Werbung

Kommentar: Die SPD hat ausgeschulzt

Martin Schulz wirkte auf dem SPD-Parteitag nicht nur gesundheitlich angeschlagen (Bild: AP Photo/Michael Probst)
Martin Schulz wirkte auf dem SPD-Parteitag nicht nur gesundheitlich angeschlagen (Bild: AP Photo/Michael Probst)

Ein knappes Votum für Koalitionsverhandlungen, ein schwächelnder Vorsitzender – die Sozialdemokraten müssen nachdenken, und zwar über die Zeit nach Martin Schulz.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das Tragische an diesen Zeiten für die SPD sieht man allein daran, dass es keine stimmige Story über sie gibt, sondern einen Chor an widerstreitenden Stimmen. Für die einen Beobachter ist das Votum des Parteitags zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen eine Entscheidung für das Land und gegen die Partei, für die anderen aber andersrum. Für die einen ist eine Große Koalition eine Ausnahme, das unvermeidliche Übel, für die anderen ein gefühlter Dauerzustand.

Und für die SPD, mittendrin, bleibt die Erkenntnis, dass nichts davon eigentlich stimmt, oder: Erst hatten die Sozialdemokraten kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.

Die Angst vor der Verzwergung ist längst da. Manche sozialdemokratische Partei in Europa hat es schon erwischt. Zwar sind die Zeiten volatil, und jede geschrumpfte Partei kann wenig später wie Phönix aus der Asche steigen – aber die SPD als wahrhaft historische Volkspartei muss sich fragen, wo sie steht, wie sie ihren urtümlichen Antrieb aus Gerechtigkeit und Menschlichkeit ins 21. Jahrhundert hinein übersetzen kann: Wie sehen Arbeiterrechte im Schatten von Digitalisierung aus, wer sind alles die Arbeiter? Es wird auch in 30 Jahren noch viele geben, nur andere. Sie wären Wähler einer SPD. Doch dafür muss sie sich neu aufstellen.

Eine Karawane ohne Schulz?

Derzeit fehlt der Partei die Fortune. Ihrem Vorsitzenden Martin Schulz wird jede Unbill angehängt, auch das schlechte Wetter. Dass sein Schwenk von einem strikten Nein zur Großen Koalition hin zu einem beherzten Ja als Umfallerei ausgelegt wird, ist ungerecht: Für jede dieser beiden Meinungen gab es eine Zeit und jeweils mehr Gründe dafür als dagegen, aber einen beißen halt die Hunde. Schulz hat nun nicht mehr viel Zeit.

Auf dem Parteitag kämpfte er mit einer schweren Erkältung, war geschwächt. Dass seine Rede, die alles entscheidende, inhaltlich vor Visionen nicht gerade strotzte, lag indes an keinem Virus. Schulz zeigt in den kommenden Wochen, dass er der Erneuerer der SPD sein kann, oder er tritt ab. Völlig egal dabei ist, ob die SPD in eine Koalition eintritt oder die Opposition wählt. Die Übersetzung für das 21. Jahrhundert kennt derlei Begriffe nicht.

Ob Martin Schulz noch lange mit Andrea Nahles und Malu Dreyer in der ersten Reihe sitzen darf? (Bild: AP Photo/Michael Probst)
Ob Martin Schulz noch lange mit Andrea Nahles und Malu Dreyer in der ersten Reihe sitzen darf? (Bild: AP Photo/Michael Probst)

Im Gegensatz zu Schulz dokumentierten drei Frauen, dass sie gewiss die SPD führen könnten. Andrea Nahles, Malu Dreyer und Manuela Schwesig zeigten nicht nur die Schulzsche Authentizität, sondern darüber hinaus Orientierung und Perspektive. Warum übernimmt dieses Trio nicht ganz die Partei?

Zeit für eine Frisur

Männer hatten bei der alten Tante SPD lange genug das Sagen. Manche von ihnen kamen aus dem Schwafeln gar nicht mehr heraus. Bei der SPD muss mancher Zopf und Bart ab, nichts würde der Partei mehr helfen als von diesem Trio angeschoben zu werden. Alle drei können SPD. Alle drei können aber auch unabhängig von der Partei auftreten, jede Konzernzentrale, jede Arbeiterkneipe, die Großraumbüros und Latte-Läden sind ihnen wie angestammt. Und von ihnen kann erwartet werden, dass ihnen das intellektuelle Format für die Übersetzungsarbeit nicht fehlt. Bei Schulz bleiben noch immer Zweifel.

Video: Schwierige Koalitionsverhandlungen voraus