Kommentar: Endlich amtlich – Europäischer Gerichtshof verbietet nationalen Egoismus

Das Zeltlager Moria auf Lesbos - erster Ankunftsort Europas für Fliehende. (Bild: REUTERS/Elias Marcou)
Das Zeltlager Moria auf Lesbos - erster Ankunftsort Europas für Fliehende. (Bild: REUTERS/Elias Marcou)

Richter haben entschieden: Die Aufnahme von Geflüchteten ist eine Aufgabe für alle EU-Länder. Keines darf sich entziehen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein krasseres Armutszeugnis konnte sich ein Land kaum ausstellen: Die Regierungen von Polen, Tschechien und Ungarn verweigerten im Jahr 2015 die Aufnahme von Geflüchteten mit dem Argument, dass dadurch Sicherheit und öffentliche Ordnung gefährdet seien. Wie arm war das denn? Es wäre nur um ein paar Syrer, Iraker und Afghanen gegangen, die aufzunehmen gewesen wären – und die hätten die eingeborene Bevölkerung derart verunsichert, dass es mit der öffentlichen Ordnung problematisch geworden wäre? Was wäre passiert, Horden von „verwirrten“ Ungarn, Polen und Tschechen, die mit Heugabeln durch die Straßen ziehen? Wie gesagt: Armutszeugnis.

Heute hat der Europäische Gerichtshof dies amtlich besiegelt. Er urteilte, dass es nicht rechtens gewesen war, wie sich diese drei Länder 2015 absentierten.

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Schlanker Fuß stand nicht in den Fußnoten

Denn damals ging es um Solidarität, um das Verteilen von Herausforderungen auf mehreren Schultern, damit diese in der Gesamtheit breiter sind. 2015 gab es große Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten, aus Krieg und Zerstörung – zwar blieben und bleiben die meisten Menschen, die ihre Häuser verlassen MÜSSEN, in der Nähe ihrer Heimstätten, notfalls in Nachbarländern; es war aber nur eine Frage der Zeit, bis Europa sich nicht mehr zu einem vom Planeten Erde losgelösten Territorium erklären konnte und sich mit ihm vernetzte. Eben auch mit den Problemen. Fliehende kamen in Europa an, und zwar naturgemäß an den Außengrenzen, also vor allem in Griechenland und in Italien. Klar, dass diese innerhalb der EU zu verteilen waren. Denn die EU ist groß und reich, sie ist großartig und nicht kleinkariert. Die Regierungen von Polen, Tschechien und Ungarn aber reagierten kleinlich, kleinkariert, alles andere als großartig.

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Von der EU erhalten diese Länder seit vielen Jahren viel Geld. Sie profitieren enorm von der Mitgliedschaft. Als es aber darum ging, ein KLEINES bisschen Solidarität zu zeigen, verweigerten sie diese.

Nun haben wir es amtlich, dass die Mitgliedschaft in der EU neben Rechten auch Pflichten bedeutet. Nationale Egoismen passen da nicht hinein. Daraus kann man dreierlei lernen:

  • Die Regierungen dieser Länder sind rechtsorientiert. Rosinenpicken scheint eine Kernkompetenz dessen zu sein.

  • Rechte Politiker in Italiener forderten die Entlastung bei der Aufnahme von Fliehenden ein, erhielten dies aber nicht von ihren Gesinnungsgenossen in anderen Ländern.

  • Nationaler Egoismus funktioniert nur, wenn man irgendwo in der Luft schwebt. Aber dort wird auf die Dauer die Luft auch etwas dünn.

Realitätssinn ist keine schlechte Sache

Das Dublin-Abkommen hat sich mit diesem Gerichtsurteil auch erledigt. Es besagt, dass fliehende Menschen in jenem EU-Land Asyl beantragen sollen, wo sie als erstes ankommen. Heißt: Länder, die keine Außengrenzen haben, machen sich einen schlanken Fuß. Auch Deutschland praktizierte solche Verantwortungslosigkeit – bis 2015. Und demonstriert seitdem, dass die Aufnahme von Geflohenen keine Gefahr für die Sicherheit oder für die öffentliche Ordnung darstellt. Es funktioniert. Das Abendland steht. Darauf eine Falafel.

Zu hoffen ist, dass die EU-Kommission nun eine Strafzahlung beim Gerichtshof beantragt, damit dem Urteil auch Taten folgen. Die rechten Regierungen müssen lernen, dass sie nicht Mitglieder in einem Privatklub sind, wo sie sich mit dem Entrichten eines Popelbeitrags endlos am all inclusive Büfett bedienen. Im richtigen Leben geht das ja auch nicht, selbst kein Urlaubsangebot sieht so aus. Und jedes Mal, wenn ein Politiker ruft: America first oder Deutschland zuerst oder Prima gli italiani, wissen wir: Achtung, Mogelpackung.

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