Kommentar: Die wahren Taten Christian Lindners für die Ukraine

Bundesfinanzminister Christian Lindner. (Bild: Thomas Trutschel/Photothek via Getty Images)
Bundesfinanzminister Christian Lindner. (Bild: Thomas Trutschel/Photothek via Getty Images)

Ein Kommentar von Tobias Huch

Zu Unrecht geriet dieser Tage Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in die Kritik - wegen vermeintlich empathieloser Bemerkungen und angeblicher zynischer Untätigkeit gegenüber den schrecklichen Geschehnissen in der Ukraine. Hintergrund war ein am 26. März in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” erschienener Artikel, in dem der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, eine fragwürdige Einschätzung zur Haltung der deutschen Bundesregierung und einzelner Regierungsmitglieder zum Angriffskrieg Putins auf die Ukraine abgegeben hatte.

Worum ging es?

Melnyk bezog sich auf eine Begegnung mit Lindner und hochrangigen Vertretern des Finanzministeriums am Donnerstag, den 24. Februar – dem Tag der russischen Invasion in der Ukraine. Lindner hatte dabei, in vertraulichem Rahmen, gegenüber Melnyk ein Telefonat zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj erwähnt, in dem letzterer zu Nehammer resigniert gesagt habe, er melde sich aus einem Land, von dem er nicht mehr wisse, wie lange es noch bestehe. Lindner zitierte diese Äußerung lediglich – ohne sie sich als „defätistisches“ Statement zu eigen zu machen.

Teilnehmer widersprechen - Missverständnis des Botschafters?

Melnyk hingegen scheint dies in jeder Hinsicht missverstanden zu haben: In der FAZ schildert er das Zusammentreffen mit Lindner als Begegnung mit einem eiskalt berechnenden Politiker, der die Ukraine schon aufgegeben habe („Euch bleiben nur wenige Stunden“, soll Lindner zu ihm gesagt haben) und jetzt für sich noch das beste aus der Situation herausholen wolle, obwohl er in Wahrheit gar keine weiterreichenden Sanktionen gegen Russland beabsichtige. In einer der für ihn leider typischen Übertreibungen nannte Melnyk die Unterredung mit Lindner zudem „das schlimmste Gespräch in meinem Leben“. Er habe dieses nach 30 Minuten abgebrochen.

Andere Teilnehmer der Unterredung widersprechen dieser Darstellung Melnyks nun vehement: Sowohl der für Europa- und internationale Finanzpolitik zuständige Staatssekretär Carsten Pillath als auch die Chefin der Leitungsabteilung im Finanzministerium, Marianne Kothé, die beide bei der fraglichen Zusammenkunft anwesend waren, hatten Lindners Unterhaltung mit Melnyk als „von großer Betroffenheit und Offenheit geprägt“ empfunden, berichtet die „Welt“. Es sei in erster Linie darum gegangen, dem Botschafter in der Stunde des Angriffs die Solidarität der Bundesregierung zu versichern. Pillath beschrieb die Atmosphäre als „intensiv“ und „ernst“. Das Gespräch sei auch nicht von Melnyk abgebrochen worden, sondern habe deutlich länger als ursprünglich veranschlagt gedauert. Man habe sich „respektvoll voneinander verabschiedet“.

Es ist alleine schon bemerkenswert, dass Melnyk – äußerst unüblich und undiplomatisch für einen Botschafter – mit dem Inhalt eines vertraulichen Amtsgesprächs an die Öffentlichkeit geht. Dieses Verhalten ist nicht gerade vertrauensstiftend oder gar dazu angetan, etwaige Lösungen in diskreter Runde fortan in seinem Beisein zu diskutieren. Dass der Botschafter dabei auch noch höchst subjektive Eindrücke und offensichtliche Fehlinterpretationen wiedergibt, die mit der Realität nichts zu tun haben, macht es nicht besser. Was Melnyk an Lindner als „kühl“ empfand, war dessen professionelles und ruhig-zurückhaltendes Auftreten; indirekte Rede und Zitate legte er Lindner wie gesagt wohl aufgrund eines kommunikativen Missverständnisses in den Mund – und was er sonst noch über den FDP-Chef verbreitete, kann nur als völlig abwegig bezeichnet werden. Leider säte es absurde Zweifel an Lindners Integrität.

Melnyks Charakterisierung des liberalen Finanzministers mag vielleicht auf so manchen deutschen Berufspolitiker mit „Russlandambitionen”, auf notorische „Putinversteher“ zutreffen – aber ganz sicher nicht auf Lindner, diesen wahren Liberalen, der vor keiner klaren Kante gegen Russland zurückschreckt.

Zur Erinnerung: Es war Lindner, der wie kein anderer deutscher Spitzenpolitiker regelmäßig an das Schicksal des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny erinnerte - und noch kurz vor Corona, Anfang 2020, mit einer FDP-Delegation nach Moskau gereist war, um dort der Opposition demonstrativ den Rücken zu stärken – zu einem Zeitpunkt, da sich die Merkel-Regierung noch beim Kreml anbiederte. Wiederholt gedachte Lindner auch des – mutmaßlich auf Befehl Putins hin - ermordeten russischen liberalen Oppositionellen Boris Nemzow.

Und als der FDP-Chef vor drei Jahren in Peking zu Gast war, verweigerte ihm die chinesische Delegation brüsk den Handschlag, weil er zuvor kein Blatt vor den Mund genommen hatte über chinesische Menschenrechtsverletzungen; eine größere Ehre lässt sich für einen Politiker mit Rückgrat nicht denken. Ein besonderer - von Lindner in Kauf genommener - Affront stellte für die chinesische Führung sein vorheriger Besuch in Hongkong dar, wo er Tabuthemen wie Menschenrechte, Automomie, Freiheit und demokratische Opposition ansprach und für westliche Werte eingetreten war; dafür durfte sich Lindner von einem KP-Apparatschik eine halbe Stunde lang anschreien und beleidigen lassen. Der FDP-Chef verhielt sich hierbei staatsmännisch, zutiefst demokratisch und couragiert.

Der wahre Christian Lindner

Nichts von dem, was ihm Melnyk in der FAZ unterstellte, passt daher zu dem Menschen und Politiker Christian Lindner. Hätte sich der ukrainische Botschafter einmal mit Lindners Vita und seinem bisherigen Engagement für Freiheits- und Menschenrechte sowie Selbstbestimmung befasst, und ihn an seinen Handlungen, nicht an mutmaßlich falsch verstandenen Worten gemessen, dann hätte er seine Anschuldigungen vermutlich unterlassen. Action speaks louder than words – oder, wie schon im Neuen Testament steht „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!” (1. Johannes 2,1-6).

Zu diesen Taten gehörte auch, dass Lindner nach Kriegsausbruch als Finanzminister kein Zweifel daran ließ, dass der Ukraine seine volle Unterstützung galt und er blitzschnell reagierte: Vom ersten Moment an trug er empfindliche Sanktionen mit, setzte die SWIFT-Sperre gegen Russland in Gang und sorgte mit seinem Krisenstab für die Aussetzung bürokratischer Hürden für Hilfslieferungen. Ich selbst hatte Christian Lindner in meiner Funktion als Initiator und Verantwortlicher einer Flüchtlingshilfsorganisation um Hilfe gebeten, als Dutzende LKW-Ladungen mit lebenswichtigen OP-Medikamenten einer Mainzer Initiative nicht in die Ukraine konnten, weil entsprechende Ausfuhrgenehmigungen für diese Art von Fracht mindestens zwei Wochen dauern; sein Krisenstab löste das Problem binnen Stunden. All dies sind konkrete Taten, die für sich sprechen.

Auch für mich stand daher sofort fest, dass es sich um blanken Unsinn handeln muss, was Melnyk dem Finanzminister hier unterstellt. Außerdem bilde ich mir ein, Christian Lindner nach 18 Jahren Parteimitgliedschaft, durch Treffen auf diversen Parteitagen, politischen Veranstaltungen und auch durch persönlichen Kontakt sehr gut einschätzen zu können.

Linder schweigt diplomatisch

Lindner selbst äußerte sich zu dem Vorfall nicht – was nicht überrascht, da er als hochrangiges Regierungsmitglied unmöglich einen öffentlich ausgetragenen Streit zwischen dem höchsten ukrainischen Diplomat und der deutschen Regierung riskieren kann, der letztlich nur Putin in die Hände spielen würde. Darauf wies auch der prominente Liberale und Autor Christoph Giesa hin, der – in intimer Kenntnis von Lindners Charakter und Integrität - Melnyks Schilderung ebenfalls kategorisch zurückwies; auch Giesa vermutet ein Missverständnis.

Es ist möglich, dass die Diskrepanz zwischen Melnyks Schilderung und jener der anwesenden Zeugen ihre Ursache in dem hat, was die „Welt“ dazu schreibt: „Lindner sind moralische Kategorien nicht fremd, aber er sucht Emotionen stets in rationales Reden und Handeln zu übersetzen. Vielleicht ist das eine Erklärung für diese unterschiedliche Wahrnehmung des Gesprächs.

Eine andere Erklärung wäre in der Persönlichkeit Melnyks zu suchen. Man mag zur Entlastung des Botschafters berücksichtigen, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine für ihn eine enorme emotionale Belastung bedeutet – was seine Neigung zu Überreaktionen und Schnellschüssen erklären könnte. Tatsächlich ging der ukrainische Botschafter in Interviews und auch auf Twitter mehrmals hart mit Vertretern der Bundesregierung ins Gericht. Gegenüber jenen, die sich gegen allzu harte Sanktionsforderungen gegen Russland aussprachen, vergriff er sich im Ton und Firmen, die weiterhin in Russland Geschäfte machen (zuletzt etwa „Ritter-Sport“) ging er noch härter ins Gericht. Letzteres kann man ihm wohl nicht verübeln, aber mit dem, was er über Christian Lindner in die Welt setzte, liegt er jedenfalls völlig daneben.

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