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Kommentar: Die adelige Störchin und das niedere Volk

Beatrix von Storch zeigt, dass Adel nicht zwangsläufig mit einer guten Kinderstube einhergeht (Bild: Reuters)
Beatrix von Storch zeigt, dass Adel nicht zwangsläufig mit einer guten Kinderstube einhergeht (Bild: Reuters)

Mit der Attacke auf Sawsan Chebli hat sich Beatrix von Storch ihren jüngsten Totalausfall geleistet.

Sawsan Chebli hat es nicht einfach. Die Staatssekretärin der Berliner Landesregierung musste in den letzten Jahren zahlreiche Vorwürfe und Anfeindungen ertragen. Manch einer sieht in ihr den islamistischen Wolf im Schafspelz, da Chebli keinen Hehl daraus macht, dass sie gläubige Muslima ist.

Mit einer unüberlegten Bemerkung zur Scharia – dem islamischen Recht – geriet sie in die Kritik, wobei sie auch absichtlich missverstanden wurde und ihr unterschwellige Behauptungen angekreidet wurden, die sie nie getätigt hatte. In ihrer vorherigen Position als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes eckte sie zuweilen durch eine etwas schnippische Art an, was ihr ebenfalls reichlich Gegenwind einbrachte.

Am meisten scheinen sich ihre Kritiker daran zu stören, dass sie durch ihr Auftreten und ihre Äußerungen zwar eine gewisse Angriffsfläche bietet, sich aber dennoch nur schwer in eine Schublade pressen lässt. Das bringt vor allem jene Zeitgenossen zum Toben, die stets nur in Schubladen denken. Sawsan Chebli ist eine Persönlichkeit, die sich eben nicht über einige wenige Stereotypen definieren lässt: Sie ist keine Kopftuchträgerin, sie betet nicht demonstrativ in der Öffentlichkeit, sie hält sich mit ihren Überzeugungen nicht hinterm Berg und sie versteckt sich nicht.

Bei alledem ist sie auch noch überzeugte Demokratin mit SPD-Parteibuch. Und ihr selbstbewusstes Auftreten als junge, attraktive Frau mit Migrationshintergrund will so gar nicht zum von ihren Feinden gezeichneten Zerrbild einer Islamistin passen, die angeblich Verständnis für verfassungswidrige Regeln und Strukturen einer patriarchalen Kultur aufbringen soll. Es sind diese Brüche in ihrem Außenbild, die ihr viele verübeln. Selbst sexistische Klischees werden da gerne mal hervorgeholt.

Sawsan Chebli passt in keine vorgefertigten Schubladen (Bild: AFP)
Sawsan Chebli passt in keine vorgefertigten Schubladen (Bild: AFP)

Tatsächlich sitzt Sawsan Chebli zwischen allen Stühlen. Sie kann es niemandem recht machen und taugt für zwei Extreme gleichmaßen als Feindbild: Einerseits ist sie Reizfigur ausgerechnet für Strenggläubige und Islamisten, in deren Nähe man sie ständig rückt – eine selbstbewusste und intelligente Frau, die Karriere macht, obwohl sie verheiratet und durchaus religiös ist: viel zu modern für traditionsbewusste Muslime. Andererseits bringt sie ängstliche Wutbürger und Ewiggestrige gegen sich auf, die sich die Bundesrepublik von 1950 (wenn nicht gar das Deutschland von 1933) zurückwünschen. Man erkennt: Sawsan Chebli ist keine einfache Figur, vor allem nicht für schlichte Gemüter. Man versucht, sie zu packen, doch sie entgleitet jedem reaktionären Geist.

Es war wieder einmal solch ein reaktionärer Geist, der jüngst eine unsägliche Twitter-Attacke gegen Chebli geritten hat: Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, AfD-Bundestagsabgeordnete. Die adelige AfD-Matrone fürs Grobe meinte, es sei wohl wieder einmal an der Zeit, mit ein wenig Gossenpöbelei gegen Sawsan Chebli bei ihrer Gefolgschaft zu punkten. Von Storchs Follower rekrutieren sich bekanntlich mehrheitlich aus einer unheilvollen Melange ängstlicher Bürger, rechtsradikaler Wirrköpfe, eingefleischter Muslimhasser und Internet-Trolle.

Und so war ihr billiger Beifall sicher, als sie sich zu einem besonders üblen Scherz über Cheblis Vater verstieg: Der Vater der Staatssekretärin, so von Storch, spreche bis heute nicht ausreichend Deutsch, um nach dem nun geltendem österreichischem Recht Sozialbezüge erhalten zu können.

Was die twitterfreudige Störchin da anscheinend nicht wusste: Cheblis Vater ist vor kurzem gestorben. Und Sozialbezüge enden nicht nur im Österreich der Regierung Kurz spätestens mit dem Tod des Leistungsempfängers, sondern auch in Deutschland – in der Bundesrepublik übrigens genauso wie in den untergegangenen einstigen deutschen Gebieten West- und Ostpreußens, die heute in Polen liegen. Vielleicht hatte der feuchte Traum von einem wiedererwachenden Großdeutschland der spaßigen AfD-Hetzerin die Sinne vernebelt; anders ist dieser besonders drastische Fall von Pietät- und Geschmacklosigkeit kaum nachvollziehbar.

Und die Blaublütige interessiert natürlich auch nicht, dass Vater Chebli keineswegs auf der faulen Haut lag. Sobald er nach der Einbürgerung überhaupt arbeiten durfte, suchte er sich in Deutschland einen Job in einer Hotelküche. Mit harter Arbeit schaffte er es, eine große Familie aufzuziehen und setzte alles daran, dass die Tochter und Söhne es einmal besser hatten als er, der 20 Jahre in einer Kloake von Flüchtlingslager im Libanon verbringen musste. Die Herzogin dagegen konnte dank einer gut gefüllten Schatzkammer geradezu durch ihr gepolstertes Leben schweben und von ihrer Wolke auf den einfachen Pöbel herabsehen. “Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen”, vermeint man zu hören, wenn der Storch vorbeifliegt.

Und da sich von Storch einfach nicht mit den einfachen Problem des niederen Pöbels befassen will, echauffiert sie sich auch, dass Chebli nicht den Tod ihres Vater aller Welt in ausreichender Lautstärke mitgeteilt hat. Im Sinne von: “Wenn der niedere Stand nicht fähig ist, so laut zu brüllen, dass ich es in meinem Elfenbeinturm höre, dann ist es seine eigene Schuld.” Storch erstellt Zerr- und Hassbilder des typischen Migranten und Muslims, aber zeichnet damit gleichzeitig eine geradezu vulgäre Karikatur des so genannten “Adels”, gefangen im Feudalismus.

Hohn, Spott und Verachtung waren verbreitete Emotionen, die von Storch entgegenschlugen – und das zu Recht. Ihr Verhalten in diesem Fall war derart unterirdisch, dass es schwerfällt, diesen Vorfall überhaupt mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu reflektieren. Eins steht fest: von Storch disqualifizierte sich mit dieser bodenlosen Entgleisung vor allem selbst. Von der untadeligen Adeligen bleibt nicht viel mehr übrig als eine angebräunte Hofnärrin. Ihren mit Stolz – als sei er eine persönliche Errungenschaft – getragenen blaublütigen Titel hat sie gründlich entehrt.

Damit dürfte sie spätestens jetzt noch unter dem Prestige des einstigen Herrensauna-Betreibers Robert Lichtenberg rangieren, der sich als “Prinz Frederic von Anhalt” feiern lässt, oder des früheren “Big Brother”-Kandidaten Mario-Helmut Wagner, der ganzjährig als “Prinz Mario-Max zu Schaumburg-Lippe” Privatfasching spielt. Sogar diese Alleinunterhalter haben offenkundig, auch ohne eine Spur echten aristokratischen Geblüts, mehr Niveau als die AfD-Herzogin – zumindest fast.

Vielleicht sollte Frau von Storch nach ihren neuerlichen Eskapaden den Anstand haben, einen ähnlichen Weg einschlagen und ihren Namen zu ändern, um ganz unbelastet nochmal von vorne anzufangen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem nichtexistenten Adelsgeschlecht “von Sayn-Wittgenstein” (nicht zu verwechseln mit dem echten Adelstitel “zu Sayn-Wittgenstein”)? Dort freut man sich bestimmt schon auf Zuwachs; von Storchs Parteifreundin Doris Ulrich, die sich als “Doris von Sayn Wittgenstein” nobilitieren ließ, kann von Storch hier gewiss gut beraten.

Wobei es spätestens nach dem primitiven Chebli-Tweet schwer werden dürfte, den passenden Titelhändler zu finden: Ein so honoriger Mensch wie der “schöne Konsul” Hans-Hermann Weyer wird sich da nicht die Finger schmutzig machen wollen.