Kommentar: Die Energiewende scheitert an unserer Scheinheiligkeit

Employees work on a rotor blade of an E-70 wind turbine manufactured by German company Enercon for La Compagnie du Vent (GDF SUEZ Group) during its installation at a wind farm in Meneslies, Picardie region, July 17, 2014. France announced in July a package of tax breaks and low-cost loans to improve insulation in buildings and boost investment in renewable energy, which is supposed to provide 40 percent of the country's electricity by 2030. Picture taken July 17, 2014.  REUTERS/Benoit Tessier   (FRANCE - Tags: ENERGY BUSINESS CONSTRUCTION ENVIRONMENT)
Arbeiter errichten eine Windkraftanlage der Firma Enercon (Bild: REUTERS/Benoit Tessier)

Die Windbranche knickt ein – weil ihr Politik und Bürger in die Knie treten. Zugeben will das aber niemand.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schon interessant, welche Meldungen die Republik in Aufregung stürzen – und welche nicht. Wenn ein Fußballpräsident bei einer Fußball-Fernsehsendung anruft, schreit die Nation auf. Wenn Friedrich Merz seine erwarteten letzten Pfeile gegen die CDU-Spitze schießt, biegen sich die Kommentarspalten. Wenn sich aber mehrere tausend Arbeitsplätze in einer die Umwelt rettenden Zukunftsbranche in Luft auflösen, verharrt sowas an den Rändern unserer Wahrnehmung. Ist ja auch nicht attraktiv. Und es hält uns den Spiegel vor. Denn schuld daran sind wir alle.

Was ist passiert? Enercon baut Windkraftanlagen, aber demnächst 3000 Arbeitsplätze ab, 1500 in Aurich und 1500 in Magdeburg. Die Firma ist Marktführer, gilt als Pionier der Windbranche, baut sozusagen den Rolls Royce unter den Windrädern – und hat keine erkennbaren Fehler gemacht, außer darauf zu vertrauen, dass Vernunft weiterhin in Deutschland Bestand hat.

Der Absatz ist in Deutschland eingebrochen. 2017 hatte Enercon noch 711 Anlagen errichtet, in den ersten zehn Monaten dieses Jahres waren es 65. Es gibt keine Sättigung am Markt, sondern nur eine verunsicherte Investitionslandschaft.

Denn eigentlich wird die Windkraft bitter gebraucht. Bis 2030 soll der Anteil von Ökostrom auf 65 Prozent steigen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres waren es rund 43 Prozent. Da 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht und bis 2038 mit dem Strom aus Kohle Schluss sein soll, ist allen klar: Tempo ist angesagt.

Und mit der Windkraft ging es jahrelang voran. Doch jetzt stockt der Motor, und das liegt an der Politik und an uns Bürgern.

Versagen auf allen Ebenen

Von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kommen nur Lippenbekenntnisse. Seine Partei ist dafür verantwortlich, dass Flaute herrscht.

Seit der Reform der Ökostromförderung kriegen Windparkbetreiber keine festen Vergütungen mehr, sondern müssen sich Auktionen stellen, die Kostensenkungen verlangen. Und die meisten Ausschreibungen haben Bürgerwindparks gewonnen, die aber in der Regelwut beim Genehmigungsprozess untergehen und daher keine Aufträge erteilen.

Den weiteren Stoß versetzt ausgerechnet das aktuelle Klimapaket der Bundesregierung: In weniger als 1000 Metern Entfernung zu Wohnorten soll kein neues Windrad entstehen – angeblich um die Akzeptanz zu erhöhen, in Wirklichkeit aber eine neue Hürde.

Wir wollen sauberen Strom. Aber unsere komplizierte Bürokratie wollen wir auch. Und die Marktliberalen wollen die weitere Entwicklung bitteren Preiskämpfen überlassen, während die Bürger Umweltschutz dufte finden, solange er nicht vor der eigenen Haustür stattfindet.

Es ist eine Schande.

Zur Bürokratie: Die Regelitis unserer Behörden ist übertrieben. Sie hemmt eine gesunde und gute Entwicklung.

Zur Marktwirtschaft: Eine neue Branche muss gehegt und gepflegt werden, vor allem, wenn sie die Umwelt schützt und Zukunftstechnologie vorantreibt. Schon einmal wurde in Deutschland solch ein Trend abgewürgt, als die Photovoltaik groß startete und dann von der Politik im Stich gelassen wurde; seitdem beziehen wir unsere Sonnendächer aus China, wo man schlauer war und die Photovoltaik massiv förderte.

Zum Bürger: Die zahllosen „Bürgerinitiativen“, die mit ihrer Klagewut viele Windkraftanlagen verhindern, sollten sich schämen. Eine vermeintliche Ästhetik anzuführen, ist lächerlich. Die Firma Enercon begann in Ostfriesland in einer Garage in Aurich, ganz klein, wie einst Bill Gates. Mittlerweile gibt es kaum eine Region, die mit Windkraftanlagen ähnlich zugepflastert ist, wie Ostfriesland. Interessanterweise hört man dort kaum Klagen. Man gewöhnt sich an die Dinger. Sie schaden nicht. Sie sind da und produzieren sauberen Strom. Und dass Vögel und Insekten vermehrt sterben, liegt weniger an Windrädern als an vielen anderen Gründen.

Die Misere könnte vermieden werden

Aurich zahlt nun die Zeche für die dreifach geballte Fehlleistung aus Bürokratie, Marktgläubigkeit und Bürgerignoranz: Die Stadt hat 41.000 Einwohner und erlebte in den vergangenen Jahrzehnten die Renaissance des Industriearbeiters. Enercon war ein einziger Jobmotor. Der Wegfall von 1500 Arbeitsplätzen bedeutet für die Stadt einen Alptraum.

Es ist einer, der vermieden werden könnte. Allein die Kohleindustrie verputzt Hilfsgelder in unvorstellbarer Menge. Der Ausstieg pimpert noch einmal Milliarden ins System. Deutschland war einmal bei Windkraft Weltklasse. Aber wir tun uns schwer Gutes zu tun. Leider wird Dummheit bestraft. Aber reden wir lieber über Uli Hoeneß und Friedrich Merz.