Kommentar: Die Unionswunden sind der Phantomschmerz des Sommers

Horst Seehofer und Angela Merkel haben ihren Streit beigelegt (AP Photo/Markus Schreiber)
Horst Seehofer und Angela Merkel haben ihren Streit beigelegt (AP Photo/Markus Schreiber)

CDU und CSU haben sich wieder lieb. Worüber stritt man nochmal? Bald wird davon nur eine kühle Erinnerung bleiben.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Gestern am späten Abend war es dann soweit. Horst Seehofer fand, wie von uns vorhergesagt, vom Baum herunter. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) reichte dem CSU-Vorsitzenden die Hand, vielleicht sprang er auch in ein Tuch, man weiß es nicht. Jedenfalls noch vor Mitternacht lächelte Seehofer wieder sein gewohntes Spitzbubenlächeln, als sei nichts gewesen. Und vielleicht hat er damit recht.

Viele werden nun einwenden: Nach diesem bitterbösen Streit zwischen CDU und CSU werde nichts mehr so sein, wie es war. Die Gräben blieben aufgerissen, die Wunden würden sich kaum schließen und was es sonst noch an brauchbaren Bildern gibt.

Ich finde: Deutschland hat genug Zeit damit verbracht, einem sinnlosen Zank zuzuschauen. Politik wird woanders gemacht, nicht bei Unionskabalen. Die Kompromissformel, welche nun alle Hähne wieder an einen Tisch brachte, ist so weich und derart folgenlos in der Praxis, dass Historiker enorme Schwierigkeiten haben werden, diesen komischen Sommer 2018 der Nachwelt halbwegs zu erklären. Worum ging es? Vergessen wir’s.

Zurück zur Tagesordnung

Eigentlich wollte ich heute auch nicht über die CSU schreiben. Ich fragte ein kleines Mädchen, worüber. Es meinte, es sei an der Zeit, über die wirklich wichtigen Themen zu schreiben, nämlich über Kreidezähne. Kinder würden zu viele Süßigkeiten essen, sagte es, und dann würden ihre Zähne zu Kreide und würden bei knackigen Äpfeln ausfallen. Dieser Einwand erschien mir durchaus wichtig. Ich glaube, der CSU sind in der vergangenen Nacht auch Kreidezähne erwachsen, aber dramatisch schlimm finde ich sie, diesmal, nicht.

Wenden wir uns also noch einmal der CSU im Allgemeinen und Seehofer im Speziellen zu. Wird die Republik ob dieses Streits um Zurückweisung von Geflüchteten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert waren, also um geschätzt einen am Tag, an den drei Grenzübergängen nach Österreich, nachhaltig erschüttert sein? Ich habe meine Zweifel.

Unsere Zeiten sind schnelllebig geworden. Aufregungen entstehen so rasch wie sie vaporisieren. Einem Blick unterm Brennglas weicht vieles geschickt aus, jedenfalls die gefühlten Fakten; deren Gaszustand ist allzu leicht erreicht. Die Frage ist also, ob die miesen Ausdrücke zwischen Seehofer und Merkel sich ähnlich in Luft auflösen werden.

Das Finale war gestern. “Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist”, tönte Seehofer, kurz bevor er Merkel traf. Da steckte alles drin. Erstens gewann Merkel die Bundestagswahl nicht wegen Seehofer, sondern wegen eines im Vergleich stärkeren Ergebnisses der CSU, und die Christsozialen sind kein Ein-Mann-Betrieb. Zweitens wünscht sich Seehofer genau Jenes derart stark, dass er die Hierarchien vergisst. Drittens tat er natürlich nur so, als habe er dies vergessen und entschied folgerichtig dafür zu sorgen, dass Merkel ihn nicht entlässt. Er gab klein bei. Kreidezähne.

Was wirklich weh tut

Schäden? Ziehen wir, wie gestern, die Lektüre des Kinderbuchklassikers “Pu der Bär” zu Rate, welche übrigens auch Erwachsenen nicht schadet, im Gegenteil. Gestern erfuhren wir, wie Tieger Seehofer rasch einen Baum erklomm, aber nicht mehr herunterkam, weil der Schwanz im Wege war. Dumm gelaufen. Heute können wir dem vierten Kapitel entnehmen, wie Esel I-Ah einen Schwanz verlor und Pu ihn wiederfand.

“Und wie geht es dir?”, sagte Winni-der-Pu.
I-Ah schüttelte den Kopf von einer Seite zur anderen.
“Nicht sehr wie”, sagte er. “Mir scheint es schon seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr gegangen zu sein.”
“Meine Güte”, sagte Pu, “das tut mir aber Leid. Lass dich mal anschauen.”
So stand I-Ah da, starrte traurig den Boden an und Winnie-der-Pu ging einmal um ihn herum.
“Was ist denn mit deinem Schwanz passiert?”, sagte er überrascht.
“Was ist denn mit ihm passiert?”, sagte I-Ah.
“Er ist nicht da!”
“Bist du sicher?”
“Also, entweder ist ein Schwanz da oder er ist nicht da. Da kann man keinen Fehler machen, und deiner ist nicht da!”

Pu beschließt kurzerhand, für I-Ah den Schwanz zu suchen und siehe da, er findet ihn bei Eule, zum Klingelzug umfunktioniert. Christopher Robin nagelt ihn wieder an seinem richtigen Platz fest, und Esel ist glücklich.

Wir lernen daraus, dass I-Ah durch den Verlust seines Schwanzes traurig geworden war, er aber keine starken Schmerzen erlitt. Es gab eine Lösung. Und am Ende war es, wie es vorher war. Genauso wird es der CSU ergehen. Die Leiden werden sich als Phantomschmerzen erweisen.

Ein paar Federn werden die Christsozialen durch dieses allzu heftige Voltenschlagen bei den Landtagswahlen im Oktober verlieren. Aber der Fall von der Hühnerleiter ist abgewendet. Die AfD wird nicht zu einem Höhenflug ansetzen und im Oktober wird man sich darüber erzählen, wie komisch heiß dieser Sommer war. Und sonst nichts.