Kommentar: Ein schnelles Ende der Einschränkungen wäre pseudoliberal

Sieht so das Ende der Bürgerrechte aus? (Bild: Getty Images)
Sieht so das Ende der Bürgerrechte aus? (Bild: Getty Images)

Gerade von selbst erklärten Liberalen kommt die Warnung vor Unfreiheit und Abriss der Bürgerrechte. Das ist ziemlich deutsch.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine deutsche Seuche geht wieder um. Corona heißt sie nicht, die kommt von allerorten. Es ist auch nicht der Virus der Denunziation, wie es zuweilen heißt. Es ist vielmehr ein falsch verstandener Liberalismus, der nicht mehr als von der einen eigenen Pobacke bis zur nächsten denkt.

Kurz vor Ostern werden die Überlegungen laut, ob nach den Feiertagen eine Lockerung anstehen könnte, sozusagen eine Institutionalisierung des Lichtblicks. So langsam ist ja auch mal gut, heißt es. Gastronomen und Händler stehen mit dem Rücken zur Wand, bei Manchen bricht Lagerkoller aus, häusliche Gewalt soll steigen. Darüber nachzudenken ist normal.

Leider gibt es starke Hinweise darauf, dass wir mit einer Lockerung aufpassen sollten. Noch ist der Virus in seiner Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht eingedämmt. Es kann immer noch passieren, dass er zu viele so genannte Risikoträger auf einmal ansteckt und sie dann nicht die optimale medizinische Hilfe erhalten. Darum geht es.

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Die jetzigen Zahlen, nicht nur die in Deutschland, sagen uns: Es macht Sinn, Kontakte einzuschränken. Denn diese sind Futter für den Virus. Und auch wenn „die Wissenschaftler“ nicht mit einer Stimme sprechen, kann man sich an ihren Einschätzungen und Ratschlägen orientieren. Wenn also eine Lockerung ansteht, nach Ostern, dann sollte es vorerst eine kleine sein.

Von Beginn der Corona-Krise an gab es jene Stimmen, die alles für zu aufgeregt hielten, die an die Freiheit und an die Wirtschaft gemahnten. Auch hing der Gedanke der Herdenimmunisierung noch im Raum; damals lag Boris Johnson noch nicht auf der Intensivstation, und in Schweden dachte man noch nicht an das hektische Zurückrudern dieser Tage.

Diese Stimmen geben sich selbst besonnen. Viel Lärm um nichts oder eben nicht genug – signalisieren sie.

Attitüdenflash bei Facebook & Co

Bei Facebook schreiben sie dann von „Sicherheitsfanatikern“, die unser Land „fest im Griff“ hätten. Da gehe etwas viel weiter. Weil wir Angst hätten. Von „absurdesten Erlassen“ ist die Rede, von „Totalitarismus-Fetischisten“. Und dann werden die Negativbeispiele erwähnt, die es tatsächlich gibt: Dass in einigen ostdeutschen Gebieten so genannte „Ortsfremde“ nicht durchfahren sollen, dass Leute in ihren eigenen Feriendomizilen nicht wohnen dürfen, ist erstens kaum wirksam gegen den Virus und zweitens eine sozialfeindliche Abschottung. Aber es sind Ausnahmen im föderalen Geflecht, über die zu streiten ist. Sie stellen den Sinn der Einschränkungen an sich nicht in Frage.

Mancher indes, dem es zu strikt ist, weil er sich das Recht auf eine Partie Skat nicht nehmen lassen will, zeigt sich jetzt unheimlich individuell. „Aber wenn alle einer Meinung sind, macht mich das nervös“, schreibt einer in den Sozialen Medien. Ja, einer gegen den Strom, allein gegen die Mafia, es sind halt Zeiten für vermeintliche Helden.

Diese Helden beklagen jetzt das Verbot von Versammlungen und von Demonstrationen, obwohl sie selbst das letzte Mal vielleicht vor Jahren auf einer waren. Und sie fragen schon mal, ob auch die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit aufgegeben werden wird – ganz im Stil von Rechtspopulisten, die ja auch immer behaupten, man könne in Deutschland nicht mehr den Mund aufmachen. Eine interessante ungewollte Allianz tut sich da auf.

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Schließlich geben sich diese Helden hellsichtig, die Krise mache „manches sichtbar“. Und: „Wenn im Land der Dichter und Denker die Bibliotheken und Buchhandlungen schließen müssen, die Baumärkte aber offen bleiben dürfen, was sagt uns das?“ Nun, mir sagt das, dass in den Vorstufen der ganzen Schließungen der Staat erstmal zumachte, was ihm gehört, wie Bibliotheken. Und Buchhandlungen sind meist kleiner als Baumärkte – aber da sind wir wieder bei den Epidemiologen, das wird dann kompliziert für einfache Kalendersprüche.

Nicht fehlen darf bei diesen komischen Liberalen der Hinweis auf unsere faschistische Vergangenheit. „Endlich steht unsere Nation mal wieder geeint gegen den Feind“, wird geunkt, was sich zwar hübsch reimt, aber eine Dramatik hervorzurufen versucht, die ich beim Blick auf die Straße nicht erkennen kann.

Was wird denn an Beispielen ansonsten genannt, um die Ankunft des Totalitären auszumachen? „Private Geburtstagsfeiern werden angezeigt“, klagt einer. Ja klar, die sind eben Virenschleudern. „Anwohner rufen den Notruf, weil sich 5,6 Jugendliche hinterm Sportheim - weil sie den Druck nicht mehr aushalten - zu einem Bier treffen.“ Die armen Kids, die haben Druck. Die können keine Disziplin halten? Sie wollen wohl eher nicht. „Und die Lokalpresse berichtet dann sogar gefällig darüber und fordert damit indirekt zu weiteren Denunziationen auf. So bravtreu.“ Tja, nicht jeder ist ein Held. Nicht jeder denkt so kritisch gegen den Strich – eine interessante Selbstwahrnehmung, die in Meldungen an die Polizei wegen Menschenansammlungen eine „Denunziation“ oder einen „Verrat“ sehen.

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Denken diese Leute, dass all die Einschränkungen, die natürlich auch unsere Grundrechte und damit Grundpolitisches antasten, den Corona-Virus überdauern? Dass sich da etwas einschleicht? Sobald in Deutschland wieder Clubpartys gefeiert werden dürfen, wird man auch wieder demonstrieren dürfen.

Liberal geht anders

Ich bin es satt, dass Leute meinen, ihren Individualismus auf dem Bürgersteig austoben zu müssen, indem sie demonstrativ sich die Freiheit nehmen und keinen Abstand halten. Dieses Verhalten ist so deutsch wie die Blockwartmentalität, die es immer in Deutschland gab und die natürlich gerade Hochkonjunktur feiert, bis sie mit Abflauen der Corona-Krise wieder in ihr Loch kriechen wird.

Wie wäre es mit einem Blick nach Italien? Dort scheint man endlich diese schlimme Epidemie halbwegs in den Griff zu bekommen – und zwar durch strikte Selbsteinschränkung. Die machen das nicht, weil sie alle Autoritätsfreaks wären oder gern Uniform trügen oder alles Individuelle hassten. Nein, sie tun es aus Umsicht. Aus Angst um ihre Eltern und Großeltern. Sie handeln aus Solidarität. Und sie denken nicht nur, wie diese deutschen „liberalen Querdenker“, an sich selbst.

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