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Kommentar: Die Bengels von "Bild"

Im Fokus einer Kampagne: Virologe Christian Drosten (Bild: Getty Images)
Im Fokus einer Kampagne: Virologe Christian Drosten (Bild: Getty Images)

Das Boulevardblatt fährt eine Kampagne gegen den Virologen Christian Drosten. Und bald wird die nächste Eskalationsstufe gezündet.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wäre die Lage nicht so gefährlich, könnte man über die Jungs von “Bild” müde lächeln. Dass das Boulevardblatt Kampagnen gegen Menschen fährt, liegt zwar nicht in der DNA der Zeitung, ist aber eine Tradition. Nun trifft es einen Wissenschaftler, den “Bild” als Zielobjekt ausfindig gemacht hat. Sein “Verdienst”: Christian Drosten ist als forschender Virologe mehr in Laboren zuhause, aber die Corona-Pandemie katapultierte ihn als Wissenden zwangsläufig in die Öffentlichkeit. Seine Expertise ist gefragt.

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Allein das macht ihn angreifbar in den Augen der Unwissenden und jener, die unwissend bleiben wollen. Die gefühlte Fakten den echten vorziehen und auch ansonsten viel herumspinnen. Und “Bild” nimmt dies zum Anlass, denn das Blatt fährt erst dann eine Kampagne gegen jemanden, wenn es vorher kalkuliert hat, eine kritische Masse an Unterstützern dafür einzusammeln.

Das ist im Fall Drosten bestimmt der Fall. Nicht seine Person polarisiert, sondern die ihm von der Öffentlichkeit zugeschanzte Rolle.

Daher greift “Bild” an. Eine Studie mit wenigen und rohen Daten, die eigentlich keine ist und erst im Preprint für alle einsehbar online ging, also eine Vorabveröffentlichung ohne Anspruch auf Weisheit mit Löffeln – die knöpfte sich die Redaktion vor. Heraus kam eine Menge falsches Zeug. Beim zuständigen Redakteur.

Hauptsache, grob

“Grob falsch”, meinte der Kollege. Als Kronzeugen führte er Wissenschaftler, die er selbst gar nicht gesprochen hatte, aber ihre Debatten um den Preprint, es ging vor allem um statistische Methoden, aus Zusammenhängen riss. Der Kollege offenbarte ein nicht überraschendes Nichtwissen, was okay ist – wer von uns versteht schon Fachdebatten über die mögliche Verbreitung von Viren durch Kinder? Aber: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Die angeblichen Kronzeugen distanzierten sich dann rasch von diesem unseriösen Quatsch, während “Bild” bei der angeblichen Empörung bleibt. Warum eigentlich?

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Die Redaktion wird von jungen Männern regiert, die gewissen Irrtümern aufsitzen. Sie denken womöglich tatsächlich, dass das Fleddern und Zurechtbiegen von Fachdebatten um eine Veröffentlichung in der Vorstufe so etwas wie investigativer Journalismus wäre. Dabei ist das Herumkritteln an ersten Forschungsergebnissen notwendig, da wird hin und her abgewogen – und die Kritik ist immer hochwillkommen. Das macht es nicht “grob falsch”.

Doch die Boygroup bei “Bild” denkt, es sei ein smarter Move, sich pseudokritisch zu geben. Mit Aufklärung hat dieses Surfen auf einer Welle des allgemeinen “Genug-Haben” wenig zu tun. Aber genug Zustimmung wird es dafür schon geben. Die gab es damals auch gegen Rudi Dutschke oder gegen Sibel Kekilli. Dutschke, weil er vielen zu links war, Kekilli, weil sie Frau und Deutschtürkin ist und Drosten – weil er Lücken fühlt, die das politische System selbst nicht angeht.

Gemeingefährlich

Doch nun zur Lage, und die ist gefährlich. Als der Kollege sich an seinen Computer setzte und eine Ein-Stunden-Frist zur Beantwortung von Pipifaxfragen in die Tastatur hämmerte, zierten im Bezirk, wo die Redaktion angesiedelt ist, folgende Spuckis einige Laternenpfähle: “Trust me, I´m a doctor”, stand da, und darunter zwei Fotos: Eines zeigte den KZ-Folterarzt der Nazis, Josef Mengele, das andere Drosten. Dies ist der Kontext.

Ein weiterer ist, dass Drosten Morddrohungen erhält, es sind ja genug Aluhüte unterwegs, deren Köpfe rauchen. Und jüngst kam ein Paket an, mit einer Flüssigkeit. “Trink das – dann wirst du immun”, stand auf dem Fläschchen geschrieben. Drosten übrigens reagierte auf die komische Einstundenmail, indem er sie in den Sozialen Medien veröffentlichte – samt Handynummer des Redakteurs, was man schlicht nicht macht. Denn der Persönlichkeitsschutz gilt für auch für Journalisten.

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Drosten verrichtet gerade indes eine Arbeit, die Aufgabe eines Ministeriums wäre. Er erklärt darüber hinaus verständlich die Problemlage einer Pandemie. Und er forscht, mit Ergebnissen, die international eine große Anerkennung finden. Das muss den Rotzlöffeln von “Bild” stinken, denen ein Großkopferter im Verlag vielleicht einmal gesagt hat, sie sollten ihre soften Schmuseboysongs ab und zu ablegen und grober werden.

Und die Kalkulation wird aufgehen. “Bild” generiert Aufmerksamkeit. Und in Zeiten, in denen ein Donald Trump nicht wenige Leute davon überzeugt, ein guter Präsident zu sein, ist es eine Leichtigkeit, sich und genügend Lesern zu halluzinieren, man recherchiere sauber oder berichte kritisch.

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