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Kommentar: Die Essener Tafel verliert den Durchblick

Warteschlange vor der Essener Tafel (Bild: dpa)
Warteschlange vor der Essener Tafel (Bild: dpa)

Vorübergehend nimmt die Tafel in Essen nur noch deutsche Neukunden auf – diese Rücksichtnahme offenbart nur eigene Fehler.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Tafeln in Deutschland verteilen Essen an Bedürftige. Wer diese Hilfe braucht, ist klar umrissen: Wer Hartz IV, Wohngeld oder Grundsicherung bezieht, ist willkommen bei einem Essen, welches unsere Wohlstandsgesellschaft aus den Supermärkten und Restaurants im Überfluss bereitstellt.

Doch nun gibt es bei einer Ärger. In Essen hat man sich zu einem radikalen Schritt entschlossen: Nur Inhaber eines deutschen Personalausweises werden derzeit neu aufgenommen – weil zwischenzeitlich 75 Prozent der Nutzer Nicht-Deutsche waren, oder wie es der Vereinsvorsitzende der karitativen Einrichtung sagt: “Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiterhin zu uns kommt.” Die Aussperrung solle solange andauern, “bis die Waage wieder ausgeglichen ist”.

Da läuft etwas mächtig schief in Essen. Ursprünglich waren die Tafeln für Obdachlose gedacht, eben eine Hilfe für die Ärmsten. Doch es machte Sinn, den Kreis zu weiten, es gibt ja dieses übrig bleibende Essen. Nur ist es nicht so, dass in Essen die deutsche Oma nicht mehr zum Zuge kommt, weil das Essen nicht reicht, weil sich andere ihr in den Weg stellen – sie kommt nicht mehr.

Fürsorge ist unteilbar

Die Mitarbeiter der Tafel haben Betroffene gefragt und erfahren, dass sich gerade ältere Nutzerinnen von der Vielzahl junger, fremdsprachiger Männer an den Ausgabestellen abgeschreckt gefühlt hätten. Nach Ansicht des Vereinsvorsitzenden liegt das auch am „mangelnden Respekt gegenüber Frauen“ einiger der Männer. „Wenn wir morgens die Tür aufgeschlossen haben, gab es Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange.“

Wenn Bedürftige wegbleiben, weil sie sich unwohl fühlen, ist dies ein Problem. Die Leute von der Tafel tun gut daran, sich um sie zu kümmern. Aber lässt sich Fürsorge teilen? Ist Verwehren eine Lösung?

Ich frage mich, was ein Jesus aus Nazareth in Essen getan hätte, der kannte sich aus, einmal schnipste er eine Vermehrung von Brot und Fischen her und sorgte für die Speisung tausender am See Genezareth. Dass die Jünger bei diesem Ereignis getrennte Schlangen organisiert oder gewisse Gruppen aussortiert hätten, ist in den Evangelien nicht überliefert. Und Waagen hatten sie auch keine dabei.

Der “deutschen Oma” ist gewiss kein Vorwurf zu machen, dass sie sich im Beisein junger, fremd aussehender Männer unwohl fühlt. Diesen Leuten aber auch nicht. Auch sie sind bedürftig, denn die Tafeln steuern sie an, seitdem sie nicht mehr in den Unterkünften hausen – daher gehen all die Zornausbrüche und Omisolidarisierungen in den Sozialen Medien, die derzeit zu bestaunen sind, von falschen Annahmen aus. “Das ist konsequent”, grüßt stellvertretend für diese missgünstige Fraktion die selbst ernannte Rächerin der Enterbten namens Erika Steinbach, “denn die Migranten werden vom deutschen Staat voll versorgt”.

Auch Rentner und Sozialhilfeempfänger sind voll versorgt

Steinbach irrt. Diese Menschen, welche die Tafel ansteuern, haben ein Anrecht darauf, sie sind so arm wie die “deutsche Oma”. Ich denke, Jesus hätte an einer Lösung gebastelt, die alle einschließt. Es gibt Geschubse und Gedrängel? Sollen die Tafel-Jünger dafür sorgen, dass es aufhört. Ältere Menschen fühlen sich eingeschüchtert? Sollen die Tafel-Jünger sich um sie scharen, sie besonders willkommen heißen. Mit einem echten inklusiven Ansatz könnten die Tafel-Jünger in Essen einen echten Mehrwert schaffen, indem sie deutsche Senioren und junge Geflüchtete zusammenbringen – die können viel voneinander lernen; schließlich dürfte es sich herumgesprochen haben, dass es sich bei den seit 2015 nach Deutschland Geflüchteten um keine kulturlosen Horden handelt.

Der Tafel in Essen ist keine böse Absicht zu unterstellen, aber gut gedacht bleibt schlecht gemacht. Sie spielt Bedürftige unbewusst gegeneinander aus – dabei ist es im Gegenteil eine Solidarisierung untereinander, die ihnen hilft. Und die Essener Tafel liefert Futter für all jene, die das Netz speisen mit Lügengeschichten darüber, wie viel Geld Geflüchtete vom Staat erhalten haben, während der brave deutsche Michel angeblich leer ausgeht. Stattdessen ist wahr: Kein einziger Mensch in Deutschland kriegt, seitdem Geflüchtete zu uns gekommen sind, weniger Zuwendung.

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