Kommentar: Die rechte Versuchung der Grünen

Cem Özdemir bricht ein Tabu der Grünen – das ist vielleicht ganz gut so (Bild: dpa)
Cem Özdemir bricht ein Tabu der Grünen – das ist vielleicht ganz gut so (Bild: dpa)

Gutmenschen machen sowas nicht: schlecht über Ausländer reden. Oder doch? Die Grünen lernen gerade neue Worte. Manchem gelingt der Zungenschlag recht schnell.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt zwei Legenden, an denen mancher Volksversteher festhält wie die Kirsche im Schokomantel bei Mon Chéri: Da ist die Beschwörung, dass Gewalt von Geflüchteten in Deutschland abendlandvernichtende Dimensionen annimmt und andererseits die Behauptung, dass dies verschwiegen wird.

An dieser Stelle darf ich protzig ein Eigenlob an die Presse an und für sich aussprechen: Für uns Journalisten gilt dies nicht. Generell haben Medien kriminelle Handlungen von Geflüchteten überhaupt nicht verschwiegen, viel eher sogar den ethnischen Hintergrund eines Täters genannt, wo er nicht angebracht war; und Medien sind, wie alle, nicht verschont worden von der Verschiebung dessen, „was man jetzt halt so sagt“, also an menschenunwürdigem Zeug. Letztlich haben die großen Verlage, ob rechts oder links, ehrlich über Gewaltausmaße berichtet, die Statistiken eingeordnet.

Ein wenig angesprochen müssen sich indes einige Parteipolitiker fühlen, die vielleicht doch lieber in einer Art heilen Welt leben und gewisse Probleme nur ungern ansprechen. Doch nur, weil es einen unheimlich starken rassistischen Unterton in den Gesprächen über Geflüchtete gibt, darf es nicht heißen: „Gewalt“ und „Ausländer“, das nehme man besser nicht gemeinsam in den Mund.

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Grünen-Chef Cem Özdemir hat nun eine Art Befreiungsschlag versucht, und er ist ihm letztlich gelungen. Im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS), sagte er: „Es gibt manchmal einen Reflex in unserer Partei, die Realität nicht genau wahrzunehmen.” Er meinte dies mit Blick auf eine neue Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums, es ging um, natürlich: Gewalt und Geflüchtete. Özdemir meinte, auch die Grünen könnten die in der aktuellen Studie festgestellte Kriminalität von Migranten, vor allem die von jungen Nordafrikanern, „nicht wegdiskutieren”. Mehr noch: Özdemir zufolge habe seine südamerikanische Ehefrau mit „solchen Jugendlichen unangenehme Erfahrungen in der U-Bahn in Kreuzberg” gemacht.

Wir müssen reden

Nun stellt sich mancher bei den Grünen die Frage: Durfte Cem das so sagen? Ja, er sollte es sogar. Özdemir ist ein Zeitgenosse mit feinem Gespür für Rassismen im Land. Unangenehme Erfahrungen gibt es zwar viele, zum Beispiel Günther Jauch im Fernsehen zuschauen, die Lindnerisierung der FDP oder die Gesichtslosigkeit neuer Autokarosserien; manches davon ist berichtenswert, das meiste weniger.

Über unangenehme Erfahrungen mit jungen Kerlen in der U-Bahn kann schon öffentlich erzählt werden, solange nicht überzeichnet wird, denn, wie es diese aktuelle Studie auf den Punkt bringt: Geflüchtete, die aus überwiegend muslimischen Ländern stammen, welche von männlicher Dominanz geprägt sind, „haben sogenannte gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen in weit höherem Maß verinnerlicht als gleichaltrige Deutsche oder in Deutschland geborene Jugendliche, die aus diesen Ländern stammen.”

Dieser Punkt ist enorm wichtig, man kann an ihm ansetzen und daran arbeiten. Einstellungen können sich ändern, sie ändern sich täglich.

Nun wird spannend, wer bei den Grünen wie auf Özdemirs Äußerungen reagiert, schließlich sagte der griffig: „Wer hier keine Bleibeperspektive hat, muss das Land so schnell wie möglich verlassen”.

Ich bin mir sicher, dass Özdemir keinen grünen Shitstorm erleiden wird. Vielmehr wird man ihm zustimmen. Und die Grünen sind zwar jene Partei, die sich am wenigsten anfällig an der rassistischen Flanke zeigt. Aber gerade deswegen lockt hier die rechte Versuchung umso mehr. Schließlich ist die Klientel der Grünen bürgerlich und vor allem dann tolerant, wenn es sie konkret nicht angeht. Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer ist nur das Paradebeispiel dafür, wie schnell der Zungenschlag unheimlich werden kann.

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Das Zauberwort der Stunde ist dabei jenes der „Einordnung“. Studien und Zahlen sind wichtig, sie dienen der Orientierung. Sie sind sachlich statt heißspornig. Daher hier die neuen Zahlen aus dem Bundesfamilienministerium:

Ein Bundesland wurde untersucht, und zwar Niedersachsen. Seit 2014 haben die Gewalttaten dort zugenommen, wobei bei jeder achten angezeigten Geflüchtete beteiligt waren – was weit über ihrem Anteil an der Bevölkerung liegt. Die Forscher erklären die Zahlen mit verschiedenen Hinweisen: Die Anzahl der Geflüchteten hat in diesem Zeitraum zugenommen – deshalb auch ein höherer Anteil. Es handelt sich um viele junge Männer – die sind weltweit, auch Deutsche in Deutschland, bei Gewalttaten am auffälligsten. Gewalttaten von Geflüchteten werden auch viel eher angezeigt als jene von Deutschen.

Die Zahlen sprechen auch

Die Forscher fanden ebenfalls heraus, dass vor Kriegen fliehende Menschen, die für sich in Deutschland auch eine Bleibeperspektive sehen, also zum Beispiel Syrer, Iraker und Afghanen, viel weniger mit Gewalttaten auffallen als zum Beispiel Menschen aus Algerien oder Marokko, deren Status äußerst unsicher ist. Auch zu erwähnen sind die Opfer: Bei Gewalttaten durch Geflüchtete sind die Opfer zu einem Drittel Deutsche – der Großteil dieser Taten spielt sich also untereinander ab; was diese überhaupt nicht relativiert.

Mit diesen Erkenntnissen lässt sich gut arbeiten. Bleibeperspektiven und intensivere sowie strengere Begleitung von minderjährigen Jungen sind hier echte Ansätze zur Hilfe. Sowas können sich die Grünen nun vornehmen. Der Schaum vorm Mund, der andere Parteien bei diesem Thema zuweilen befällt, ist ihnen ein mahnendes Beispiel.