Kommentar: Die Bluttat von Kandel markiert eine Kriegserklärung – durch die AfD

Gedenkstätte für das getötete Mädchen am Tatort in Kandel (Bild: Getty Images)
Gedenkstätte für das getötete Mädchen am Tatort in Kandel (Bild: Getty Images)

Ein afghanischer Geflüchteter tötet seine deutsche Ex-Freundin. Es folgt ein Aufschrei nach dem Lehrbuch.

Ein Kommentar von Jan Rübel

„Beziehungstat“ ist ein Augenzwinkerwort, seit neustem, genauer: Seit der Tötung einer 15-Jährigen im pfälzischen Kandel. Das Mädchen wurde von seinem ehemaligen Freund erstochen, einem Afghanen. Die Sozialen Medien der AfD verwandelten sich daraufhin in ein Tollhaus, mit dem Tenor: Seht her, wir haben es doch gewusst. Das passiert, wenn sich Deutsche mit DENEN einlassen. Und: Der „Mord“, den indes erst ein Gericht feststellen müsste, aber mit den Rechtsstaat ist es im Moment nicht arg wichtig, geschah, weil der Afghane nun eben nicht anders kann. Die Kultur. Die Tradition. Der Islam, von wegen Beziehung. Oder wie es der AfD-Politiker Norbert Kleinwächter ausdrückte: „Der Mörder von Kandel ist und war kein ‚Geflüchteter‘, sondern ein systematischer Krimineller, der schlussendlich auch eine der schlimmsten Straftaten beging, die wir kennen.“

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Nun ist solch eine Tat nicht schnell zu erklären. Zusammenhanglos geschieht nie etwas. Eine Beziehungstat war es offensichtlich, in all ihrer persönlichen Tragik. Und natürlich muss genau aufgearbeitet werden, was den Afghanen zur Tat brachte – inwiefern auch Geschlechterideen eine Rolle spielten, die er in seinem Heimatland erlernt hatte, und auf welcher Basis sich diese entwickelten, ob die Religion oder andere kulturelle Einflüsse darauf wirkten. Man muss daraus lernen.

Die AfD aber will nicht lernen, oder wie es Herr Kleinwächter ehrlich notiert: „Hier gibt es nichts zu verstehen.“

Im dauerhaften Erregungszustand nutzt die Partei diese tragische Tat zur Kriegserklärung. Da kursiert ein „offener Brief“ an den Vater der Getöteten, der auch von AfD-Facebookseiten geteilt wird, welcher die Menschenfeindlichkeit zu wahrer Meisterschaft bringt. „Hätten Sie auch nur einen Hauch der Afghanischen Mentalität begriffen, könnte ihre Tochter heute noch leben“, weiß dieser Besserwisser. „In Afghanistan ist Ihre Art der ‚Gastfreundschaft‘ völlig unbekannt und wird als ‚Unterwürfigkeit‘ oder schlimmer als ‚Sklavenmentalität‘ interpretiert. Der Killer ist als Eroberer in Ihr Haus gekommen. Nicht als Gast. Betrachten Sie sein Bild auf der Titelseite der Bildzeitung. Stolz stemmt er die Faust in die Hüfte, wie ein Jäger, wie ein Krieger, der seine Beute präsentiert.“

Empörung aus der Retorte

Weiteres aus diesem Schreiben zitiere ich nicht, es ist zu grausam und dumm zugleich. Da meint jemand, sich auszukennen. In Afghanistan soll es tatsächlich auch zu Beziehungen zwischen Jugendlichen kommen, die nicht tödlich enden, aber dem Autoren geht es um Dämonisierung. Ich stelle mir den Post eines afghanischen Bloggers vor, der über Deutsche schreibt: „Ihr Lieblingsduft heißt Zyklon B. Stolz schauen sie in den Spiegel, wie ein Jäger, wie ein Krieger. Das ist die deutsche Mentalität. Ist man nicht blond, landet man im KZ, diese Deutschen können nicht anders, als sich größer zu machen, als sie sind. Und deswegen machen sie alle anderen kleiner.“

Vielleicht sollte ich sowas nicht schreiben, sonst beginne ich darüber nachzudenken, ob da nicht sogar etwas dran ist.

Jedenfalls folgte der zweite Teil im Empörungsdrama, die Attacke gegen das „Staatsfernsehen“. Angeblich habe man über „Kandel“ nicht berichten wollen, hieß es bei der AfD. Eine Lüge. Die ARD berichtete sofort im regionalen Fernsehen, wartete die Pressekonferenz der Polizei am Nachmittag ab und brachte dann die Nachricht in den bundesweiten Hauptsendungen, was gewiss nicht mit jeder Beziehungstat geschieht.

Deine Mutter

Schritt 3 dient der allgemeinen Mobilisierung. Selbst für die Mitgliederwerbung war einigen AfD-Funktionären der tragische Fall von Kandel ein Anlass. Auf einer Plattform tauchen Screenshots auf, einer zeigt den Post auf der Facebookseite des AfD-Kreisverbands Bad Kreuznach, da steht: „Mach auch du mit bevor deine Mutter, Ehefrau, Tochter oder Enkelin die nächste MIA sein wird.“

Ich war perplex. Die penible Aufzählung weiblicher Familienmitglieder, der Name des Opfers von Kandel in Großbuchstaben – um 120 Euro Jahresmitgliedschaftsbeitrag zu kassieren. Ich dachte an eine Fälschung. Deshalb rief ich beim Kreisverband an.

„Ach, Kandel ist doch ein alter Hut“, sagte mir ein älterer Herr. Aber er betreibe die Facebookseite nicht, dass übernähmen die Jüngeren, er werde mich zurückrufen.

Zehn Minuten später der Rückruf. „Ja, aber das haben sie selbst schnell runtergenommen.“

Warum macht man das?

Der Herr versuchte eine Erklärung. „Um Emotionen zu wecken, um zu provozieren.“ Er sei gegen solche Hetze, „aber die Jungen sind zu schnell, die durchdenken sowas nicht“.

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Von der Ehrlichkeit dieses Funktionärs war ich beeindruckt, aber noch mehr von der Abscheulichkeit seiner Junioren. Der Mann bedeutete mir, innerhalb der AfD eher „rechtskonservativ“ zu sein, „im Sinne des Rechts und überhaupt nicht national“. Der harte Kurs von Parteichef Alexander Gauland überrasche ihn, Frauke Petry fand er eigentlich ganz gut, „und das mit den Kindern an der Grenze erschießen hat sie so auch nicht richtig gesagt“.

Ich wünsche diesem Funktionär, innerparteilich gesehen, viel Erfolg. Mit ihm kann man sich auseinandersetzen, mit MIA-Typen nicht mehr. Die sind für die Nachwelt verloren. Fälle wie der Fall von Kandel sind wie ein Lackmustest für die Seele der AfD. Und um die steht es immer schlimmer.