Kommentar: Die AfD darf nicht tabuisiert werden

An Albrecht Glaser entzündet sich die erste große Kontroverse um die AfD im Bundestag (Bild: dpa)
An Albrecht Glaser entzündet sich die erste große Kontroverse um die AfD im Bundestag (Bild: dpa)

Am Dienstag schickt die AfD ihren Kandidaten ins Rennen: Albrecht Glaser hat sich vor allem durch Äußerungen zum Islam bekannt gemacht. Verhindern sollten die anderen Parteien ihn nicht – seine Gedanken sind zu dürftig, um der AfD deshalb die Rebellenrolle zuzugestehen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Für das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten braucht es Einfallsreichtum und Schlagfertigkeit, um etwa in Wallung geratene Redner im Plenum zu besänftigen – da ist der Albrecht Glaser von der AfD der rechte Kandidat. Nicht nur hat er als Frankfurter Stadtkämmerer durch kreative Investitionen in so genannte „Glaser-Fonds“ an den Institutionen vorbei Millionenverluste eingefahren. Ähnliche Waghalsigkeit beweist er durch seine Äußerungen zum Thema Religion, namentlich zum Islam.

Die anderen Parteien im Bundestag sind nun entsetzt. Sie wollen ihn am Dienstag nicht wählen. Das ist falsch. Die AfD ist, ob es gefällt oder nicht, ins Parlament eingezogen. Das bedeutet, dass sie Rechte und Verantwortungen zu übernehmen hat – sie muss es, weil ansonsten der Wählerwillen missachtet wäre. Dazu gehört, dass ihr ein Posten des Bundestagsvizepräsidenten zugesteht. Nun gibt es wichtigere Aufgaben im Parlament, dieses Amt fällt meist an verdiente Politiker, eine Art Belohnung für Taten in der Vergangenheit.

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Und da können einem bei Glaser schon Zweifel beschleichen. Diese ändern indes nichts an… Stichwort: Rechte und Verantwortungen.

Die anderen Parteien könnten am Dienstag nun folgendes tun: Sie könnten Glaser die nötige einfache Mehrheit bei der Wahl verweigern. Die AfD würde ihn wieder und wieder aufstellen, über Wochen hinweg jedes Mal aufs Neue müssten die anderen Abgeordneten ihn ablehnen; und irgendwann würden sie einknicken oder die Rechtspopulisten einen neuen Kandidaten präsentieren.

Glaser ist kein irrer Einzelgänger

Aber warum sollten sie? Zum einen haben sie kaum einen besseren als Glaser. Was man ihm vorwirft, ist in der Partei Grundkonsens, da ist er unter seinesgleichen kein irrer Einzelgänger, sondern hält sich ans Programm. Und zum anderen würde es die AfD herrlich freuen, wenn man ihren Kandidaten derart schlecht behandelte; lebt sie doch vom Mythos, sie werde ausgegrenzt, agiere rebellisch und bürste gegen den Strich. Die AfD braucht die Opferrolle, um von der Kargheit ihrer Programmatik abzulenken und um eine Berechtigung für ihre Angriffe herzuleiten.

Die AfD kann nicht tabuisiert werden, nicht im Bundestag. Dort sitzt sie nun. Sie sollte inhaltlich gestellt werden, bei einer Auseinandersetzung auf Augenhöhe, um zu schauen, was dran ist an ihren Argumenten.

Fangen wir bei Glaser an. Seine Äußerungen zum Islam werden ihm nun zuvorderst zum Vorwurf gemacht. Was sagte er eigentlich?

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„Wir sind nicht gegen die Religionsfreiheit. Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt und die sie nicht respektiert. Und die da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen.“ Ferner sei der Islam eine politische Ideologie und keine Religion. Man könne daher nicht zwischen Muslimen und Islamisten unterscheiden.

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Tja. Der Reihe nach, am besten von hinten. Hat Herr Glaser einmal versucht zwischen Muslimen und Islamisten zu unterscheiden, etwa in einem persönlichen Gespräch? Abgesehen davon, dass auch Islamisten Muslime sind, ist es eigentlich ganz leicht zwischen volksfrommen, liberalen, konservativen und fundamentalistischen Muslimen zu unterscheiden, wie bei jeder Religion.

Aber ich vergaß: Glaser erklärt den Islam ja zur Nicht-Religion. Ein Geniestreich, der buchhalterischer Kreativität erster Güte gleichkommt. Bisher hat die AfD versäumt zu begründen, warum sie im Islam nur Ideologisches sieht und nichts Religiöses. So gottlos kann die AfD eigentlich nicht sein, aber vielleicht sieht sie dies im Umstand, dass in islamisch dominierten Gesellschaften seit dem siebten Jahrhundert politische Herrschaft zumindest offiziell auch religiös legitimiert war. Tatsächlich kam auch dort immer nur der nach oben, der sich in der weltlichen Macht nach weltlichen Kategorien mit weltlichen Mitteln durchsetzte, aber die AfD schaut halt nicht so genau hin.

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Auch möchte man genauer wissen, wo in islamischen Herrschaftsbereichen die Religionsfreiheit eingeschränkt wurde oder wird. Historisch gesehen galt dort zwar immer die uneingeschränkte Suprematie des Islam gegenüber anderen Religionen mit zahlreichen Grenzen für jene, und diese Regeln diskriminierten auch. Im Vergleich zu christlich dominierten Herrschaftsbereichen aber zeichneten sich die islamischen durch mehr Offenheit und Toleranz aus, was die Religionsfreiheit angeht. Und wenn Glaser nur die Gegenwart meint: Ja, in Saudi-Arabien sieht es echt mies aus in Sachen Religionsfreiheit. In vielen Regionen Iraks und Syriens auch, daher fliehen die Menschen ja von dort zu uns, aber das will Herr Glaser, aus anderen Gründen, nun auch nicht. Ganz schön schwierig, dieser Typ. Und: Was haben Türken oder Marokkaner oder deutsche Konvertiten mit den Umständen auf der Arabischen Halbinsel zu tun? Natürlich, ich vergaß: Bei diesem Thema lässt die AfD halt Fünfe gerade sein.

Soll also Herr Glaser gewählt werden, wir wollen ja niemandem Grundrechte entziehen – auch nicht in einer alttestamentlichen Logik „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Grundrechte sind unveräußerlich. Je mehr man mit dem möglichen neuen Bundestagsvizepräsidenten also reden wird, desto stärker entblättert sich die Groteske seiner Argumente. Wir haben ja immerhin Herbst.

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