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Kommentar: Die AfD baut in Thüringen gallische Dörfer

18 September 2019, Thuringia, Arnstadt: Björn Höcke, top candidate and regional chairman of the AfD Thuringia, speaks at the start of the election campaign of the AfD Thuringia. Photo: Michael Reichel/dpa (Photo by Michael Reichel/picture alliance via Getty Images)
Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke beim Start seiner Wahlkampagne im vergangenen September: Er steht im Mittelpunkt (Bild: Getty Images)

Asterix oder was? Am Sonntag ist in Thüringen Landtagswahl. Die AfD hat für das Land einiges vor – und das verstört auch andere AfD-Politiker.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Dass die Veröffentlichung des neuen Asterix-Bandes “Die Tochter des Vercingetorix” nahezu mit der Landtagswahl in Thüringen zusammenfällt, ist Zufall. Aber mit gallischen Dörfern, die Widerstand leisten, haben es manche Politiker dort schon. Immerhin träumt AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke halb scherzhaft von eben jenen, zwecks “Rückeroberung” (was ihn eindeutig von Asterix und Obelix unterscheidet, denn darum ging es den beiden nie).

Höcke ist der Mann, auf den der Wahlkampf der AfD komplett zugeschnitten ist. Alles ist ausgerichtet auf seine Redeauftritte, seine Äußerungen. Und die AfD rechnet sich aus, mehr als 20 Prozent der Stimmen zu erringen, es handelt sich also um keine Randpartei – da fällt auf, wenn CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring sagt: “Ich finde, Höcke ist ein Nazi.”

Entweder wird dieses Wort inflationär gebraucht, oder in Thüringen laufen sich Hardcore-Kader der AfD für politische Verantwortung warm. Höcke gehört dem “Flügel” an, der rechten Abteilung der AfD. Sein thüringischer Landesverband steht in der politischen Ausrichtung hinter ihm. Ist also die AfD dort rechter als anderswo?

Was wollen die?

Ein Blick ins Landeswahlprogramm stimmt nachdenklich. Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) hat es analysiert. Da steht zum Beispiel: Die AfD sehe sich als natürliche Verbündete aller konservativ-patriotischen Protestbewegungen und Bürgerinitiativen (Landeswahlprogramm S. 5), aber: “Obgleich sich Björn Höcke in letzter Zeit von der Thügida zu distanzieren versucht, enthält das Wahlprogramm keine klare Abgrenzung von rechtsextremistischen Bewegungen.”

Und so geht es weiter. Anderswo in Deutschland bezeichnet sich die AfD nimmermüde als bürgerliche Kraft. Dieser Begriff tauche laut IDZ indes im thüringischen Wahlprogramm nur zweimal auf, an einer Stelle gar ironisiert. Dort sei auch von einer “angeblichen Zivilgesellschaft” die Rede. “Die Botschaft lautet nicht: ‘Wir sind doch auch Zivilgesellschaft!’, sondern: ‘Die Zivilgesellschaft greift uns an!’ Es entsteht das Bild einer Konfrontation AfD vs. Zivilgesellschaft. Damit zeigt die AfD Ansätze eines Gesellschaftsverständnisses, das anti-pluralistisch und gegen die Meinungsfreiheit gerichtet ist (die an anderer Stelle für die Partei selbst in Anspruch genommen wird).”

Nebenbei werde der Thüringer Verfassungsschutz kritisiert und mit der Stasi verglichen, während der Islam an und für sich als unvereinbar mit der Verfassung gelte – harter Tobak für eine Weltreligion im Land der sanften Hügel.

Entsprechend präsentiert sich die Partei im Landeswahlkampf. Höcke selbst sieht sich zum “Teufel der Nation stilisiert”, denkt über einen eigenen Grenzschutz des Bundeslandes nach, warnt vor Wahlmanipulationen (als gäbe es einen Hinweis auf sowas) und beschreibt die AfD als Partei einer “Wende 2.0.”, also als eine Art Vollenderin der Revolution von 1989 – das ist für den Wessi Höcke recht dreist, funktionierte aber bei den Landtagswahlen in Brandenburg und in Sachsen auch. Allerdings: Die Zweifel steigen, ob diese Story noch ein weiteres Mal breit überzeugt; über die indirekte Beschreibung Deutschlands als Diktatur hat das Land nun wirklich gelacht. Mit fortschreitender Zeit nutzt sich solch geschichtsklitternder Quatsch ab.

Hauptsache, man ist Opfer

Doch da sind wir wieder bei den gallischen Dörfern. Seine Reden auf den thüringischen Marktplätzen beendet Höcke mit dem Mantra: “Holen wir uns unser Land zurück.” Es war zwar nie weg. Aber die AfD in Thüringen treibt Spitzen umso mehr in bisher unbekannte Höhen: Stets geht es um ein “wir” gegen “die da”, wobei letztere recht vielfältig sind – es handelt sich nicht nur um jene, die keine deutschen Vätersväter aufweisen, sondern generell um Liberale und Freunde des modernen Rechtsstaats.

Eine Episode aus dem Wahlkampf hat der Deutschlandfunk aufgeschnappt, sie stammt vom AfD-Kandidaten Torsten Czuppon aus dem Landkreis Sömmerda. Der macht sich ernste Sorgen. “Ich möchte das nicht, dass uns Kleidermarken verboten werden. Und es ist ja ganz lustig: Es gibt ja schon Buchstaben, die verboten sind! Also zum Beispiel ‘HH’ – das könnte ‘Herr Höcke’ heißen oder was auch immer. Aber ‘HH’ ist verteufelt! Oder ‘AH’ – da sieht man immer ganz böse Parallelen, die man da zieht. Das ist aber alles Käse! Die wollen uns einfach kleinmachen und diffamieren. Und das will ich nicht mehr.”

Tja. Man könnte ja fragen, ob denn der Kandidat Czuppon gerne “HH” und “AH” sagen würde, warum ihm das derart wichtig wäre und wer das verteufelte? Schon komisch, dass jemand politische Verantwortung übernehmen will, aber sich erstmal grundnaiv gibt.

Der Ethnowahlkampf der Thüringer AfD fällt auf. In der Bundespartei weiß man nicht, ob man Höcke tatsächlich einen großen Erfolg wünschen oder sich über einen Dämpfer nicht insgeheim freuen soll. Bei der jährlichen Zusammenkunft der “Flügel”-Sympathisanten in der AfD, dem so genannten Kyffhäuser-Treffen, schritt er im Juli begleitet von heroischer Musik und fahnenschwenkenden Anhängern in den Saal ein. Einer säuselte: “Du bist unser Anführer, dem wir gerne bereit sind, zu folgen.” Und Höcke verlieh verdienten Mitstreitern das silberne “Flügel”-Abzeichen. Jo, sowas nennt man Kult.

Und es kam nicht überall gut an. Ein offener Brief von mehr als hundert AfD-Funktionären kursierte. Sie kritisierten, die "überwiegend bürgerliche Mitgliedschaft" lehne den "exzessiv zur Schau gestellten Personenkult" um Höcke ab. Mal sehen, was die Thüringer am Sonntag davon halten.