Werbung

Kommentar: Der Union schwimmen die Felle davon

Wohin geht die Fahrt für Armin Laschet? Der Unions-Kanzlerkandidat am frühen Wahlabend (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Wohin geht die Fahrt für Armin Laschet? Der Unions-Kanzlerkandidat am frühen Wahlabend (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Es bleibt beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU/CSU. Doch ein Kanzler Olaf Scholz scheint am ehesten vermittelbar. Ansonsten bleibt viel mehr beim Alten, als man eigentlich denkt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Über diesen Wahlausgang wird schon so gesprochen, als bleibe kein Stein auf dem anderen. Von der Aufteilung des Parteiensystems ist die Rede, und dass die Ergebnisse radikal seien. Doch tatsächlich bleibt das meiste, wie es war.

Vorneweg: Wer von SPD und Union am Ende die Nase bei den Mandaten vorne hat, besitzt die besten Chancen auf das Kanzleramt. Doch es gibt auch eine moralische Perspektive, und die besagt: Bei der Union scheint die Moral am Boden. Und die Genossen können an diesem Abend vor guter Laune kaum laufen. Die Grünen begießen das Ende ihrer Kanzlerinnenträume, die FDP macht weiter wie eh und je – und exakt das gleiche gilt für die AfD.

Natürlich erleiden CDU und CSU eine Niederlage, aber sie als „verheerend“ zu beschreiben, ist übertrieben. Denn ein Minus von acht Prozentpunkten ist schmerzhaft, aber kein Todesakt. Es ist halt die Zeit, in der Volksparteien Federn lassen.

Womit wir bei der SPD wären. In den letzten Wahlen ging es für die ehemalige Volkspartei nur bergab, sie galt als abgeschrieben. Nun hat sie vom niedrigsten Niveau aus fünf Prozentpunkte hinzugewonnen, und die Sozialdemokraten werden als strahlende Sieger ausgerufen.

Diese Vermessenheit nimmt ihren Lauf, als die Grünen ebenfalls als prächtige Gewinner besungen werden, obwohl sie ebenfall gerade mal fünf Prozentchen mehr verbuchen. Ehrlich, ein Durchmarsch sieht anders aus. Die Grünen wollten ganz nach oben, und nun werden bescheidene knappe 14 Prozent als Booster gepriesen.

Ähnlich verrückt, nur umgekehrt, wird das Wahlergebnis der AfD gelesen. Sie habe verloren, heißt es, stehe arm in der Ecke, und keiner wolle mit ihr. Nun ja. Letzteres stimmt zweifellos, aber ein Minus von zwei Prozent ist für eine noch junge Partei ein Witz, wenn sie sich dadurch im höchsten deutschen Parlament stabilisiert, und das nicht gerade nahe der Fünf-Prozent-Hürde, sondern zweistellig.

Die FDP, die immer schon versuchte, besonders mittig rüberzukommen und mit jedem zu können, weil dies die Machtoptionen vergrößert, bleibt bei ihrem Ergebnis. Das zeigt: Die Wähler wollten vor allem eine Stärkung der Mitte. Radikalismen mögen sie kaum. Experimente weniger. Mehr ein weiter so.

Was sagt der Wetterhahn?

Daher straften sie auch die Linke ab, weil die Partei es nicht vermochte, ein einheitliches Bild zu schaffen, ihre interne Zerstrittenheit so zu kitten, wie es der SPD bei den Kontrahenten Scholz vs. Esken/Walter-Borjans gelang.

So gesehen ist der Wind of Change in Deutschland doch eher mau. Doch zumindest weist er eindeutig in eine Richtung. Immerhin gewannen Rot und Grün hinzu. Schwarz verlor an Punkten. Dies gibt Scholz von der SPD einen Push, während Armin Laschet von der CDU den ganzen Abend lang mit Dämpfern zu kämpfen hat. Während also Scholz in seinen Reden am Wahlsonntag nach vorne wies, seine Perspektiven skizzierte und immer von Respekt sprach, während Annalena Baerbock von den Grünen als einzige Politikergröße an diesem Abend selbstkritisch eigene Fehler bilanzierte und trotzdem Aufbruchsstimmung verbreitete („für das Klima“), bremste Laschet mal wieder zur Seite ab. Dankte Angela Merkel. Verwies auf den fehlenden Kanzlerbonus (wie lau). Appellierte daran, dass Regieren Spaß machen sollte (mit ihm als Karnevalsprinz?), begründete aber nicht, warum ausgerechnet mit ihm.

Ein kleiner Unterschied macht den Unterschied

Laschet ist ein Könner im Zusammenraufen. Er vermag es, Leute ernst zu nehmen, sie an einen Tisch zu bringen. Aber eine Vision würde nicht schaden, und die liefert er gerade nicht.

Die Lehre aus diesem Wahlabend besagt, dass ein Kanzler Laschet es sehr schwer haben würde, ein Kanzler Scholz dagegen weitaus weniger – ganz unabhängig vom Endergebnis. Die SPD hat ein kleines Momentum. Nun gilt es, FDP und Grüne an sich zu binden. Und da scheint Scholz, der ja selbst unheimlich mittig daherkommt, derzeit bessere Karten zu besitzen als Laschet.

Video: Wahl-Poker - Scholz und Laschet wollen Kanzler werden