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Kommentar: Die brüllenden Löwen der SPD (alt & zahnlos)

Andrea Nahles (l.), Fraktionsvorsitzende der SPD und SPD-Parteivorsitzende, So-yeon Schröder-Kim und Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, in Berlin (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Andrea Nahles (l.), Fraktionsvorsitzende der SPD und SPD-Parteivorsitzende, So-yeon Schröder-Kim und Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, in Berlin (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Gerhard Schröder meldet sich zu Wort – und klingt wie aus einer vergangenen Zeit. Manchem gefällt das. So kommt die Sozialdemokratie aber nicht auf die Beine.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt Kolumnen, die schreiben sich von allein. Wir alle von der menschlichen Lebensform reagieren auf Reizwörter, da rattert es los. Das kommentierende Zahnradwerk rauscht beim Wort „SPD“ sogleich ein „Selbstzerfleischung“ hinzu, begleitet vom unvermeidlichen Modewort der „Alphamännchen“, welche es tatsächlich noch immer gibt, man wird es kaum glauben.

Im Interview: Schröder plädiert für Gabriel-Comeback

Kürzlich meinten die Alphamännchen sich über eine 16-Jährige lustig machen zu können, nur weil sie ihnen die Erfolglosigkeit ihres Wirkens in Bezug auf die Rettung der Menschheit vorhielt. In dieser Woche auf dem Speiseplan: die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Denn es hat sich ein Alphamännchen besonderer Klasse zu Wort gemeldet, in einem Interview, das erwartbar herunterschnurrt wie geschnitten Brot.

SPD-Altkanzler Gerhard Schröder sprach. In der Kurzform: Ich machte es besser // Meine ausgewählten Buddys machten es besser // Besser aussehen tun wir auch. In der Langform: Nahles agiere amateurhaft und habe nicht genügend Ahnung von Wirtschaft.

Weil Nahles vor Beginn der Verhandlungen zu einer Großen Koalition in die Kameras ein „Bätschi“ pfiff, sei das „amateurhaft“, befand Schröder – eben jener Mann, der Frauenpolitik als „Gedöns“ bezeichnete und seine Wahlniederlage 2005 ignorierte, weil man „die Kirche im Dorf“ lassen solle. Klar, dass er ein Problem mit Frauen hat, und das hat nichts damit zu tun, dass er mittlerweile zum fünften Mal verheiratet ist; in diesem Zusammenhang kommt natürlich die Frage auf, welche erfolgsversprechenden Ratschläge von einer Person solchen Hintergrunds überhaupt kommen können.

Soyeon Schröder-Kim: Diese Leidenschaft teilt sie mit Gerhard Schröder

Das „Bätschi“ von Nahles war eine historische Momentaufnahme ohne ein Jota von Einfluss. Nahles drückte die realistische Befindlichkeit ihrer Partei damit aus, die aus guten Gründen zuerst keine Große Koalition wollte, sich aus Pflichtgefühl dann doch dazu hinreißen ließ und dies entsprechend kennzeichnete. Wer dies amateurhaft findet, sollte sich nach dem Ablichten in Brionimänteln gleich beim Jobcenter melden.

Geraune von der Leine

In seinem Interview mit dem „Spiegel“ schwadronierte Schröder, der nächste Kanzlerkandidat der SPD müsse über Wirtschaftskompetenz verfügen. Nun, schaden kann es nicht. Die „Spiegel“-Redakteure fragten daraufhin mit aufgesetzter Unschuldsmiene, wie es denn mit der Wirtschaftskompetenz von Nahles aussehe, worauf Schröder ätzte: „Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.“

Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, übte kürzlich scharfe Kritik an Andrea Nahles. (Bild: Federico Gambarini/dpa)
Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, übte kürzlich scharfe Kritik an Andrea Nahles. (Bild: Federico Gambarini/dpa)

Diese Aussage trifft wohlgemerkt eine Politikerin, die selbst nach Auskunft ihrer politischen Gegner das Bundesarbeitsministerium erfolgreich geführt hatte. Schröder, der 1998 als Kanzlerkandidat der SPD antrat, verfügte damals über folgende Wirtschaftskompetenz: die Lehre zum Einzelhandelskaufmann in einem Porzellangeschäft, Arbeit auf dem Bau, Arbeit als Rechtsanwalt, Ministerpräsident Niedersachsens. Hätte er damals von sich behauptet, über Wirtschaftskompetenz zu verfügen?

Aber für einen wie Schröder gelten andere Gesetze. Fasst er etwas an, ist es schick. So dozierte er im Interview weiter: „Übrigens kann Schlampigkeit auch im Kleidungsstil außerordentlich kontraproduktiv sein, insbesondere bei SPD-Wählern.“ Zwar betonte er zugleich: „Damit meine ich nicht Frau Nahles, aber das muss man wissen.“ Nein, damit meinte er nicht Nahles, ihr wollte er überhaupt keinen mitgeben, mit dem Interview. Er wollte uns nur wissen lassen, dass in ihm eine neue Leidenschaft für Mode entbrannt ist und er demnächst ein zweimonatiges Redaktionspraktikum bei „Vogue“ beginnt. Man lernt ja nie aus. Als erstes Opfer seiner neugewonnenen Modeexpertise darf wohl Kapuzenpulli-Träger Kevin Kühnert gelten, dessen Stil Schröder als Sozi-inkompatibel geiselte.

Nach Schröder-Interview: Gabriel stichelt gegen Nahles

Klar, dass er dann zufälligerweise Männer erwähnt, die er, unausgesprochen, für die besseren hält: Sigmar Gabriel und Olaf Scholz. Wenig überraschend ferner, dass er für eine Kritik an Nahles ablehnende Worte erntete. Und überhaupt nicht erstaunlich ist, dass wiederum zufälligerweise ein SPD-Politiker aus Schröders Heimat Niedersachsen Schröder mit den Worten beispringt: „Ich glaube, es befremdet die Menschen, wenn die SPD ihr Spitzenpersonal immer wieder hochjubelt und es dann quasi über Nacht fallen lässt“ – damit meinte Landesinnenminister Boris Pistorius den Umgang mit genanntem Gabriel und mit dem anderen ehemaligen Parteivorsitzenden Martin Schulz.

Immer munter druff

Faszinierend, dass Pistorius und Schröder genau tun, was sie selbst kritisieren. Sie greifen nach Nahles, damit sie fallen gelassen wird; ob über Nacht oder etwas länger. Damit sind wir bei der berühmten sozialdemokratischen Selbstzerfleischung. Ich frage mich, ob es in den Parteistatuten einen Paragraphen gibt, der Mitgliedern der SPD vorschreibt, möglichst parteischädigend aufzutreten. Die Genossen jedenfalls nehmen diesen Sport unheimlich ernst. Nur wird das so nichts mit dem Projekt Volkspartei.

Vielleicht sollte jemand wie Schröder beim kleinen ABC allgemeinen Benimms beginnen. Während er nämlich Nahles mit einer Zaunlatte verbal attackiert, lässt er kritische Fragen an sich nicht heran. Erinnern wir uns: Schröder ist Freund Wladimir Putins und wirtschaftlich eng über Posten mit Kreml-Konzernen verbunden. Da glaubt er tatsächlich uns weismachen zu können, dass er Kritik an Putin nicht öffentlich äußern würde, sondern privat – weil sie Freunde seien. Wenn die beiden Freunde sind, sollten ihre Bande durch öffentliche Kritik nicht angespannt werden. Schröder verwechselt Politik mit Privatem und tut so, als engagierte er sich in der Popcornmanufaktur einer kleinen ökologischen Kooperative in Kalifornien. Schließlich gipfelt seine Persönlichkeitsspaltung in den Worten: „Das ist mein Leben, nicht eures.“ Okay, lieber Herr Schröder. Dann äußern Sie doch bitte Ihre Sorgen bezüglich der SPD auch intern.

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