Kommentar: Ein Geisterfahrer im Verkehrsministerium

Andreas Scheuer bei einer Kabinettssitzung (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)
Andreas Scheuer bei einer Kabinettssitzung (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)

Andi Scheuer leitet eine wichtige Behörde. Doch er nutzt sein Amt nur zur Verwaltung vergangener Zeiten.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wer Anfang der Nullerjahre Andi Scheuer begegnete, einem jungen Bundestagsabgeordneten ohne einen über dieses Amt hinaus gehenden Einfluss, der wunderte sich. Ihm lief ein Mann über den Weg, der sein Selbstbewusstsein dem seiner zurückgegelten Haare anglich. Nicht, dass er inhaltlich Besonderes zu sagen hatte. Besonders konservativ war er auch nicht.

Aber in der Boygroup, welche von der CSU-Spitze irrigerweise zur Erbnachfolge in der Partei auserkoren wurde, mischte Scheuer munter mit, demonstrative gute Laune inklusive. Man hätte ihm nicht unbedingt einen Staubsauger abgekauft, aber es gab viele Bundestagsabgeordnete, da fiel einer wie Scheuer nun wenig auf.

Die Boygroup machte Karriere. Ein Geschichtsbuch über die CSU wird ihr sicherlich ein langes Kapitel widmen. Zuerst absolvierte Scheuer die Ochsentour quer durchs Amt des CSU-Generalsekretärs, was eine harte Aufgabe ist: Der Inhaber muss austeilen und einstecken, ist aber nie sein eigener Herr.

Keine Experimente

Schließlich wurde er belohnt. Das Bundesverkehrsministerium, seit längerem in der Hand der CSU, wurde ihm angetragen. Er verwaltet es. Mehr nicht.

Seit Jahren hinkt Deutschland in der Verkehrspolitik hinterher. Jede innovative Entwicklung findet ihren Weg woanders, nur in Deutschland werden erstmal Bedenken geäußert. Die Straßen waren schon mal besser, die Bahn ist sich selbst überlassen und die Autoindustrie darf sich Gaunereien am Fließband ausdenken, ohne dass ihr jemand auf die Finger haut. Unsere Luft wird täglich verpestet, die Grenzwerte ihrer Belastung werden nicht eingehalten. Elektroautos wurden verschlafen, stattdessen bauen die Werke immer größere Spritfresser. Es ist alles unheimliches Retro.

Die letzten beiden Beispiele für unsere Verschlafenheit: Nicht einmal eine vernünftige Diskussion über ein Tempolimit kriegen wir hin – als letztes Industrieland dieses Planeten. Und während eine Fahrtüchtigkeitsprüfung für Senioren in den meisten EU-Ländern Standard ist, stellt sich Deutschland quer und pocht auf eine seltsam verstandene Liberalität. In Wirklichkeit geht es nur um die Verteidigung von Gewohnheit.

Die Opfer durch Verkehrsunfälle in Tateinheit von erhöhter Geschwindigkeit oder altersbedingten Fahrfehlern nehmen wir in Kauf. Es sind immer die anderen.

Natürlich ist Scheuer gegen ein Tempolimit – eine echte Begründung braucht er dafür nicht (Symbolbild: dpa)
Natürlich ist Scheuer gegen ein Tempolimit – eine echte Begründung braucht er dafür nicht (Symbolbild: dpa)

Das liegt auch an Scheuer, denn ein Tempolimit, vorgeschlagen von Experten einer von ihm eingesetzten Kommission, kanzelte er mit dem Hinweis auf den “Menschenverstand” ab. Ich verkneife mir an dieser Stelle nicht die Bemerkung, dass es sich bei dem Urheber dieser Verstandsworte um einen ehemaligen Studenten handelt, der seine Abschlussarbeit an der Uni über “Der Wahlkampf der CSU – eine Betrachtung am Beispiel der Medientouren des Ministerpräsidenten und Parteichefs Dr. Stoiber” schrieb. Die Arbeit muss der wissenschaftliche Knüller gewesen sein.

Später lief Scheuer mit einem “Dr.” vor seinen Familiennamen geschoben herum, obwohl er an der Prager Karls-Universität nur einen “kleinen” Doktorgrad erworben hatte, welcher der Master-Ebene zugehört. Thema war “Die politische Kommunikation der CSU im System Bayerns”. Wer dies liest, kommt aus dem Lachen kaum heraus. Da schreibt also ein Parteifunktionär über seine Partei, lässt dies aber nicht in seinem Parteiblatt abdrucken, sondern verdient sich universitäre Meriten, zumindest nach außen hin. In der Forschung zur CSU, zum politischen System oder zu irgendetwas anderem hat er durch seine Arbeit nicht gerade einen Meilenstein gesetzt.

Schließlich geht es um diesen äußeren Glanz. Scheuer betreibt Politik im Oppositionsmodus, selbst wenn er am Schalthebel der Exekutive sitzt. Und das geht so: Eigentlich müsste sich Scheuer einen gewaltigen allgemeinen Zorn zuziehen, gehört er doch zu jener Gruppe von Politikern, welche den Dieselbetrügern aus der Autoindustrie recht wohlwollend gegenübersteht. Und dann ist da die Luftverschmutzung, das Leiden der Bahn, da sind die Unfälle. Scheuer aber setzt auf Krawall. Das lenkt ab.

Hauptsache, man bleibt im Spiel

So rät er zu Protesten gegen seine eigene Politik, nur mit anderen Worten. Wegen des Dieselgate fürchtet er öffentlich um Proteste wie bei den französischen Gelbwesten; nur ist er einer der Player in diesem Gruselstück, und wenn er die Kommunen zu “Widerstand” aufruft, dann richtete sich dieser gegen genau jene Gesetze und Beschlüsse, die er und seine Vorgänger realisierten und die nun logisch zu Fahrverboten in Städten führen.

Scheuer glaubt, damit davonzukommen. Er wird laut, damit sich keine Lautstärke gegen ihn richtet. Und er richtet sich gegen Fakten wie Feinstaubwerte, reitet damit eine allgemeine Attacke gegen Gesetze und andere Realitäten, was gerade in ganz Europa ein Trend ist: gefühlten Fakten den Vorrang einzuräumen. Dieser Trend ist nicht dominant und wird größer gemacht, als er ist. Aber er hat prominente Fürsprecher in der Politik, die daraus Kapital schlagen.

Bleibt nur abzuwarten, was als nächstes kommt: Vielleicht die Forderung nach einem Ende der Gurtpflicht? Nach einer Reduzierung der Benzinsteuer oder dem Verbot von Umweltorganisationen, die allzu lästig stänkern? Oder Scheuer legt doch noch eine Dissertation vor. Thema: “Die Quadratur des Kreises. Politische Kommunikation in Zeiten gefühlter Fakten.”