Kommentar: Die Christsozialen zündeln zwei weitere Wochen an Europa

Horst Seehofer und Angela Merkel haben die Eskalation im Asylstreit aufgeschoben aber noch lange nicht abgewendet (Bild: AP Photo/Matthias Schrader)
Horst Seehofer und Angela Merkel haben die Eskalation im Asylstreit aufgeschoben aber noch lange nicht abgewendet (Bild: AP Photo/Matthias Schrader)

Einig sind sich die Spitzen der Unionsparteien nicht. Horst Seehofer geht es darum, die Kanzlerin zur Getriebenen und Bittstellerin zu stilisieren.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Sprache ist ein mieser Verräter. Für die Spitzen der CSU ist es anstrengend, eine Notlage tagein und tagaus zu kommunizieren. Da verhaspelt man sich schon einmal. „Sehr sehr einstimmig beschlossen“ habe der CSU-Parteivorstand, berichtete heute Mittag Parteichef Horst Seehofer, das weitere Vorgehen der Christsozialen mit der angeblichen Notlage, nämlich der an unserer Grenze.

Bisher war ich davon ausgegangen, ein Beschluss könne einstimmig sein oder nicht. Die Steigerung auf sehr sehr einstimmig – ist damit einer der berühmten bulgarischen Chöre gemeint? Jedenfalls haben CDU und CSU heute demonstriert, wie arg sie sich ineinander verhakt haben.

Die CSU, namentlich Parteichef und Bundesinnenminister Seehofer, will Grenzkontrollen einführen und Menschen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, zurückweisen. Die CDU dagegen setzt auf eine europäische Lösung, „wir wollen nicht zulasten Dritter agieren“, sagte Merkel, und: „Unabgestimmte Zurückweisungen könnten zu […] Dominoeffekten führen.“

Nun herrscht an der deutschen Grenze nicht gerade Halligalli. Es laufen keine Mengen irgendwelcher Art von Fliehenden gegen sie an. Nichts, worüber die CSU heute so zetert, hat sie im Koalitionsvertrag vom vergangenen März festgelegt. Doch irgendwann fiel den Christsozialen beim Blick in den Kalender der Oktober auf, in dem bayerische Landtagswahlen stattfinden, und die CSU suchte ein Sommerthema. Nun hat sie es gefunden.

Alarm, Alarm, Alarm

Nun hat die CSU der Kanzlerin ein Ultimatum gestellt, eine Frist von zwei Wochen. Dann findet Ende Juni ein EU-Gipfel statt, an dem Merkel eine gemeinsame Lösung zur Organisation der Fluchtwege und der Aufnahme von Menschen erreichen soll – oder eben bilaterale Abkommen mit einzelnen Ländern. Warum dies ausgerechnet binnen 14 Tagen gelingen soll, kann die CSU inhaltlich nicht begründen, nur mit – dem Oktober. Daher die verräterische Sprache wie von Ministerpräsident Markus Söder, der von der „Mehrheit in der Bevölkerung“ spricht, als habe er mit jedem einzelnen Bürger gesprochen, oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindts Ruf nach „Ordnung an unseren Grenzen“ – als herrschte dort gerade keine.

Die Frist ist eine Frechheit. Die CSU zündelt, indem sie chaotische Zustände beschreibt, die nicht existieren. Und wie wenig Seehofer das Verhandlungsgeschick der Kanzlerin interessiert, dokumentieren seine heutigen Worte, „wir wünschen der Kanzlerin viel Erfolg“, aber bei einem Nichterlangen von wirkmächtigen Ergebnissen müssten Zurückweisungen erfolgen.

Die CSU will Bilder wie derzeit von der französisch-italienischen Grenze. Präsident Emmanuel Macron versteht es zwar über Europa visionär zu reden, seine Grenzpolizisten aber prügeln selbst schwangere Frauen von der Grenze weg. Diese Unmenschlichkeit hat die Italiener in den letzten Tagen erbost, als Macron die neue Regierung in Rom zu Recht wegen der Zurückweisung eines Schiffes mit geretteten Fliehenden kritisierte: Wer im Glashaus sitzt, sollte sich seine Steine gut aussuchen.

Europas Gesicht soll hässlich werden

Diese Unmenschlichkeit wird auch niemals eine Lösung herstellen. Die Fliehenden kommen nach Europa. Und nur weil Deutschland nicht am Mittelmeer liegt, können wir nicht so tun, als könnte die EU den Umgang mit den Fliehenden auf Griechenland und Italien beschränken. Was unternimmt Seehofer eigentlich, wenn der in rechten Angelegenheiten noch versiertere italienische Amtskollege Matteo Salvini Geflüchtete ohne Papiere schlicht zur österreichischen Grenze schickt? Ist er dann telefonisch erreichbar für den angeblichen Rockstar der Konservativen, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz?

Was die CSU anbietet, ist die Verwandlung Europas in eine nationale Ramschtheke. Jeder gegen jeden, und dein Problem ist nicht meines, jedenfalls bei geschlossenen Augen.

Eine Lösung haben CDU und CSU heute nicht gefunden. Sollte Merkel keine durchschlagenden Erfolge bei einer solidarischen statt einer geografischen Verteilung von Geflüchteten erringen, sieht die CSU einen Automatismus zur Zurückweisung. Merkel sieht diesen nicht. Im Zweifelsfall wird sie von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und Seehofer als Innenminister entlassen. Die Christsozialen üben dann für Festspiele über Don Quichote und seinen Ritt gegen die Windmühlen. Ein Trauerspiel.