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Kommentar: Die AfD erstickt an ihrem Gift

Gezielte Provokationen verschaffen der AfD gerade Aufwind in den Umfragen – ob das lange gutgehen kann? (AP Photo/Ferdinand Ostrop)
Gezielte Provokationen verschaffen der AfD gerade Aufwind in den Umfragen – ob das lange gutgehen kann? (AP Photo/Ferdinand Ostrop)

Die Rechtspopulisten steigen in den Umfragen – und nehmen immer größere Schlucke aus der Pulle. Wenn das mal gut geht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die AfD hat einen “historischen Tag” gefeiert. In einer Umfrage im Auftrag der “Bild”-Zeitung zog sie an der SPD vorbei. Sogleich vermeldete Fraktionschefin Alice Weidel euphorisch: “Wir sind Volkspartei!” Und: “Wir sind zweitstärkste Kraft in Deutschland!”

Nun sind diese Ausrufezeichen sicherlich nicht unangebracht, obwohl eine Umfrage eher eine Momentaufnahme abbildet. Die SPD schüttelt sich gerade in einen Schockzustand, aus dem sie irgendwann aufwachen wird; würde die AfD in kommender Woche, sollten die Werte wieder anders aussehen, dann meinetwegen ohne Ausrufezeichen deklamieren: “Wir sind doch keine Volkspartei…”?

Fakt ist, dass die Partei wachsende Zustimmung findet. Die ernsthaften Gesetzesinitiativen in den Parlamenten sind zwar magerer Natur, aber die rausgehauenen Parolen wirken; dies indes nur solange, wie sie bei den Wählern ankommen, sie nicht hinterfragt werden und diese nicht noch mehr wollen, zum Beispiel konstruktive Vorschläge zur Verbesserung des eigenen Lebens, der Mensch denkt halt an sein Fortkommen.

Derzeit kommt die AfD an. Dabei erstaunt, dass Häme Pluspunkte einsammeln kann. Denn die AfD scheut sich immer weniger um Werte wie Anstand und Respekt, sondern lässt im Gegenzug schlechten Gefühlen wie Missgunst freieren Lauf. Dies galt mitunter dem gerade in die Freiheit entlassenen Journalisten Deniz Yücel, der in der Türkei willkürlich über ein Jahr in ein Gefängnis gesteckt worden war. Wie kommentierte die euphorische Weidel diesen Schritt?

Er sollte, so die Spitzenpolitikerin im Bundestag, “eigentlich keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen”. Also, anders ausgedrückt: Geh doch nach drüben, ein Spruch übrigens, den die AfD wählenden ehemaligen DDR-Bürger niemals, ich wiederhole: niemals, auf sich beziehen würden. War eine alte westdeutsche Kamelle aus vergangenen Zeiten.

Die Kunst der Verpackung à la AfD

Weidel sieht in Yücel weder einen Deutschen noch einen Journalisten. Den Pass würde sie ihm entziehen, weil er kritische Texte über Deutschland verfasste, das passte ihr nicht, also: Raus! (An diese Ausrufezeichen muss ich mich noch gewöhnen.) Yücel hat die doppelte Staatsbürgerschaft, und spätestens seit André Poggenburgs karnevaleskem Trashtalk vom Aschermittwoch wissen wir, dass da nur “Gesindel” herauskommen kann. Poggenburg meinte übrigens später, er habe sich des Stilmittels der “Satire” bemächtigt.

Interessant dabei ist, dass sich Weidels Häme gegenüber Yücel an einem Text festmacht, der seit Jahren durch die Rechtsaußen-Sozialmedien geistert, und der, im Gegenzug zu Poggenburgs vebalem Muskelspiel, eindeutig als Satire gekennzeichnet gewesen war. Merke: Wenn ich eine Satire als solche bezeichne, versteht mich die AfD falsch, weil sie mich wörtlich nehmen will, irgendwoher muss ja die ganze Empörung kommen. Wenn dagegen die AfD im Nachhinein sagt: Ätsch, war nur Satire, dann muss ich das verstehen. Ich verstehe nur eines: Entweder hat die gesamte Führungsspitze der AfD früher im Deutsch-Unterricht nicht aufgepasst. Oder sie ist eben strunzdumm. Oder sie schneidet sich die Wirklichkeit zurecht wie einen Döner vom Drehspieß.

Mit solch einer Masche kommt man durch?

Jemandem übrigens die Berufsbezeichnung des Journalisten abzusprechen, obwohl Yücel sicherlich akkreditiert ist, geht auf frühere, unglücklichere Zeiten zurück, als unter den Nazis Journalisten blitzschnell mit solchen Argumenten mund- und dann später volltot gemacht wurden.

Immer diese lästige Vergangenheit

Aber dies ist ein weiteres Problem, und es könnte der AfD zur Last werden. Die Partei lässt ihren Griff an der Eskalationsspirale nicht los, das wirkt echt verkrampft. Macht sie so weiter, hört man ihr weniger zu, das ist wie beim Märchen mit dem Hirten, der ständig wegen Wölfen Alarm schlägt, die erst kommen, als man ihm kein Gehör mehr schenkt. Die Nazi-Masche werden die Rechtsaußenblinker nicht los, die wird ihnen nicht angedichtet; sie ist hausgemacht. Erst vor sechs Tagen wandte sich der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon gegen die Stolperstein-Aktion, mit der vor Häusern von Menschen, die in der Nazi-Zeit verfolgt und ermordet worden waren, daran erinnert wird. Gedeon findet das nicht gut.

“Es gibt angemessenere Arten des Gedenkens im Rahmen von Gedenkstätten, von denen wir hier genügend haben”, schreibt er. Aha. Das Erinnern sollte also hübsch weggesperrt werden, raus aus unserem Wohnalltag. Und “genügend” dieser Stätten gebe es auch, dem Gedeon scheint das ein wenig viel zu werden. Schließlich will er entscheiden, ob er sich erinnern oder unbekümmert hetzen will. Er sieht darin eine “Erinnerungs-Diktatur”.

Was lernen wir daraus? Ihm wird zu viel gedacht, wohl im Wortsinn. Das ist wie bei Poggenburgs Wut-Rede, bei der nun unklar ist, ob sie satirisch GEDACHT war oder nicht, jedenfalls haben in jener die Deutschen sinngemäß einen Völkermord “am Arsch”. Will ja keiner haben. Wenn mich Hämorrhoiden plagen, möchte ich auch nicht, dass Straßenschilder mich daran erinnern. Herr Doktor Gedeon, hätten Sie vielleicht ein Gegenmittel?

Das Gift jedenfalls, das die AfD derzeit einnimmt, wird ihr bald ernsthaft schaden.

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