, was Bürger ihnen sagen? Sich wie einst Harun al-Raschid in Bagdad verkleiden und sich nachts unters Volk mischen? Rechte tun immer gern, sie seien das Volk, aber das ist nur ihrem Machttrieb in einer Demokratie geschuldet, die sie auf diese Weise zu umgehen versuchen.

So wird Meloni eine Regierung bilden müssen, die aus lauter unsicheren Kollegen besteht. Waschechte Ideologen werden darunter sein, Schwulenhasser und Rassisten, oder Putinfans. Meloni wird ihnen Einhalt gebieten. Und die vielen Geldversprechen aus dem Wahlkampf – wie die nun umsetzen? Der gesamte Wahlerfolg hängt von Giorgia Meloni ab. Kratzt irgendetwas oder irgendjemand an ihrem Stern, oder gar sie selbst, weil sie Fehler macht – dann ist diese nächste Regierung schneller weg, als man jetzt denkt.

Im Video: Massiver Rechtsruck in Italien - Radikale Rechte siegen bei Parlamentswahl