Kommentar: Die Rede, die Donald Trump niemals halten wird

John F. Kennedy begeisterte mit seiner Rede Tausende Westberliner (AP Photo/File)
John F. Kennedy begeisterte mit seiner Rede Tausende Westberliner (AP Photo/File)

Vor genau 55 Jahren hielt US-Präsident John F. Kennedy seine berühmte Berlin-Rede. In ihr preist er, was Trump heute verachtet.

Ein Kommentar von Jan Rübel

In Zeiten Donald Trumps macht es Sinn, nach jenem Amerika zu schauen, das es einmal gab und das bis heute existiert, trotz dieses Grobians im Weißen Haus. Dieses Amerika empfindet Freiheit nicht als Trumpf zum Verdrängen anderer, sondern als positiven Wert voller Vertrauen.

Bei Trump gibt es nur das Vertrauen in den nächsten moralischen Fehltritt, der da kommen mag. John F. Kennedy, der am 26. Juni 1963, also vor genau 55 Jahren, Berlin besuchte, hauchte damals Tausenden dieses Grundvertrauen in sich selbst ein.

Der damalige US-Präsident besuchte damals „Berlin“, wie er sagte, war aber nur in West-Berlin. Vom Osten sah er nur Stacheldraht und Mauer. Dann, vor dem Schöneberger Rathaus, hielt er eine neunminütige Rede, welche ins Mark ging.

„Ein Leben in Freiheit ist nicht leicht, und die Demokratie ist nicht vollkommen“, rief er vor Tausenden. „Aber wir hatten es nie nötig, eine Mauer aufzubauen, um unsere Leute bei uns zu halten und sie daran zu hindern, woanders hinzugehen.“ Kennedy formulierte zwei Ziele, nämlich Freiheit und Demokratie. Wann sprach Trump das letzte Mal über Demokratie? Der jetzige Präsident nimmt sie bestenfalls als gegeben hin, schlimmstenfalls empfindet er sie als lästiges Beiwerk zu seinem chaotischen Regieren, gemeinsam mit all seinen autokratischen Buddys weltweit.

Wer will schon eine Mauer?

Kennedys Fokus lag auf der Mauer. „Durch die Mauer werden Familien getrennt, der Mann von der Frau, der Bruder von der Schwester, und Menschen werden mit Gewalt auseinandergehalten, die zusammen leben wollen.“ Natürlich lässt sich die Mauer der DDR nie und nimmer mit der geplanten zu Mexiko hin vergleichen. Aber kein Kennedy würde auf die Idee kommen, eine Grenzsicherung à la Trump zu betreiben. Kein Kennedy würde reden wie Horst Seehofer, Sebastian Kurz oder Matteo Salvini. Er würde über die drei müde den Kopf schütteln.

Kennedy demonstrierte damals, was den freien Westen ausmachte: Das Vertrauen in sich selbst, in die Zusammenarbeit und Versöhnung, weil die eigene Stärke mit der ihr zu Grunde liegenden Freiheit ansteckend wirkt. Kennedy behielt Recht. Das politische System Moskaus fiel.

Kennedys Rede vor den Massen brauchte keine Versprechungen, wie die, vor denen Trumps Reden nur so strotzen. Er hielt eine Rede voller Mitgefühl und Solidarität mit einer damals eingeschlossenen Stadt. Er hielt die Hand hin. Und er sprach nicht von einem „Deal“. Ein Trump der Sechziger Jahre wäre womöglich nach Moskau gefahren, hätte mit Nikita Chruschtschow ordentlich in der Sauna geschwitzt und dann die Berliner Mauer als solides Bauwerk braver Leute gelobt, nur ein paar Hotels entlang der Route hätte er ihnen vielleicht noch empfohlen. Kennedys Rede gipfelte im Emphatischen: „Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner.“

Während Kennedy gegen Mauern anredete, will Trump Neue bauen lassen (Bild: AP Photo/Evan Vucci)
Während Kennedy gegen Mauern anredete, will Trump Neue bauen lassen (Bild: AP Photo/Evan Vucci)

Als Notiz am Rande, sozusagen aus dem Reich der Fake News, kann nur an das Gerücht erinnert werden, welches viele Jahre später aufkam, nämlich dass die Berliner Kennedys „Ich bin ein Berliner“ als „Ich bin ein Berliner Pfannkuchen“ missverstanden und daher herzlich gelacht hätten. Natürlich war dem nicht so. Für die Berliner ist jenes Spritzgebäck, welches in Deutschland unter „Berliner“ firmiert, lediglich ein „Pfannkuchen“, niemals ein „Berliner“, nicht einmal ein „Berliner Pfannkuchen“. Gelacht hatte auch keiner. Aber die Sage kam womöglich auf, weil die seriöse New York Times diese fiktive Anekdote bei der Rezension eines Romans falsch auffasste und den Ausgangspunkt für diese Fake News bildete; in diesem Fall aber eine harmlose, im Vergleich zu dem Zeug, das heute kursiert.

Die wahre Kraft ist sanft

Kennedy sprach in seiner Rede von seiner Hoffnung auf ein geeintes Europa als „Bestandteil eines friedvollen und zu höchsten Hoffnungen berechtigten Erdteiles“. Von ihm kam kein „America First“, sondern ein Freedom First. Auch suchte er 1963 schon längst nicht mehr die kriegerische Konfrontation mit der UdSSR, sondern formulierte seine Entspannungspolitik. Denn vor 55 Jahren hielt er in Berlin noch eine zweite Rede, und zwar vor der Freien Universität (FU). Darin feierte Kennedy die Freiheit – total: als Menschenrecht für jeden Menschen, als Demokratie für die Gesellschaft, als Marktwirtschaft und als Selbstbestimmungsrecht für die Nationen. Das System der UdSSR sollte nicht in die Knie gezwungen werden, sondern im Wettstreit mit dem Westen seine eigene Unterlegenheit auf vielen Ebenen anerkennen. Kennedy setzte auf Abrüstung, auf mehr Kommunikation zwischen Ost und West und auf mehr Handel. Trump entscheidet sich heute in all diesen Punkten für das Gegenteil.

Kennedy wird bis heute verehrt. Trump nicht gerade. Das sollten manche Politiker, auch in Deutschland, sich zu Herzen nehmen, bevor sie ernstlich darüber nachdenken, sich Trump zum Vorbild zu nehmen und sich damit zum Horst zu machen.