Kommentar: Die Ampel-Regierung steht vor den schwersten Stunden ihrer Geschichte
Ein Strich durch die Rechnung vom obersten Gericht: Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP muss ihre Haushaltspolitik neu umstellen. Das ist viel mehr, als man erstmal denkt. Und setzt Fliehkräfte frei. Entweder die drei Parteien raufen sich jetzt zusammen – oder zu Weihnachten haben wir Friedrich Merz von der CDU als Vizekanzler.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Stell dir vor, es ist Krise, und keiner merkt’s: Die Bundespolitik in Berlin ist in der öffentlichen Wahrnehmung dieser Tage tatsächlich eine Blase. „Draußen auf dem Land“ redet man über die Preise und übers Gendern – während die Politik um ihre Handlungsfähigkeit kämpft. Von den vielen Debatten kaum aufgegriffen ist der Umstand, dass die Bundesregierung zwar mal wieder vor einer Krise steht, es diesmal aber ihre schwerste ist. Existenzbedrohung fasst dies in einem Wort zusammen.
Was ist passiert? Das Bundesverfassungsgericht hat ein wichtiges Urteil gefällt und der Regierung einen Haushaltstrick untersagt: 60 Milliarden Euro aus nicht genutzten und damit frei gewordenen Coronahilfen hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in den Klimafonds des Kabinetts gesteckt. Das klingt erstmal logisch. Nur waren die Milliarden für die Coronahilfen durch Verschuldung entstanden – und die ist zweckgebunden und nur im Notfall möglich; so besagt es die „Schuldenbremse“.
Riesenlücke im Klimabudget
Nun fehlen also diese Milliarden im Klimafonds – sie dürfen so nicht ausgegeben werden. Damit unterstreicht das Bundesverfassungsgericht seine wichtige Rolle in der Demokratie und beweist wieder einmal, wie gut sie funktioniert. Aber sie stellt die Politik auch vor ein Problem, und dies betrifft alle Parteien, die ernsthaft an Lösungen fürs Land arbeiten (das sind nicht alle).
Denn wurstige Finanzmanöver sind nicht mehr angesagt. Alle Parteien müssen sich nun fragen, was ihnen Klimaschutz wert ist. Und da geht es nicht um Gedöns, auch nicht nur um Weltrettungspredigten à la „Letzte Generation“. Sondern es geht um die Frage, ob Deutschland sich zukunftstauglich macht oder nicht. Denn längst hat eine neue industrielle Revolution begonnen. Der Abschied von fossilen Energieträgern ist eingeleitet. Diese aber sind das Rückgrat der Wirtschaft. Um Deutschland herum nehmen Länder wie USA, China und all unsere Nachbarn Unmengen von Geld in die Hand, um ihre Industrien umzubauen. Tun wir das nicht, wird es viele Arbeitsplätze kosten. Unsere Wirtschaft wird hinterherhinken, immer eine schlechtere Option im internationalen Wettbewerb bieten. Und, nicht nur nebenbei: Wir haben ja nur den einen Planeten, der Umbau hin zum Abfedern des Raubbaus an ihm und damit an uns sollte im Interesse aller sein.
Die Koalitionsparteien stehen unterschiedlich da
Und damit sind wir beim Thema. Die FDP tut gerade so, als gehe es beim Klimafonds um einen Spleen, ein Hobby der Grünen. Mit dieser Einstellung können die Liberalen gleich einpacken. Entweder sie beweist Ernst und Politikfähigkeit, oder sie wird in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Eine Robert-Habeck-Partei wird immer irgendwie überleben. Und die SPD wird auch stets einen Slogan finden, mit dem sie als ehemalige Volkspartei bei den Leuten ankommt. Für die FDP aber wird es jetzt schon eng. Sie steht vor der Aufgabe, ihre bisherige Politik der Klientelbedienung zu korrigieren.
Und insgesamt stehen alle Parteien vor der Frage, wie sie es mit den Schulden halten. Einerseits ist Disziplin ein Grundpfeiler erfolgreichen Wirtschaftens. Andererseits häufen sich gerade die Herausforderungen. Andere Staaten haben ihre „Bremsen“ gelockert und investieren enorm. Ein Stück weit werden die Parteien überlegen müssen, ob auch sie diesen Weg gehen werden. Dieser birgt durchaus Risiken. Aber Antworten müssen her.
Was will man eigentlich?
Als erstes braucht es indes eine Einigung innerhalb der Koalition auf Sachfragen. Den Schuldentrick mit den 60 Milliarden Euro hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) ersonnen, umgesetzt hat ihn Lindner. Beide können jetzt nicht so tun, als hätten sie damit nichts zu tun. Beide müssen konstruktiv nach vorn denken – und zwar innerhalb des bestehenden Bündnisses. Ansonsten gehen ihm wirklich die Argumente aus, warum man gemeinsam regiert. Und dann steht die Union schneller als erwartet bereit, um mit der SPD eine Übergangsregierung zu bilden. Ein Schreckensszenario wäre das nicht. Demokratie funktioniert so. Aber SPD, Grüne und FDP könnten ja etwas wollen. Sie müssen nur wissen, was.
Im Video: Bundesverfassungsgericht kippt Haushaltsmanöver der Bundesregierung