Kommentar: Der Sachse hat ausgehext

Stanislaw Tillich nach der Ankündigung seines Rücktritts (Bild: dpa)
Stanislaw Tillich nach der Ankündigung seines Rücktritts (Bild: dpa)

Stanislaw Tillich tritt zurück. Ministerpräsident in Sachsen wird nun ein anderer. Mit Tillich verlässt eine Politikergeneration die Bühne, die schwere Schäden verursacht hat.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Als Stanislaw Tillich kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2009 Wahlkampf mit dem Slogan „Der Sachse“ machte, war eigentlich alles klar. Hohler kann eine Botschaft nicht sein, obgleich sie damals einen Nerv traf und Tillich half. Tillich ist ein Politiker, der stets Pose über den Inhalt stellte, den Strahl des Amts über seinen Auftrag.

Nun hat Tillich angekündigt, bald nicht mehr Sachsens Ministerpräsident und CDU-Parteichef zu sein, er macht den Weg frei für einen jüngeren Nachfolger, den bisherigen Generalsekretär Michael Kretschmer, der frische Luft in die Staatskanzlei hineinwehen lassen könnte.

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Um Missverständnissen vorzubeugen: Tillich ist zwar die Pose an sich wichtig, aber ist kein Poser. Er ist ein geradezu bescheidener Politiker, seine Gesten waren nie ausladend, sich selbst stellte er nicht in den Vordergrund; ein Typ, dem man Vertrauen schenken mochte, in dem sicheren Gefühl, nicht hintergangen zu werden. Mit dieser Persönlichkeit hat Tillich sein Bundesland regiert. Doch gestaltet hat er es nicht. Diese Art von Politik reicht seit langem bei Weitem nicht aus.

Etwas ist faul im Staate Sachsen…

Hin und wieder verschlug es mich beruflich nach Sachsen, und jedes Mal war ich erstaunt über die Sprachlosigkeit der Behörden. Recherchen in Sachsen gestalteten sich als zäher als in anderen Regionen Deutschlands, wenn es zu Kontakt mit staatlichen Strukturen kam: Erstmal nichts sagen, besser nicht antworten, Anfragen abperlen lassen – in Sachsen regiert ein Hochmut gegenüber Journalisten wie Bürgern, es ist ein Hofstaat, der sich nur deshalb so lange halten konnte, weil die Einwohner eher konservativen und veränderungsunwilligen Anstrichs sind.

Das alles ist nicht Tillichs Schuld. Aber er ist Ausdruck dieser Misere.

In unserer sich digitalisierenden Zeit ist Information aber wichtiger denn je. Die Menschen lassen sich nicht einfach abspeisen, wo sie doch selbst jeden Gedanken selbst per Mausklick in die Öffentlichkeit schicken können. Die Bürger haben höhere Ansprüche, sie sehnen sich nach mehr Transparenz, nach mehr Position, welche auch immer.

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Diese Ausgangslage trifft links wie rechts. Tillich lavierte lange, bevor er irgendeine Position bezog, sagte lieber auch erstmal nichts. Und dann das, meiner Meinung nach, falsche. Aber darüber kann man ja streiten: Was soll diese komische Aussage von ihm, der Islam gehöre nicht zu Sachsen – dachte er, das kommt gut an, also raus damit? Es mag weniger Muslime in Sachsen als anderswo in Deutschland geben, aber es gibt sie. Diese sächsischen Bürger stieß er vor den Kopf, ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, sich von den deutschen Lebensrealitäten schlicht loszusprechen.

Das Schweigen von gestern funktioniert nicht mehr

Tillichs letzter Klopfer war sein Verzweiflungsspruch nach der vergeigten Bundestagswahl, die CDU müsse jetzt einen stärkeren Rechtskurs einschlagen. Dies klang anbiedernd, wenig überzeugt. Wer nationalistisch wählt, entscheidet sich nicht für die CDU, auch wenn sie in Sachsen deutlich rechter auftritt und denkt als anderswo; gebracht hat es der sächsischen CDU nichts, nirgendwo ist die AfD stärker.

Und dies sollte ein Alarmruf für Michael Kretschmer sein, Tillichs ausgerufenen Nachfolger. Der gilt als Rechtsausleger in der Union und verlor bei der Bundestagswahl seinen Wahlkreis gegen einen AfD-Kandidaten. Das Heil der Union, so viel steht fest, liegt nicht rechts, auch wenn es kurzfristig so scheinen mag.

Wähler gewinnt man nicht mit Parolen zurück, sondern mit Vertrauen. In Sachsen hat die Politik verlernt zu reden. Sie muss heraustreten, mehr hinhören. Und dann eine Position finden. Was sie von Tillich als Erbe gut übernehmen könnte, ist seine Demut.