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Kommentar: Die Regierung kapituliert vor der Müdigkeit

Zeigt die Bundesregierung Verschleiß beim Corona-Management? (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Zeigt die Bundesregierung Verschleiß beim Corona-Management? (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Nun gibt es einen Lockerungsplan, weil es ihn geben sollte. Mit Vernunft hat das wenig zu tun. Aber so sind wir halt. Nur das Schimpfen auf die Politik sollten wir uns verkneifen: Wir sind selber schuld.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine billige Nummer wird heute gegeben. Kaum hat die Politik einen Fahrplan für eine Art Rückkehr zur Normalität fabriziert, wird er ihr wieder zerrissen – und zwar von jenen, die ihn am lautesten gefordert haben.

Nun ist die Sache kompliziert. Dass in der einen Stadt der Gartencenter öffnet, aber in der Nachbarstadt nicht, erschließt sich auf dem ersten Blick nicht. Der Fahrplan erinnert in seiner Kleinteiligkeit an den des Kölner Hauptbahnhofs – die wichtigen Details sind im Kleingedruckten.

Aber so ist das im Föderalismus, da muss viel miteinander gerungen werden, die Regionen verlangen ihr Mitspracherecht. Und letztlich sind wir damit besser gefahren als viele andere Länder – das mag angesichts der immensen Corona-Toten hierzulande zynisch klingen, ist es aber nicht. Denn trotz des Geschwafels von einer Corona-Diktatur hat gerade der Föderalismus dafür gesorgt, dass viele demokratische Ebenen bei der Politik überzeugt werden mussten. Das stärkt die Demokratie und den Zusammenhalt. Immer noch.

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Letztlich kapitulierte die Politik vor dem allgemeinen Verdruss. Normalität ist unsere größte Sehnsucht. Irgendeine Öffnung sollte her. Bei nicht wenigen liegen auch die Nerven zurecht blank: Jedes Nervenkostüm ist unterschiedlich, und die Umstände sind es auch. Der Startup-Nerd verbringt den Lockdown vom Homeofficesofa aus anders als der Gastronom, der seine Rechnungen zu schultern sucht.

Ein klassischer Kompromiss

Da drängt sich zwar die Frage nach dem Sinn dieses Öffnungsplans auf, denn für ihn mussten die als offiziell erträglich deklarierten Inzidenzwerte ordentlich nach oben hin frisiert werden. Warum soll jetzt riskierbar sein, was vorher verdammt wurde? Ja, wir nehmen dadurch Opfer in Kauf. Es ist eine Wette der Gemeinschaft gegen Einzelne, die noch nicht wissen, dass sie deswegen ins Gras beißen werden. Das ist nicht normal. Aber normal ist vieles nicht mehr im Schatten von Corona.

All dies speiste die Politik nun in ihre Kalkulationen ein, heraus kam dieser Kompromissfahrplan. Doch die Aufgeregtheit nimmt derzeit nicht ab, als gebe es eine Lust, jemandem jetzt vor den Wagen zu fahren – ganz einfach, weil man ihm lange genug gefolgt ist, wenn auch völlig überzeugt. Und um noch eine weitere Platitude zu bemühen: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Das kriegt gerade die Politik aufs Brot geschmiert.

Hip und Hop

Um nur zwei Extreme aus dem deutschen Journalismus zu nennen, hier auf der einen Seite das eher rechte, sich reißerisch gebende Boulevardblatt „Bild“ und auf der anderen Seite das eher linke, sich seriös-überlegend zeigende Nachrichtenmagazin „Spiegel“: Beide prügeln, auf ihre Art, auf die Regierenden ein. „Bild“ gießt zwar gerade in alles Brennende sein Benzin, denn daraus zieht die Zeitung ihre Energie. Bei Corona aber geht es gerade richtig ab – „Das Corona-Versagen der Regierung“, „Hausärzte gehen auf Regierung los“, „Impftrödelei“, „Damit‘s endlich vorwärts geht: Konzerne wollen ihre Mitarbeiter selber impfen. Sie könnten Millionen immunisieren – aber Regierung besteht auf Impfreihenfolge“ – das sind die Titel eines Tages. Immer diese böse, böse Regierung, heißt die Botschaft.

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So platt geht der „Spiegel“ nicht vor. Er bemüht mehr die Hobbypsychologie. In der „Lage am Morgen“ wünscht sich der Autor eine „frische, tatkräftige Regierung“. Und hätte die Bundesrepublik „zugleich das Glück, eine umtriebige, ambitionierte, hellwache politische Führung zu haben, sähe die Situation jetzt rosiger aus.“ Merke: Merkel & Co haben’s verschlafen. Meint der das ernst? Natürlich schreit die Lage nach einer Fehleranalyse. Aber hier verwechselt man das „was“ mit dem „wie“. Kein einziger Makel wird sich festmachen lassen an Adjektiven wie müde oder wach, umtriebig oder phlegmatisch, ambitioniert oder ehrgeizlos. Die Probleme liegen in der Komplexität: am Föderalismus, an Wesenseigenschaften der EU-Kommission, in den persönlich-strategischen Motiven Einzelner. Wo ist das Land in Europa, in dem es eindeutig besser klappt mit dem Corona-Management? Überall herrscht ein Stück weit Ratlosigkeit. Dies sich eingestehen, wäre auch eine Aufgabe für den Journalismus. Aber nun erstmal ab in den Frühling. Oder sowas in der Art. Nützt ja nichts.

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