Kommentar: Die Werteunion ist ein Scheinriese

DPoIG-Chef Rainer Wendt spricht auf der Jahrestagung der Werteunion (Bild: Christoph Schmidt/dpa)
DPoIG-Chef Rainer Wendt spricht auf der Jahrestagung der Werteunion (Bild: Christoph Schmidt/dpa)

Immer wieder macht ein kleiner Verein auf sich aufmerksam: Die „Werteunion“ will der konservative Flügel der CDU sein. In Wirklichkeit steht der Haufen für den Niedergang des Konservatismus in Deutschland.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt einen Verein, der schickt nahezu jeden Tag eine Sau durchs Dorf. Die „Werteunion“ fordert mal dieses, mal jenes: Aktuell macht sie sich für Friedrich Merz als Kanzlerkandidat der Union stark. Moment, gab es nicht unlängst eine Vorsitzendenwahl bei der CDU? Und wer ist diese Werteunion?

Sich selbst bezeichnet sich die Werteunion als „der konservative Flügel in CDU/CSU“. Das klingt imposant. DER Flügel einer Partei also, bei dem sich die Konservativen versammeln, und das in einer Partei, die man gemeinhin als konservativ wahrnimmt. In Wirklichkeit aber handelt es sich bei der Werteunion um einen Etikettenschwindel.

Werteunion ist ein tolles Wort. Zum einen hat niemand etwas gegen Werte, sie sind wertvoller denn je. Und Union bedeutet einen Zusammenschluss, eine Einheit – und zwar schon eine größere, da geht es nicht um eine halbe Fußballmannschaft. So gesehen ist „Werteunion“ der Witz des Jahres. Denn was sich dahinter verbirgt, ist ein Zwergenverein, der seine wahre Größe genau kennt und sie durch Aufbauschen und aktive Präsenz in den Sozialen Medien zu kaschieren versucht.

No Names irgendwo am Rand

Die Werteunion ist keine Parteiorganisation. Früher redete man davon, tausende Mitglieder zu haben; nach journalistischen Nachfragen korrigierten die Aktivisten die Angaben auf „über 2000 beitragzahlende Mitglieder“ und verweisen, ganz im Stile des Aufplusterns, auf „rund 25.000 Anhänger/Likes in den sozialen Medien“. Aha. Ein Like als Ausdruck einer Anhängerschaft? Wäre dies annähernd richtig, wäre Deutschland von Youtubern regiert. Auch die linke “Aufstehen”-”Sammlungsbewegung” verwechselte Aktivismus mit einem einmaligen Klick.

ESLOHE, GERMANY - APRIL 12: Friedrich Merz former candidate for the CDU party leadership attends German Christian Democrats (CDU) European Elections Campaign launch on April 12, 2019 in Eslohe, Germany  (Photo by Maja Hitij/Getty Images)
Wird gerade von der Werteunion umgarnt: der CDU-Politiker Friedrich Merz (Bild: Getty Images)

Die Werteunion ist ein Verein. Seinen Vorstand bestücken CDU-Mitglieder, die in der Parteihierarchie nicht einmal in der Holzklasse sitzen. Aber sie verweisen auf „prominente Mitglieder“, von denen sie sich Zugkraft versprechen: Den Parteienforscher Werner Patzelt und den geschassten Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Und so haut man stets Parolen raus. Mal ist es die Forderung nach einer Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke, mal nach einer Urwahl für die Kanzlerkandidatur bei der Union.

Wo sind denn nun die Werte?

Um Werte geht es dabei natürlich nicht. Werte können nicht von einer einzelnen Partei, erst recht nicht von einem Flügel in einer einzelnen Partei und ganz überhaupt nicht von einem Vereinchen, das sich als Flügel ausgibt, beansprucht werden. Werte stehen für sich und das Bemühen des Menschen, “gut” zu leben. Das sind die zehn Gebote, die Philosophien des Aristoteles und vieles mehr. Die Werteunion aber verwechselt „Werte“ mit „politischer Meinung“. Der Konservatismus ist solch eine Meinung oder Haltung – ganz unabhängig davon, ob man den mag oder nicht. Auch „links“ oder „rechts“ sein ist kein Wert, sondern eine Meinung oder eine Haltung.

Bei Lichte betrachtet ist die Werteunion ein drolliger Haufen. Atomkraft ist für sie Umweltschutz – dass bloß nicht Rezo auf sie aufmerksam wird. In der Vergangenheit angeblich Bewährtes will sie bewahren – das klingt nach angezogener Handbremse. Und all dies als Wert verkaufen zu wollen – da hat jemand im Religionsunterricht in der Schule nicht aufgepasst.

Die Werteunion ist der Herr Tur Tur der CDU. In der Kindergeschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ sehen diese beiden am Horizont plötzlich einen unglaublich großen Riesen, nähern sich ihm trotzdem und merken, dass er mit jedem Schritt kleiner wird. Am Ende ist Herr Tur Tur, wie er heißt, so groß wie sie. Scheinriesen gab es in der Politik immer wieder. Aber es ging mit ihnen nicht gut aus. Ein Budenzauber hält halt nicht ewig.